Man könnte es einfach sexuelle Gewalt nennen, wenn ein Machtverhältnis ausgenutzt wird, um sexuelle Gefügigkeit zu erzwingen. Jeder wüsste sofort, was gemeint ist. Gerade so aber nennt man den Vorgang in der Regel nicht.
Medien und Politiker haben sich darauf verständigt, lieber von sexualisierter Gewalt zu sprechen, wenn der Herr Pfarrer seine Ministranten oder Onkel Otto seine kleine Nichte missbraucht, oder wenn der Musikprofessor die Nachwuchssängerin mit vagen Karriere-Zusagen dazu bringt, sich vergewaltigen zu lassen. Als sei da erstmal ein Gewaltakt geschehen, der dann nachträglich auf geheimnisvolle Weise »sexualisiert«, also aus etwas Nichtsexuellem in etwas sexuelles umgewandelt würde. Wie aber könnte eine solche Umwandlung geschehen? Wer nimmt sie vor, und was ist ihr Zweck?
Bei Vorfällen im weiten Raum der katholischen Kirche, die in der Öffentlichkeit auf wesentlich mehr Interesse stoßen als die viel zahlreicheren im engsten Familienkreis, mag man versucht sein, das Wandlungswunder mit dem Begriff der »Transsubstantiation« zu erklären, der den Gläubigen verdeutlicht, wie durch die richtigen Einsetzungsworte aus dem Wein nicht nur symbolisch, sondern physikalisch real das Blut des Erlösers wird. Womit dann auch die Faszination des Sündhaften angetippt wäre, ohne dass man sich ernsthaft darauf einlassen müsste.
Im Büro des Musikhochschulpräsidenten dagegen, in den Umkleideräumen des Sportvereins oder in Onkel Ottos Schlafzimmer kommt man mit theologischen Fantasieübungen nicht weit. Dort hat man es ja auch nicht mit Tätern zu tun, die von Berufs wegen zu sexualisierter Abstinenz verpflichtet sind, somit an permanenter sexualisierter Frustration leiden und darum »natürlich« nach Kinderpopos süchtig werden.
Warum aber benennen wir sexuelle Gewalt nicht als das, was sie eindeutig ist? Am Ende gar, um die Opfer zu schützen vor dem Vorwurf, sie hätten vielleicht durch aufreizendes Gehabe zu sexueller Annäherung verführt – was leicht zu widerlegen ist, wenn das Ergebnis der angeblichen Verführung eine zunächst ja noch gar nicht sexualisierte Gewalthandlung war? Oder sollen wir nur leichter so tun können, als wüssten wir nicht, worum es geht, wenn von den mysteriösen Vorgängen ausweichend die Rede ist?
Zumindest bei dem Menschenkenner Shakespeare wusste schon der römische Imperator Julius Caesar, dass die Herrschenden Angst haben müssen vor Untertanen, die Bescheid wissen und nicht zu einfältig oder zu faul sind, um selber zu denken.