Kommando Heer muss liefern
Die für Presserecht zuständige Kammer des Verwaltungsgerichts Koblenz hat kürzlich Folgendes beschlossen (4 L 802/22.KO): »Der Antragsgegnerin (Kommando Heer) wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, dem Antragsteller folgende Informationen zu übermitteln, sofern sie vorhanden sind: 1. Ist derzeit geplant, weitere ukrainische Soldaten in der Artillerieschule Idar-Oberstein auszubilden? Wenn ja, wie viele und an welchen Waffen? 2. Welche politischen und militärischen Entscheidungsträger waren – ohne Nennung von Namen – bei der Planung und Durchführung der im Mai 2022 bekannt gewordenen Ausbildungsmaßnahme in der Artillerieschule in Idar-Oberstein beteiligt?«
Das im brandenburgischen Strausberg ansässige Kommando Heer ist dem Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, unterstellt, der wiederum direkt dem Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, unterstellt ist. Hintergrund der Klage ist eine Mitte Mai an die Artillerieschule Idar-Oberstein gerichtete Presseanfrage mit folgenden Fragen: »1. Wie viele ukrainische Soldaten werden in der Artillerieschule Idar-Oberstein aktuell ausgebildet? 2. Wie viele ukrainische Soldaten sollen perspektivisch dort ausgebildet werden? 3. An welchen Waffen werden ukrainische Soldaten aktuell ausgebildet und an welchen Waffen sollen ukrainische Soldaten perspektivisch ausgebildet werden? 4. Welche (nationale und internationale) Akteure aus Politik und Militär waren und sind bei der Planung und Durchführung dieser Ausbildungsmaßnahmen beteiligt? 5. Teilen Sie die Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, dass diese Ausbildungsmaßnahmen aus völkerrechtlicher Perspektive als Kriegsbeteiligung bewertet werden könnten? 6. Was tun Sie dafür, dass diese Gefahr ausgeschlossen bzw. minimiert wird? 7. Inwieweit haben Sie bei der Planung dieser Ausbildungsmaßnahmen die Bestimmungen des Friedensgebotes des Grundgesetzes und der UN-Charta hinsichtlich einer Beteiligung an bewaffneten Konflikten berücksichtigt?«
Die Presseanfrage blieb zunächst vollkommen unbeantwortet, ebenso eine diesbezügliche Nachfrage im Juni, worauf im August vor dem Verwaltungsgericht Koblenz Untätigkeitsklage (mit Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung) erhoben worden ist. Das Kommando Heer blieb auch davon zunächst vollkommen unbeeindruckt und ließ über seinen Juristen, Regierungsdirektor Frank Conrad, lapidar mitteilen, dass die »vom Antragsteller aufgeworfenen Fragestellungen seitens der Bundesregierung bereits veröffentlicht worden sind, soweit nicht insbesondere militärische Sicherheitsinteressen dem entgegenstanden«.
Diese mehr als schmallippige Antwort veranlasste das Verwaltungsgericht Koblenz zur Weisung an den Militärjuristen, er möge doch darlegen, »welche Sicherheitsinteressen durch die Beantwortung der vom Antragsteller an Sie gerichteten Fragen tangiert werden«. Darauf folgte ein 30-seitiges Telefax der Bundeswehr mit einer detailverliebten Auflistung sämtlicher Tageszeitungen, in denen Anfang Mai ein Text der Deutschen Presseagentur (»Training ukrainische Kräfte an Panzerhaubitze 2000 startet«) veröffentlicht worden ist. Die konkrete Frage des Verwaltungsgerichts blieb unbeantwortet, was dann zum Gerichtsbeschluss führte. Wäre der Hintergrund der Klage, die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland und der Kriegsbeteiligung Deutschlands am Ukrainekrieg im völkerrechtlichen Sinne, nicht derart existentiell, könnte man den Gerichtsstreit als amüsante Posse abtun. Doch bieten die Zeiten für derartigen Humor leider gerade wenig Anlass. Im Gegenteil, denn das Auskunftsgesuch richtet sich auf einen seit Monaten in der Ukraine tobenden Krieg, der inzwischen vollkommen außer Kontrolle zu geraten scheint und in dem nun sogar unverhohlen militärische Präventivschläge gegen die Russische Föderation gefordert werden. Auch der Einsatz von taktischen Atomwaffen scheint immer denkbarer zu werden, was den Einsatz strategischer Atomwaffen nach sich ziehen könnte und damit unweigerlich den Beginn eines Dritten Weltkrieges markieren würde.
Bundesverteidigungsministerin Lambrecht hat vor wenigen Wochen in ihrer »Grundsatzrede zur Sicherheitsstrategie: Streitkräfte wieder in den Fokus rücken« erklärt: »Es ist nicht verwunderlich, wenn wir Deutschen nach den eigenen Verbrechen im Nationalsozialismus und nach dem Vernichtungskrieg deutscher Armeen in Europa eine Skepsis gegenüber dem Militärischen zur Tugend gemacht haben – in den letzten Jahren, ja, in den letzten Jahrzehnten. Aber heute gilt: Das Deutschland, das diese Verbrechen begangen hat, gibt es seit beinahe 80 Jahren nicht mehr. Die Bundeswehr ist eine Armee, die mit der von damals nichts gemein hat.« Ihr Wort in Gottes Ohr, Frau Lambrecht! Und an das Kommando Heer gerichtet: Bitte liefern Sie!