Erfreuliches ist aus Osnabrück zu hören. Die Studentin Sarah Wassermann befasste sich 2020 in ihrer Dissertation »Wir machen weiter – Textiles Laienschaffen in der DDR und Entwicklung nach der Wiedervereinigung« mit der verschwundenen DDR. Und nicht nur sie, auch andere Studenten erforschen, was in der geschmähten DDR, dem »Unrechtsstaat«, künstlerisch möglich und wirklich war. Bei Sarah Wassermann geht es speziell um das Laienschaffen, um »Volkskunst«, ein Begriff, der negativ beladen ist und an »Völkisches« erinnert. Da haben »Bildnerisches Volks- oder Amateurschaffen«, auch »Freizeitkunst« schon einen besseren Klang. Unter »Volkskunst« ist – wenn man die Lexika befragt – das künstlerisch gestaltete Handwerksgut insbesondere der Bergleute, Bauern, Fischer und Hirten zu verstehen, das immer zweckgebunden war. Ute Mohrmann, Professorin für Ethnographie und Mitarbeiterin am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin a. D., untersucht in ihrer Arbeit »Vom konfliktreichen Werden«, was in vierzig Jahren DDR auf dem Gebiet des bildnerischen Volksschaffens entstanden und gewachsen ist, was bewahrt werden muss als Teil des nationalen Kulturerbes.
Erste Mal- und Zeichenzirkel entstanden vorwiegend in den Betrieben um Halle, meist in Betrieben der SAG (Sowjetischen Aktiengesellschaft). Zugrunde lagen gemeinsame Erlebnisse und politische Überzeugungen, die oft in Kollektivarbeiten dargestellt wurden. Gelenkt wurden die Zirkel von Kulturfunktionären, geleitet wurden sie von akademisch ausgebildeten Künstlern. Beachtliche Leistungen sind da entstanden. Die Werktätigen beteiligten sich mit viel Freude an Chören, Theater-, Musik- und Tanzgruppen. Es gründeten sich Singe- und Amateurfilmclubs. Seit 1959 gab es Arbeiterfestspiele. An den Ruhrfestspielen nahm die DDR mit bemerkenswerten Beiträgen teil. Seit 1962 arbeitete das Zentralhaus für Kulturarbeit in Leipzig unter staatlicher Leitung. Seit 1963 erschien die Zeitschrift »Bildnerisches Volksschaffen«, und 1964 entstand, angeregt durch den Bitterfelder Weg, eine Massenbewegung des Volksschaffens. Ziel war die ästhetische Erziehung der Bevölkerung. Es gab die Möglichkeit, eine Spezialschule zu besuchen, an zentralen Lehrgängen teilzunehmen und an Abendschulen in künstlerischen Hochschulen seine Fähigkeiten zu entwickeln. Die Beziehungen zwischen Volks- und Berufskunst wurden enger. In den Kunstausstellungen der DDR in Dresden waren zu Beginn auch Werke des bildnerischen Volksschaffens zu bewundern. Ab 1969 fanden aller vier Jahre entsprechende Ausstellungen statt, die auch im Ausland ein großes Echo fanden. Reglementierungen durch politische Funktionäre wurden in den 1970er Jahren schon kritisch betrachtet, es gab satirische Darstellungen über das Leben in der DDR. Die Freude am Selbstgestalten nahm zu.
Die Volkskunstkonferenz in Gera 1984 konnte 70.000 Mitglieder in 5.000 Zirkeln für Malerei und Grafik, für Plastik und Keramik, für Schnitzerei und Holzgestaltung sowie für Textilgestaltung verzeichnen. Die Mitglieder der Zirkel und Gruppen waren weniger Arbeiter und Bauern, sondern größtenteils Ingenieure, Architekten, Lehrer, Studenten, Schüler und Hausfrauen. Gemeinsame Besuche von Konzert-, Theater- und anderen kulturellen Veranstaltungen – nachzulesen in den Brigadetagebüchern – dokumentieren den gesellschaftlichen Stellenwert der »ästhetischen Erziehung«.
Viele vermissen das heute, zumal nach der »Wende« solche Veranstaltungen oft nicht mehr bezahlbar sind. Erhalten haben sich einige Zusammenkünfte schreibender Arbeiter, die der Bitterfelder Aufforderung »Greif zur Feder, Kumpel« schon vor Jahren gefolgt waren. Auch Chöre und Musikgruppen arbeiten noch unter anderen Voraussetzungen. Mal- und Zeichenzirkel bestehen teilweise mit viel persönlichem Engagement weiter. Mit der DDR verschwunden sind die finanzielle Förderung solcher Zirkel, die Verschmelzung von Arbeit und sinnvoller Freizeitgestaltung. Dennoch sind das kollektive Erlebnis und der Stolz auf Erfolge in den verbliebenen Gemeinschaften geblieben. Es existieren noch Kurse an Volkshochschulen oder Jugendkunstschulen für kulturelle Bildung. Aber alles, was mit DDR zusammenhing, wurde niedergemacht, »aufgearbeitet«. 7.000 Exponate der Malerei, Graphik und Plastik sowie der Textilgestaltung und Keramik werden im Archiv der Akademie der Künste gelagert. Das Kunstarchiv Beeskow bewahrt Arbeiten, die von den Massenorganisationen aufgekauft wurden.
Im Dokumentationszentrum der DDR-Alltagskultur in Eisenhüttenstadt gab es 2015/16 eine sehenswerte Ausstellung unter dem Titel »Freizeit, Kunst & Lebensfreude. DDR-Laienschaffen aus dem Kunstarchiv Beeskow«. Es muss erwähnt werden, dass aus dem Volksschaffen nicht wenige erfolgreiche Berufskünstler hervorgegangen sind. Eine ausgezeichnete Arbeit als Zirkelleiter leisteten die Künstler Bernhard Franke und Wolfgang Speer. Das Pankower Graphikzentrum, das vor einigen Jahren in der Ladengalerie der jungen Welt ausstellte und von Wolfgang Speer geleitet wurde, ist nach wie vor bekannt. In Bitterfeld wird das Werk von Bernhard Franke von der Stadt bewahrt; ein Kunstverein, der aus seinem Zirkel hervorging, kümmert sich darum. Das alles darf nicht vergessen werden. Noch gibt es keine umfassende wissenschaftliche Darstellung des Laienschaffens in der DDR. Ute Mohrmann ist auf diesem Gebiet viel zu verdanken. Es war eben nicht alles schlecht in der DDR, vieles davon gilt es zu erhalten. Geben wir die Hoffnung nicht auf.