Grün ist nur eine Farbe
Macht macht mächtig Spaß. Das hat die mittlerweile 40 Jahre bestehende grüne Umweltpartei längst begriffen, und die Devise »Opposition ist Mist« wäre, wenn nicht schon vergeben, ein adäquates grünes Motto. In elf Bundesländern sind die Grünen am Mitregieren, in Baden-Württemberg stellen sie sogar den Regierungschef. Auf dem langen Weg zu einer etablierten Partei mussten sich die Grünen öfters häuten, um eine staatstragende Rolle übernehmen zu können, mit allem, was dazugehört, mit Ministern und Staatssekretären, mit Dienstwagen und Personenschützern, mit Thinktanks und Stiftungen. Inzwischen ist man da angekommen, wo sich die anderen schon lange wähnen, in der ominösen politischen Mitte.
1990/91 verließen zahlreiche, auch prominente Vertreter des linken Flügels die Partei, wodurch sich der programmatische Wandel beschleunigte. Wer blieb und sich anpasste, konnte sich ausrechnen, mit etwas Glück und einem gewissen Durchsetzungsvermögen eine politische Karriere zu durchlaufen, die bis in hohe Ämter führen kann. Denn lange waren die Grünen die einzige politische Partei, der Natur und Umweltschutz ein Hauptanliegen waren. Diese Marktlücke versprach zumindest den baldigen Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde, vielleicht sogar mehr. Die wohl schillerndste Figur, die eine jener unwahrscheinlichen grünen Karrieren hinlegte, ist Joschka Fischer, der es vom anarchistischen Frankfurter Straßenkämpfer zum erfolgreichen Unternehmensberater gebracht hat, über einen kleinen Umweg als deutscher Außenminister. Nicht wenige der heutigen grünen Funktionsträger hatten ihre politische Laufbahn in linken Kleinstparteien wie dem Kommunistischer Bund Westdeutschland (KBW) begonnen und retteten sich rechtzeitig in die neue Umweltpartei. Neben Jürgen Trittin ist hier vor allem Winfried Kretschmann zu nennen, aber auch Rainer Bütikofer und Ralf Fücks.
Die grünen Protagonisten decken heute ein breites bürgerliches Spektrum ab, was man durchaus als wertkonservativ bezeichnen kann. Dazu gehört auch ein guter Draht zu den großen christlichen Konfessionen. Garanten dafür sind der praktizierende Katholik Winfried Kretschmann sowie das langjährige Mitglied der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Katrin Göring-Eckardt. Ebenso wie die CDU und die SPD sind die Grünen schon länger auf einem USA-freundlichen Atlantikkurs. Die Befürwortung des Kosovo-Krieges durch Joschka Fischer, der letztendlich auch die Einrichtung der US-Militärbasis Bondsteel nahe Priština ermöglichte, kostete den Außenminister auf dem Parteitag in Bielefeld immerhin ein durch einen Farbbeutelwurf verletztes Ohr, eine linke Verzweiflungstat. Neben Fischer, der für einige US-Denkfabriken und Universitäten tätig war, sind auch andere prominente Grüne für transatlantische Organisationen tätig, die sich für eine enge Westbindung und einen aggressiven Kurs gegen Russland einsetzen. Zu diesem Zweck existiert das von den Grünenpolitikern Marieluise Beck und Ralf Fücks vor drei Jahren ins Leben gerufene Zentrum Liberale Moderne. Auch Cem Özdemir durchlief eine Schulung beim American Council of Germany und beteiligte sich an einem Aufruf des Project for the New American Century gegen den russischen Präsidenten Putin. Der EU-Abgeordnete Rainer Bütikofer ist Kuratoriumsmitglied des Aspen-Instituts, eine der zahlreichen US-Denkfabriken.
Mit den Werktätigen der Republik hatten die Grünen noch nie viel am Hut, ihre Wählerschicht war und ist jung, bürgerlich, selbständig oder im öffentlichen Dienst. Als Gerhard Schröder die Agenda 2010 durchzog, gab es vom ökologischen Koalitionspartner keinen nennenswerten Widerstand. Schon vorher wurde, wenn auch mit Bauchschmerzen, der Pazifismus über Bord geschmissen, als der Krieg gegen Serbien anstand. Die einzige revolutionäre Tat der Partei war die heldenhafte Erkämpfung des Pfands auf Einwegflaschen, das gibt es bis heute.
Manchmal hatte die Partei einfach Glück: Ein havariertes Atomkraftwerk im fernen Fukushima hievte 2011 einen Grünen an die Spitze eines Bundeslandes, in dem man bis dato auch den sprichwörtlichen Besenstiel gewählt hätte, wenn er das CDU-Label trug. Aber der neue Landesvater fand schnell in die Rolle seiner Vorgänger, im Südwesten fand keine grüne Revolution statt. Das Milliardengrab Stuttgart 21 wurde weitergebaut, die enge Verbindung »zum Daimler« weiter ausgebaut, der Ausbau der Windkraft umweltverträglich reduziert. Da wundert es nicht mehr, dass der Ministerpräsident zusammen mit seinem bayrischen Kollegen wegen der Coronakrise auch noch eine Kaufprämie für (natürlich saubere) Verbrennungsmotoren forderte.
In Hessen durfte Verkehrsminister und Vize-Ministerpräsident Tarek Al-Wazir den koalitionstreuen Partner geben, als Umweltschützer die vom Bau der Autobahn A 49 bedrohten Wälder besetzten. In Zeiten von Wirtschafts- und Klimakrise könnte das Verkehrsprojekt die Grünen in eine ernste Krise stürzen, schon kursiert in dunkelgrünen Kreisen die spöttische Bezeichnung »Bündnis 49/Die Grünen«. In Berlin wirft die grüne Wirtschaftssenatorin Pop ihre letzten Prinzipien über den Haufen und will zusammen mit SPD und Linken die Privatisierung von S-Bahn und Schulbauten durchziehen. Der bundesweite Verlierer ist die FDP, deren Wähler stetig in die grüne Zukunft abwandern, weshalb die Grünen für die Freien Demokraten schon lange Haupt- und Angstgegner sind. Angst muss man als liberaler Bürger vor dieser Partei jedoch schon lange nicht mehr haben.
Unwillkürlich kommt einem Kurt Tucholskys geniale Kritik an der SPD aus den 20er Jahren in den Sinn. Man muss nur das Wort Sozialismus gegen Umweltschutz austauschen: »Es ist so ein beruhigendes Gefühl. Man tut was für den Umweltschutz, aber man weiß ganz genau: Mit dieser Partei kommt er nicht.«