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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Zu politisch

Die haupt­städ­ti­schen Blät­ter berich­te­ten andern­tags meist ein­spal­tig und ver­gleichs­wei­se ein­sil­big. Zwei Tage vor der Bun­des­tags­wahl waren etwa 100.000 Demon­stran­ten durch das Regie­rungs­vier­tel gezo­gen und hat­ten laut­stark, aber fried­lich ent­schie­de­ne Anstren­gun­gen gegen den Kli­ma­wan­del ein­ge­for­dert. Initi­iert hat­te den Mas­sen­pro­test, an dem sich erkenn­bar Ver­tre­ter aller Gene­ra­tio­nen betei­lig­ten, Fri­day for Future (FFF). Seit Jah­ren sind die ursprüng­lich von Gre­ta Thun­berg (»Skol­stre­jk för Kli­ma­tet«) mobi­li­sier­ten jun­gen Leu­te am Frei­tag unter­wegs. Man ließ sie gnä­dig gewäh­ren, weil sie ohne Kra­wall und Aggres­si­vi­tät ihre selbst­ge­mal­ten Schil­der mit Eis­bä­ren durch die Gegend tru­gen: »Das war’s Lars«. Es war schön harm­los, rühr­te ans Herz und trug zur mora­li­schen Gewis­sens­pfle­ge bei. Die Medi­en schu­fen im Über­schwang ihrer Gefüh­le Iko­nen der Bewe­gung, die Häupt­lin­ge die­ser Welt emp­fin­gen die­se und hoff­ten dadurch ihr eige­nes Image zu heben. Green­wa­shing schwar­zer Seelen.

Dies­mal war jedoch eini­ges anders und erklär­te die Schmal­lip­pig­keit der Jour­na­li­sten. In der Sams­tag-BILD, wo das Bekennt­nis von Arnold Schwar­zen­eg­ger, dass er »ein stren­ger, guter Vater« gewe­sen sei, fast eine gan­ze Sei­te füll­te, wur­de dem Mas­sen­er­eig­nis kei­ne zwei Dut­zend Zei­len und ein klei­nes Bild von Gre­ta T. gewid­met, wel­che auch die Über­schrift lie­fer­te: »Thun­berg nennt Deutsch­land ›Kli­ma-Schur­ken‹«. Empö­rung, Skandal.

Der einst ver­meint­lich libe­ra­le Tages­spie­gel, inzwi­schen kon­ser­va­ti­ver und anti­kom­mu­ni­sti­scher als die Postil­len aus dem Sprin­ger-Ver­lag, wur­de noch deut­li­cher und lie­fer­te auch die Erklä­rung für die Igno­ranz der hie­si­gen Mei­nungs­bild­ner: »Kli­ma­streik: Zu politisch.«

Genau das war der Grund. Die Bewe­gung ist nicht nur brei­ter, son­dern auch poli­ti­scher gewor­den, sie wird augen­schein­lich erwach­sen und ist dabei, die Pha­se unver­bind­li­cher Harm­lo­sig­keit hin­ter sich zu las­sen. Oder wie es in dem mit dem Kür­zel »jas« gezeich­ne­ten Tages­spie­gel-Kom­men­tar ent­rü­stet hieß, dass sich FFF aktu­el­ler gesell­schaft­li­cher The­men anneh­me und dabei Posi­ti­on bezie­he. »Das mögen ehren­wer­te Anlie­gen sein, sie ver­en­gen aber den Raum für die ›Kli­ma­be­we­gung‹, weil sie fast immer mit eher lin­ken Posi­tio­nen übereinstimmen.«

Das Stu­di­um der vie­len mit­ge­führ­ten, noch immer nicht von Agen­tu­ren kom­mer­zi­ell gefer­tig­ten Mei­nungs­be­kun­dun­gen auf Pap­pe und Papier muss die Kom­men­ta­to­ren und Kaf­fee­satz­le­ser in den Redak­ti­ons­stu­ben zwei Tage vor der Bun­des­tags­wahl auf­ge­schreckt haben.

Klei­ne Aus­wahl gefäl­lig? »Lind­ner & Laschet ver­hin­dern. Und die SPD ist auch kei­ne Lösung«, »KEINE ZEIT FÜR EINE LASCHE(T) KLIMAPOLITIK«, »Doch, Armin, wegen sol­cher Tage ändert man die Poli­tik«, »Cor­rupt Demo­cra­tic Uni­on«, »Lasst die Sau raus für nach­hal­ti­ge Land­wirt­schaft«, »Wäre das Kli­ma eine Bank, hät­tet ihr es schon längst geret­tet«, neben einem Kon­ter­fei von Laschet und Scholz: »Die Fra­ge ist nur, wer drei­ster lügt«, »System chan­ge, not cli­ma­te chan­ge«, »Kapi­ta­lis­mus = Kli­ma­kil­ler«, »Der Markt regelt ’n Scheiß« und unmiss­ver­ständ­lich: »CDU abwählen«.

Kein Spruch rief zur Wahl der Grü­nen, der Lin­ken oder über­haupt einer Par­tei auf, wohl aber zur Ver­ab­schie­dung von Kon­ser­va­ti­ven und Libe­ra­len aus der Regie­rungs­ver­ant­wor­tung. Die weni­gen Wahl­ap­pel­le blie­ben dif­fus: »Lie­be Men­schen über 60: Ihr habt 40 % der Stim­men, schenkt sie unse­rer Zukunft.«

Natür­lich fan­den sich in die­sem gewal­ti­gen Zug, der etwa drei Stun­den durch die Fried­rich­stra­ße zog, auch die übli­chen Sprü­che, die die­se Pro­te­ste seit zwei Jah­ren beglei­ten: von »Make love, not CO2« über »Unse­re Zukunft schmilzt weg«, »Ohne Bäu­me kei­ne Träu­me« bis hin zum Gemein­platz »Schützt unse­re Erde«. Das sind die from­men Wün­sche, die die Klug­schwät­zer und -schrei­ber gern kol­por­tier­ten. Doch nun, wo es ans Ein­ge­mach­te, näm­lich an die System­fra­ge geht, schla­gen sie Alarm. Zu poli­tisch! Die ober­fläch­lich geschmäh­ten und tat­säch­lich gelieb­ten »Kli­ma­ideo­lo­gen«, die schon lan­ge Teil des poli­ti­schen Estab­lish­ments die­ser Repu­blik sind, haben sich nicht nur von der Stra­ße ver­ab­schie­det, son­dern wer­den dort erkenn­bar auch beiseitegeschoben.

»Kapi­ta­lis­mus = Kli­ma­kil­ler« – bes­ser als in die­ser Ver­kür­zung lässt sich der Zusam­men­hang von Poli­tik, Wirt­schaft und Fort­exi­stenz der Mensch­heit kaum for­mu­lie­ren. Wer die Welt, nicht nur das Kli­ma, ret­ten will, muss nun mal die System­fra­ge stel­len. Und auch grund­sätz­lich beantworten.