Trau schau wem
Trotz gegenteiliger Beteuerungen gegenüber Russland haben Europäische Union und Nato dem Nachbarland Ukraine seit dem Zerfall der Sowjetunion Avancen gemacht und eine baldige Mitgliedschaft in Aussicht gestellt. EU und Nato sind damit mitverantwortlich für die Bürgerkriegs-ähnliche Situation im Land, deren Ende nicht absehbar ist. Seit Herbst 2018 steht das Ziel eines EU-Beitritts sogar in der ukrainischen Verfassung, seit Februar 2019 auch der Nato-Beitritt. Dass Russland dies als aggressive, potenziell bedrohliche Expansionspolitik ansieht, ist nachvollziehbar. Was aber treibt »den Westen«, die Ukraine unbedingt einbinden zu wollen. Es gäbe zahllose andere Möglichkeiten einer nicht-konfrontativen, fruchtbaren Kooperation.
Gerade deutsche Politiker sollten wissen oder sich endlich nachträglich klar machen, wen sie sich da ins »gemeinsame Haus« holen möchten. Ein Beispiel: Während wir hierzulande in den letzten Wochen, zumeist reumütig, des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion vor 80 Jahren gedacht haben, wird der Vernichtungskrieg der Deutschen in der Ukraine geradezu als Unabhängigkeitskampf gefeiert – an dem sich viele Ukrainer tatkräftig beteiligten, wofür sie heute in ihrem Land sogar staatlich geehrt werden. Vor allem die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) unter ihrem Führer Stepan Bandera rekrutierte Freiwillige für die Waffen-SS-Division »Galizien« und unterstützte die deutsche Wehrmacht mit eigenen Divisionen (»Nachtigall« und »Roland«). OUN-Milizen stießen am 22. Juni 1941 gemeinsam mit der Wehrmacht auf sowjetisches Territorium vor und verübten dort mit und neben deutschen Einheiten zahllose Massaker an der jüdischen Bevölkerung. Allein in Lemberg (heute Lwiw) sollen binnen kürzester Zeit 4.000 Jüdinnen und Juden ermordet worden sein.
Für das Parlament in Kiew gilt dieser Einsatz als heldenhaft. Es hat die OUN zu »Kämpfern für die ukrainische Unabhängigkeit« erklärt. Ein Regierungserlass verlangt sogar, dass deren »Patriotismus«, deren »hohe Moral« an den Schulen in der Ukraine geehrt wird. Der Gründungstag des militärischen Flügels der OUN, der UPA (Ukrainische Aufständische Armee), ist seit 2015 staatlicher Feiertag, und der OUN-Gruß schmückt die Trikots der ukrainischen Fußball-Nationalmannschaft.
Ist eine derart nationalistische Grundhaltung mit den Werten der Europäischen Union vereinbar? Wie wenig da zusammenpasst, weil es offensichtlich nicht zusammengehört, erlebt die EU doch gerade in anderer Weise im Falle Ungarns. Ja, die Union ist ein Bündnis von Nationalstaaten, aber in ihrem Kern antinationalistisch. Andernfalls wäre sie politisch überflüssig.