Susan Arndt (54) ist Professorin für englische Literaturwissenschaft und anglofone Literaturen an der Universität Bayreuth. Ich »entdeckte« sie vor einigen Jahren bei einem Besuch des »Museums am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt« in Hamburg, in dessen Shop ich auf ihr inzwischen in dritter Auflage vorliegendes Buch Rassismus aus der Beck’schen Reihe »Die 101 wichtigsten Fragen« stieß.
War Freitag gern Robinsons Sklave? Was lieben wir an Winnetou? Warum kennt sich Tarzan so gut im »Dschungel« aus? Fragen wie diese weckten meine Neugierde. Was haben denn die Helden meiner Kindheitsträume und vieler gern gesehener Abenteuerfilme mit Rassismus zu tun?
Und die Fragen gingen weiter: Gibt es Gene, die Menschen nach Rassen unterscheidbar machen? Wessen Haut ist eigentlich »hautfarben«? Woran erkenne ich rassistische Wörter? Was sollte am Grundgesetz geändert werden? Und schließlich als Frage 101: Gibt es eine Welt ohne Rassismus?
Den Literaturhinweisen entnahm ich, dass Susan Arndt schon lange aufklärerisch unterwegs war. So veröffentlichte sie 2004 das Nachschlagewerk Afrika und die deutsche Sprache und 2011 das Nachschlagewerk Wie Rassismus aus Wörtern spricht – (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. In ihm arbeitet die Verfasserin heraus, wie weiße Europäerinnen und Europäer »kolonialistisches und rassistisches Denken erschaffen und es in Wissensarchiven und ihren Begriffen konserviert haben, durch welche es bis heute wirkmächtig ist«.
Hier setzt Susan Arndts neueste Veröffentlichung an: Rassistisches Erbe – Wie wir mit der kolonialen Vergangenheit unserer Sprache umgehen. Das Buch ist im Dudenverlag erschienen, unbestritten das deutsche Wissensarchiv für Sprache und Rechtschreibung, in dem diese konserviert, aber auch modernisiert, interpretiert und definiert werden. Per se ein Sujet für Susan Arndt, die sich in ihrem Buch auch das Duden-Universalwörterbuch vornimmt. In ihm wie auch in anderen Wörterbüchern des Verlags berufen sich die Redaktionen »auf eine Fülle statistisch ausgewerteten Materials und somit empirisch abgesicherter Daten«, dank derer sie »die Ebene der rein subjektiven Bewertung hinter sich lassen«.
Das glauben sie wenigstens. Susan Arndt hält ihnen entgegen, dass sie, wenn kritische Reflexionen ergänzt werden, »nicht entlang des Wortes rassistisch vorgehen«, sondern vielmehr zu Formulierungen wie »veraltet«, »gilt als veraltet« oder »veraltend« greifen, dabei aber ungesagt und unbewertet lassen, warum früher gebräuchliche Worte wie Mohr, Farbige, Rasse oder das N-Wort nicht mehr verwendet werden sollen.
Die Liste der rassistischen Begriffe ist lang, von Aborigine, Buschmann, Dunkelhäutig, Entdecken, Entwicklungszusammenarbeit, Eskimo, Häuptling, Indianer, Heiden reicht sie durch das ganze Alphabet bis hin zu Plantagen, Stamm, Schutzherrschaft, Tropenmedizin, Volk, Wilde und Zigeuner. Wenn Sie nun ungläubig den Kopf schütteln, wenn Sie irritiert sind: Solche Irritationen sind gewollt. Vielleicht überzeugt Sie beim Lesen die jeweilige Begründung.
Hinzu kommt ein Trick, dessen sich die Autorin bedient. Sie hat sich nicht damit begnügt, die inkriminierten Worte in Gänsefüßchen zu setzen. Da ihr Buch das Ziel hat, über Rassismus zu sprechen, ohne ihn zu reproduzieren, da es außerdem »diskriminierungskritisch« verfasst sein soll, setzt sie vor und nach »gewaltvollen«, rassistischen Zitaten eine Trigger-Warnung in Form eines Warnblitzes ein. Einzelne rassistische Worte werden typografisch gebrochen. Sie werden durchgestrichen, um so deutlich werden zu lassen, dass sie kontaminiert sind. Mit Verweispfeilen zeigt sie an, wenn es zu dem Wort ein eigenes Kapitel gibt. Außerdem benennt sie im Text konkret Handelnde, indem sie nicht: »Im Kolonialismus wurden Rassen erfunden« schreibt, sondern: »Es waren Weiße, die diese erfanden.«
Susan Arndt hat ein erhellendes Buch geschrieben, das gleichzeitig eine kurze Geschichte des Kolonialismus beinhaltet. Ich verspreche Ihnen: Sie werden ums Nachdenken nicht herumkommen. Sie werden erkennen, dass der weiße Blick auf die Welt nicht weise ist. Dass viele Benennungen ein Euphemismus sind für ökonomischen Raubbau, Sklaverei, Imperialismus, Kolonialismus und Neokolonialismus – und für Rassismus, denn: Er baute »als ideologische Waffe des Kolonialismus Strukturen, die weiße Personen mit Privilegien ausstatten und BIPoC – Black, Indigenous und People of Color – dafür zahlen lassen«.
