Verlorene Schlachten
Die Covid-19-Seuche hat eine Unmenge abstruser Theorien über deren Ursache hervorgebracht. Es fällt mir schwer, den Glauben an diese Theorien nachzuempfinden. Noch schwerer allerdings fällt es mir, die Zeitgenossen zu verstehen, die jene verdammen, die trotz aller Erfahrungen der vergangenen Jahrhunderte mit erfolgreich ausgerotteten Krankheiten Impfungen für gefährlicher halten als die Leiden, vor denen sie schützen sollen, aber nichts einzuwenden haben gegen jene, die meinen, dass Beten das Unrecht in dieser Welt effizienter bekämpft als Revolutionen, gegebenenfalls sogar bewaffneter Widerstand. 1,2 Milliarden Katholiken, vermutlich der Papst eingeschlossen, glauben an die jungfräuliche Geburt, an die Auferstehung und an ein Leben nach dem Tod. Und man lässt sie gewähren.
Nun mag man einwenden, dass der Glauben an die Jungfrau Maria weniger Schaden anrichtet als die Weigerung, sich zum eigenen Schutz und zum Schutz seiner Mitmenschen impfen zu lassen. Historisch stimmt das jedenfalls nicht. Wenn man berechnet, wie viele Frauen, Männer und Kinder seit Christi Geburt ermordet, verfolgt, ausgegrenzt wurden, weil sie den Glauben der Christen nicht geteilt haben, dürfte deren Zahl die der Corona-Opfer bei weitem überschreiten. Und wenn das Beten Sklaven davon abgehalten hat, sich gegen ihre Versklavung zu wehren, wenn es die Kolonialvölker und die Armen in der Welt über ihre Unterdrückung hinweggetäuscht hat und nach wie vor hinwegtäuscht, so ist das keine Privatsache, sondern ein Verbrechen gegen die Menschheit.
Die Gefahr geht nicht allein von den Impfgegnern und den Verschwörungstheoretikern unter den Pandemie-Leugnern aus. Sie ist vielmehr das Produkt des Irrationalismus, die Religionen inklusive. Das ist keine neue Erkenntnis. Man brauchte kein Virus, um sie zu gewinnen. Aber alle Versuche, daraus Konsequenzen zu ziehen, blieben erfolglos. Und es hat den Anschein, dass die Aufklärung in unserer Gegenwart weniger Chancen hat als noch vor kurzem.
Gestehen wir es uns ein: Wir haben den Kampf der Vernunft gegen Aberglauben, Irrationalismus und Obskurantismus verloren. Es gibt wenig Anlass, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Und mit aller Deutlichkeit: Toleranz gegenüber einem Schulunterricht, der den Dogmatikern, gleich welcher Religion, den Kreationisten ebenso wie den Charedim oder den Dschihadisten, Raum lässt, ist zumindest ebenso selbstmörderisch wie die Toleranz gegenüber Impfgegnern. Wir könnten daran zugrunde gehen. Aber vielleicht ist es nicht schade um uns.