»Ich bin übrigens demi«, raunt mir die Frau in der Ausstellung zu. »Oh, cool«, entgegne ich. »Wie Demi Moore.« Sie sieht mich bestürzt an, dann ziemlich geringschätzig – und geht.
Hinterher erfahre ich, dass die Frau nicht Demi, sondern Sandra heißt. Demi, das ist ihre sexuelle Orientierung. Demisexuell.
Es ist doch immer wieder verblüffend, dass man auch als erwachsener und vermeintlich erfahrener Mann nie auszulernen scheint auf dem weiten Feld der Sexualität. In der von ernsthaften Sorgen befreiten Nabelschau erkennt der wohlstandsgesättigte Mensch immer neue Facetten seiner Sexualität und erfindet Namen dafür. Das ist doppelt skurril. Zum einen schaffen ausgerechnet die Menschen, die behaupten, in keine Schublade zu passen, neue Schubladen, in die sie sich freiwillig stecken. Zum anderen benennen sie eben diese Schubladen mit immer ausgefalleneren Bezeichnungen, mit denen sie sich – als reichte es auf anderen Gebieten nicht dafür – vom Normalbürger abheben können. Das Ganze erinnert ein wenig an die Sprachspiele der Dada-Künstler. Nur dass die neuen Sexualitäten nicht annähernd so innovativ sind wie die Gedichte von Kurt Schwitters.
Beispiel Pansexualität. Gemeint ist, dass erst einmal jeder begehrt werden kann. Auf dem Singlemarkt sind die Pansexuellen die Allesfresser. Ihre Orientierung ist zwar seit dem namensgebenden antiken Hirtengott nichts Neues. Immer noch haben Pansexuelle aber damit zu kämpfen, dass ihre vermeintliche Offenheit nicht als Wahllosigkeit abgetan wird. Zu schnell kommt der Eindruck auf, notorisch Unentschlossene würden ihre Unverbindlichkeit intellektuell aufhübschen wollen.
Beim Intellekt sind die Sapiosexuellen ganz vorn dabei. Sie fühlen sich vom Geist ihres Gegenübers angezogen. Das ist ziemlich lahm als Begründung einer eigenen sexuellen Richtung, denn auch die oberflächlichsten Normalsterblichen müssen früher oder später mal ein Gespräch mit ihrem Partner führen. Zumindest ein bisschen Grips hat da wohl jeder gern. Den Intellekt als ausschlaggebendes Kriterium für Anziehung zu machen, ist genauso einseitig, wie auf Brüste zu starren.
Und nun also Demisexualität. Wieder so ein Etikett, das nur dazu erfunden worden zu sein scheint, um Ahnungslose zum Googlen zu zwingen. Das Ergebnis ist ernüchternd: Demisexuelle ordnen sich irgendwo zwischen sexuell aktiv und asexuell ein. Heißt im Klartext: Sie steigen nicht gleich beim ersten Date mit jemanden ins Bett. Und auch nicht beim fünften. Das kann man klassisch konservativ rühmen oder auch als prüde abtun.
Wohin führt das alles? Wir reden mehr als früher über Sexualität, verstehen uns aber immer weniger. Die neuen Begriffe beschreiben alte Vorlieben: Die Sexualität wird recycelt. Mit dem neuen Label hört sich selbst die langweiligste Neigung hipp an: Etikettenschwindel.
Andererseits – vielleicht hält die ständige Namensfindung die Diskussion um die vielen Spielarten der Sexualität lebendig und erweitert das Spektrum dessen, was für normal empfunden wird. Es werden neue Freiräume aufgetan, in denen jeder seine eigene fluide Sexualität ausleben darf. Damit einher gehen aber auch neue Beschränkungen: Wehe dem Pansexuellen, der hetero bleibt. Wehe, ein Sapiosexueller lässt sich mit einem Realschüler ein. Oder ein Demisexueller übernachtet doch schon beim ersten Date.