Es ist schon interessant zu beobachten, wie sich unserer Muttersprache – pardon, unsere Vatersprache natürlich auch – im Laufe ihres Ge- oder Missbrauchs fast täglich verändert. Das Vokabular spiegelt gesellschaftliche Entwicklungsprozesse ebenso wider wie gestörte internationale Beziehungen, politische Partner- und Gegnerschaften und ist ein Gradmesser für technischen, wissenschaftlichen und kulturellen Fortschritt oder für Stagnation, für die Gefährdung ganzer Kontinente, des Erdballs, der Menschheit und des Alls. Man muss es nur richtig interpretieren können.
Für einen wie mich, der noch die Sütterlinschrift mittels eines Griffels auf die Schiefertafel kratzte und aus dessen generationserfahrenem ledernen Schulranzen noch ein Lappen und ein Schwamm zur Säuberung der Tafel baumelten, ist der Übergang zu digitalen Lehr- und Lernmitteln inklusive der damit verbundenen Instrumentarien ein Qualitäts- und Quantensprung, der schwer zu beschreiben ist. Die daraus erwachsenden Dimensionen und der Umgang von gerade mal dem Nuckelalter entwachsenen Schlaubergern mit Smartphones, Computern, Rechnern, Handys und andren Digitalisatoren beschert den Altersweisen ein Staunen nach dem anderen und wird auch nicht dadurch entlastet, dass unsereinem das automatisierte Einmaleins durchaus genügt, um den Preis von vier Ostschrippen ohne die Zuhilfenahme von Google und Apple zu ermitteln.
Allein die Veränderungen im Vokabular des Sprachgebrauchs sind gewaltig, aber der ausgereifte oder heranwachsende Bürger entwickelt hurtig ein Gespür dafür. Es ist halt ein qualitativer Unterschied, ob ein Präsident als »Präsident« oder als »Machthaber« in den Medien erscheint. Und wenn einer unserer Zeitgenossen Modebegriffe wie »Nachhaltigkeit« nicht mindestens in jedem zweiten Satz zelebriert, muss man sich schon mal fragen, welcher Zeit der oder die Betreffende eigentlich zuzuordnen ist. Ein weiteres Problem scheint darin zu bestehen, dass sich die Sprache immer weniger festlegen will und sich ihre Sicherheitsspielräume lässt. Es ist immer häufiger von gefühlten oder vermuteten Erwartungen die Rede, und der Wahlsonntag im Frühherbst war ein geradezu klassischer Beleg dafür, dass Fakten von angenommenen Resultaten oder von nicht erwarteten Problemlagen überschattet werden. Ob es dabei um Kostenexplosionen, um Personalverschätzungen, ums Parteiengerangel oder um organisatorische Fehlleistungen geht, mag zweitrangig sein – dass es so kommt, ist dagegen so gewiss wie das Amen in der Kirche oder der Beifuß im thüringischen Gänsebraten. Was soll man dazu sagen? Am besten »cringe«, auch wenn sich dieses neue »Jugendwort des Jahres« noch nicht überall eingebürgert hat. – Friedegund Deutschmeister (58), Praktikantin, Deutsch Wusterhausen