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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Zwei Kurts, ein Prinzip

End­lich wie­der ein­mal eine gemein­sa­me Jah­res­ta­gung zwei­er lite­ra­ri­scher Gesell­schaf­ten! Mit Mühe zum zwei­ten Mal in die Coro­na­zeit hin­ein­pro­jek­tiert mit den damit ver­bun­de­nen Auf­las­sun­gen und Beschrän­kun­gen. Aber auch getra­gen von Über­ein­stim­mun­gen und Unter­schied­lich­kei­ten der bei­den Kurts, die bereits für die Schau­büh­ne schrie­ben und deren Pro­fi­lie­rung zur Weltbühne mit­be­wirk­ten. Und die, wie aus dem krank­heits­be­dingt von Bernd Brün­trup ver­le­se­nen Refe­rat Ian Kings her­vor­ging, aus per­sön­li­chen Erfah­run­gen und Ein­sich­ten »kon­trär« gegen den Krieg kämpften.

Nach der Begrü­ßung durch Frank-Burk­hard Habel und Dr. Harald Lüt­zen­kir­chen han­gel­ten sich ver­schie­de­ne Refe­ren­ten an histo­ri­sche und aktu­el­le Defi­ni­tio­nen von Begriff­lich­kei­ten wie Natio­na­lis­mus, Patrio­tis­mus, Vater­land, Hei­mat und Hei­mat­lie­be her­an – das gab Stoff für Ergän­zun­gen und Wider­sprü­che. Dabei blieb Platz für Fra­gen nach unter­schied­li­chen Kate­go­rien und Ebe­nen wie dem sozia­len Gefü­ge, der Bedeu­tung von Fami­lie und Freun­den, dem Gefühl von Ein­sam­keit und Ver­las­sen­heit, räum­li­chen und zeit­li­chen Dimen­sio­nen wie auch nach dem Ein­fluss indi­vi­du­el­ler Lebens- und Erfah­rungs­pha­sen. Haben Welt­krie­ge den Hei­mat­ge­dan­ken geför­dert oder ver­nich­tet? Gibt es ihn, den »hei­mat­lo­sen Europäer«?

Hans-Jür­gen Bol­lig und Robert Fär­ber von der Kurt-Tuchol­sky-Gesell­schaft (KTG) gin­gen in ihren Bei­trä­gen auch die­ser Pro­ble­ma­tik enga­giert nach. Ist Hei­mat wirk­lich nur dort, wo ich ger­ne »Du« sage? Hat Tuchol­sky, der aus sei­nem gestör­ten Ver­hält­nis zu sei­ner Mut­ter- und Vater­stadt Ber­lin kein Geheim­nis mach­te, wirk­lich im Park Mon­ceau sei­ne Genug­tu­ung gefun­den, als er »von sei­nem Vater­lan­de aus­ruh­te« und einem erfolg­reich popeln­den Jun­gen auf der Nach­bar­bank sei­nen Erfolg nei­de­te? Den­ken wir noch ein wenig dar­über nach!

Sehr aner­ken­nens­wert emp­fin­de ich das von Bernd Brün­trup für die KTG und Harald Lüt­zen­kir­chen für die Kurt-Hil­ler-Gesell­schaft (KHG) unter­zeich­ne­te Ein­füh­rungs­blatt für die Tagung. Es erläu­tert die histo­ri­sche Geschich­te des ND-Gebäu­des, wür­digt die Namens­ge­ber des »Mün­zen­berg-Saa­les« und des »Franz-Meh­ring-Plat­zes« und ver­weist dar­auf, dass die Tagung zum drit­ten Mal als Koope­ra­ti­ons­kon­fe­renz gestal­tet wird – 2007 waren die »Heinar-Kipp­hardt-Gesell­schaft« und 2011 die »Erich Maria Remar­que-Gesell­schaft« unse­re Tagungspartner.

