Manch schönes Fremdwort verdanken wir der Polis, dem griechischen Stadtstaat. Von ihm kommen bekannte Wörter wie Metropole, Politik, Poliklinik – und Polizei. In der alten Kulturwiege Hellas war der Stadtstaat die pólis, der Stadtbürger der polítes und die Stadtordnung die politeía. Die politeía wurde, als ein Lehnwort, im Frühitalienischen zu polizia im Sinne von öffentlicher Ordnung und Verwaltung. Nach diesem Vorbild entstanden dann im deutschen Raum die mittelalterlichen Polizey-Ordnungen.
Das Wort Polizist für den Ordnungshüter gab es noch nicht. Für die Gefahrenabwehr aber – gegen Feuer, Hochwasser, Diebe und Räuber – hatten viele Städte einen Wachtmeister, der die Wachen und insbesondere die Nachtwächter zum Dienst einteilte. Leider war der Beruf der Letzteren trotz ihrer Wichtigkeit nicht hoch angesehen. Ihre Tätigkeit entsprach der eines Streifen-Polizisten, sie trugen jedoch Horn und Hellebarde statt Trillerpfeife und Pistole.
Eine erste Polizei-Einheit wurde 1791, mitten in der Französischen Revolution aufgestellt. Sie erhielt den einfachen Namen gens d‘armes (bewaffnete Männer). Das Wort und die Sache kamen mit den napoleonischen Kriegen in deutsche Lande. Insbesondere der ländliche Polizist hieß nun Gendarm und heißt in Österreich bis heute so. Die Gendarmerie ist seine Dienststelle. Die Polizei als besonderes Organ von Schutzleuten ist also erst gut 200 Jahre alt. Zuvor gab es zwar Wachmänner, Stadtbüttel und Gerichtsdiener; aber als innerer Ordnungsfaktor dienten bislang vor allem die (königlichen) Truppen von Garde, Garnison und Heer.
Das weite Feld der öffentlichen Sicherheit und Gefahrenabwehr führte seit dem 19. Jahrhundert zu allerhand speziellen Polizeien: Baupolizei (ab 1945 dann Bauaufsicht genannt), Gewerbe-, Transport-, Bergpolizei usw. Die Polizeistunde bestimmte den Zeitpunkt, an dem die Gäste die öffentlichen Schank- und Vergnügungsstätten räumen mussten. Von feuerpolizeilichen Vorschriften liest man gelegentlich noch in Theatern.
Um dasselbe Grundwort, dem unsere Polizei entstammt, rankt sich die große Gruppe des Politischen. Im 17. Jahrhundert kam aus Frankreich die Vokabel politique = Staats- und Regierungskunst. Die Süddeutschen sprechen die letzte Silbe kurz: Pollitick, während die norddeutschen Mundarten hier dehnen: Politiek. Die Fülle der Zusammensetzungen ist groß. Innen- und Außen-, Lohn- und Preispolitik erklären sich selbst. Erklärungsbedürftig ist aber die Geo- oder Weltpolitik. Mit letzterem Wort bezeichneten die expansionsfreudigen Kreise Deutschlands seit 1890 ihr Bestreben, zur Weltmacht zu werden. In Abkehr von einer kriegsvermeidenden Realpolitik der Bismarckzeit war die Weltpolitik verbunden mit Flottenrüstung, Auslandseinsätzen und jahrelanger Politik am Rande des Krieges (bis es 1914 zur vielzitierten und blutigen »Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln« kam).
Ja, Politik und Verbrechen liegen zuweilen dicht beieinander. Doch unter politischen Verbrechen versteht man von alters her etwas anderes, nämlich Majestätsverbrechen: also Taten, die entweder die Majestät des Monarchen beleidigen, die hergebrachte Ordnung stürzen (Hochverrat) oder die äußere Sicherheit gefährden (Landesverrat). Als vorsorgliches Mittel dagegen entstand vielerorts eine geheime politische Polizei. Joseph Fouché, Napoleons europaweit tätiger Polizeiminister, gilt als deren Begründer; aber er hatte seine Vorläufer, z.B. den durch die »Drei Musketiere« bekannten Kardinal Richelieu. In Preußen-Deutschland war es ein Klassenkamerad Bismarcks, Wilhelm Stieber (gest. 1882), der nach erfolgreicher Detektivarbeit eine geheime Staatspolizei aufbauen durfte.
Und jetzt eine Überraschung. Die Police, in jedem Haushalt zu finden, hat mit unserer Wortsippe nichts zu tun. Obwohl in Klang und Schrift so dicht bei Polizei und Politik – der Versicherungsschein hat einen anderen Weg zurückgelegt, nämlich vom Griechischen über italienisch polizza (Schein, Quittung) zu Französisch police. Apropos französisch: Ein hübsches Wort mit radikaler Bedeutungsänderung ist die Politesse. Vor hundert Jahren meinte Politesse nichts anderes als Höflichkeit und feines Verhalten, von französisch poli = artig, höflich. Diese Bedeutung ist nun fast vergessen. Heute versteht man darunter die mehr oder weniger beliebte Parkraum-Überwacherin, im englischen Sprachraum auch meter-maid genannt, Parkuhr-Mädchen. Die Beatles setzten ihr 1967 ein musikalisches Denkmal mit den Zeilen: »Lovely Rita, meter-maid! Where would I be without you.« Aus Polizist und Hostess formte man im Deutschen das Kunstwort Politesse, ein neues Wort für eine neue Aufgabe der Stadtverwaltung. Womit wir wieder bei der Polis mit ihrer politeía wären.