Der Autorin geht es in ihrem Buch »nicht um eine administrativ betriebene oder geforderte staatliche Sprachpolitik, sondern um die analytische Offenlegung dessen, was ›unsere‹ Sprache an Tradierungen enthält, was sie beinhaltet und somit reproduziert – und dabei durch Verleugnungsstrategien schützt«. Sie ergründet »Wörter, die im Kolonialismus geprägt wurden, um aus Rassismus heraus Unrecht als Recht erscheinen zu lassen«.
Dies ganz im Geiste Voltaires, in dessen 14. Dialog zwischen dem Kapaun und der Poularde zu lesen steht: »Die Menschen bedienen sich des Gedankens nur zur Rechtfertigung ihrer Übergriffe und gebrauchen die Sprache nur, um ihre Gedanken zu verbergen.« Womit der Kapaun die Poularde über die menschliche Natur und das Böse in ihr aufklären wollte, da dieses auch sie bedrohe (Quelle: Duden 12, Zitate und Aussprüche, S. 409).
*
Ebenfalls im Dudenverlag hat Ronen Steinke, Journalist bei der Süddeutschen Zeitung und Verfasser einer Biografie über Fritz Bauer, den Ermittler und Ankläger der Frankfurter Auschwitz-Prozesse, seine Schrift über Antisemitismus in der Sprache – Warum es auf die Wortwahl ankommt, veröffentlicht. Sie passt thematisch sehr gut zu dem Arndt-Buch und zeigt auf, »wie in unserer Alltagssprache judenfeindliches Gedankengut transportiert wird«.
Wie zu Beginn manches Antisemitismus-Seminars startet Steinke mit der Empfehlung, die Worte Jude, Jüdin, jüdisch »laut und gleichzeitig ohne Hemmungen« auszusprechen, so um die 40-mal. Eine Übung, die »für nicht jüdische Menschen (…) manchmal schwierig« sei, aber auch für etliche Juden: »Da gehen Bilder durch den Kopf, es sind nicht nur schöne, und auch der Klang der eigenen Stimme lässt manche und manchen innehalten.« Denn: »Jude heißt nicht einfach Jude, das Wort funktioniert seit Langem auch losgelöst von realer jüdischer Religion oder Herkunft als griffiges Negativwort.«
Die Rolle der hebräischen und jiddischen Wörter in der deutschen Sprache, das ist das zentrale Thema dieser kleinen, aufklärenden Schrift. Da gibt es Wörter, die aus dem Jiddischen »wegen ihres guten Klangsֿ« übernommen wurden, wie Meschugge, Macke, Tacheles, Schmusen, Schlamassel und Zores. Und da gibt es ungute, zu vermeidende Wörter wie Ische, heute abwertend für eine Frau mit zweifelhaftem Leumund, Mischpoke, Mauscheln, Schachern und Schmiere stehen.
Steinke beendet sein Buch mit einem verblüffenden Ausflug in den Gesprächsalltag: In Deutschland wird noch immer »nationalsozialistisch« buchstabiert. Die Nationalsozialisten hatten nämlich schon 1934 aus der 1890 erstmals verwendeten und in den Jahrzehnten danach von Zeit zu Zeit veränderten Buchstabiertafel – anfangs für wenige Jahre mit Zahlen statt Wörtern – 14 Begriffe gelöscht. Die Maßnahme sollte dazu beitragen, dass die Juden in der Öffentlichkeit »unsichtbar« wurden, bevor sie später physisch ausgelöscht wurden.
So wurde aus David Dora, aus Jacob Jot, aus Nathan Nordpol, aus Samuel Siegfried, aus Zacharias Zeppelin. Das Ypsilon musste zynischer Weise »Ypern« weichen: In der Schlacht um die belgische Stadt hatte die deutsche Armee im April 1915 erstmals Giftgas als Massenvernichtungswaffe eingesetzt.
Ich gestehe: Auch ich buchstabiere meinen Vornamen mit Kaufmann Ludwig Anton Ulrich Siegfried, den Nachnamen mit Nordpol Ida Ludwig Ida Ullrich Siegfried, und das, ohne viel darüber nachzudenken seit meiner Jugendzeit. Dies umso »unbedenklicher«, da an den verwendeten Namen nichts Verwerfliches haftet und man dem Buchstabierkanon die NS-Relikte nicht anmerkt.
Steinke sieht es ähnlich: »Die Vorstellung, dass Leute jetzt ›umlernen‹, erscheint lebensfern, wenn nicht gar ein wenig Anton, Ludwig, Berta, Emil, Richard, Nathan.« Aber, haben Sie’s bemerkt, der Nordpol ist verschwunden? Denn: »Ein bewussterer Gebrauch von Sprache« sollte auch »ein selbstbewussterer Gebrauch von Sprache« sein.
(Übrigens: Die amtliche deutsche Buchstabtafel trägt die DIN-Nummer 5009.)
Susan Arndt: Rassistisches Erbe, Dudenverlag, Berlin 2022, 256 S., 22 €. – Ronen Steinke: Antisemitismus in der Sprache, Dudenverlag, Berlin 2022, 79 S., 8 €.