Den krö­nen­den und tra­di­ti­ons­ge­mä­ßen Abschluss bil­de­te am Sonn­tag im »Thea­ter im Palais« die Ver­lei­hung des »Kurt-Tuchol­sky-Prei­ses 2021 für lite­ra­ri­sche Publi­zi­stik«, durch den die 1995 mit Kon­stan­tin Wecker eröff­ne­te Preis­trä­ger­li­ste mit der selbst­be­wusst-char­man­ten Schrift­stel­le­rin Mely Kiyak einen wei­te­ren Glanz­punkt erfuhr. Unser Tuchol­sky-Ver­ein kann stolz dar­auf sein, dass die­ser Preis nach jah­re­lan­gem Anlauf mehr und mehr öffent­li­che Erwäh­nung und Aner­ken­nung durch die Medi­en erfährt, was durch die Mit­wir­kung von lite­ra­ri­scher und kaba­ret­ti­sti­scher Pro­mi­nenz und ein vom KTG-Mit­glied Fran­zis­ka Troe­g­ner gestal­te­tes Tuchol­sky-Pro­gramm unter­stri­chen wur­de. Mit der Kolum­ni­stin Mely Kiyak erhält die Liste eine Berei­che­rung, deren Stim­me nach eige­nem Bekun­den der Autorin »min­de­stens eben­so gefähr­lich wie die Zun­ge mei­ner Oma« sein kann. Die humor­ge­spick­te Lau­da­tio des Sati­ri­kers Max Uthoff, der sein Jackett auf der Büh­ne wie zufäl­lig, aber publi­kums­wirk­sam abstreif­te und es locker über ein in der Büh­nen­mit­te aus­ge­stell­tes Groß­fo­to der Geehr­ten stülp­te, ver­fehl­te sei­ne sym­bo­li­sche Wir­kung nicht. Irgend­wie ent­stand dadurch der Ein­druck einer Schutz­funk­ti­on, bei der der Kopf Mely Kiyaks jedoch freiblieb – sie reagier­te dar­auf vor dem Publi­kum mit einer dan­ken­den, hef­ti­gen Umarmung.

Am Abend vor­her hat­te im Rah­men der Mit­glie­der­ver­samm­lung tur­nus­ge­mäß die Vor­stands­wahl statt­ge­fun­den. Dr. Ian King, der mit 12-jäh­ri­ger Pra­xis als 1. Vor­sit­zen­der lang­jäh­rig­ste Ver­eins­chef der KTG, kan­di­dier­te aus Alters- und Gesund­heits­grün­den nicht mehr und über­ließ sei­nen Amts­ses­sel dem bis­he­ri­gen Stell­ver­tre­ter Frank-Burk­hard Habel, der ein­stim­mig gewählt wur­de. Zum Vize wur­de Robert Fär­ber bestimmt, für die rest­li­chen Vor­stands­äm­ter kan­di­dier­ten erneut Schatz­mei­ster Bernd Brün­trup und Hans-Jür­gen Rausch. Für einen der Bei­sit­zer­po­sten wur­de Chri­stia­ne Ille gewon­nen, der ande­re ist noch vakant.

In der Dis­kus­si­on wur­den die Ver­dien­ste Ian Kings, der den Ver­ein 1988 mit­be­grün­de­te, jah­re­lang bereits in ande­ren Vor­stands­po­si­tio­nen gear­bei­tet hat­te und dem die Sati­re auch in miss­li­chen Situa­tio­nen nie abhan­den­ge­kom­men war, um die Wis­sen­schaft­lich­keit und die Kon­tak­te des Ver­eins beson­ders her­vor­ge­ho­ben. Der Vor­schlag des Vor­stan­des, ihn mit der Wür­de und den Arbeits­mög­lich­kei­ten eines Ehren­vor­sit­zen­den aus­zu­stat­ten, fand in der Dis­kus­si­on nach­drück­li­che Zustim­mung, bedarf jedoch noch einer ver­eins­ad­äqua­ten recht­li­chen Konkretisierung.