Daten gelten der Politik als zentraler Rohstoff des 21. Jahrhunderts. Sieht man all die Kriege, die für Rohstoffe geführt wurden, verheißt das nichts Gutes.
Die Bundesregierung hatte 2018 eine »Strategie Künstliche Intelligenz« (KI) beschlossen, damit sich »Deutschland und Europa« (gemeint ist die EU) zum »führenden Standort für die Entwicklung und Anwendung von KI-Technologie entwickeln« können. Ende Januar 2021 legte sie eine »Datenstrategie« vor. Laut Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) will man damit Unternehmen und Behörden dazu bringen, Daten zur gewerblichen Nutzung bereitzustellen, um den Datenturbo auf Touren zu bringen. Datensparsamkeit sei kein »Game-Changer«, ergänzte die Unionsfraktionsvize Nadine Schön.
Neben der Bundesregierung treiben auch Länder und Kommunen den Standortcheck in Sachen KI voran. Baden-Württemberg setzt sich an die Spitze und initiiert einen Wettbewerb zur Einrichtung eines »Innovationsparks KI«. Bei der so erzeugten Konkurrenz zwischen Regionen rechnet sich Karlsruhe im Verbund mit der Wirtschaftsregion Stuttgart und dem Neckar-Alb-Kreis gute Chancen aus, zumal sich die Stadt schon Smart City nennt und die Förderung eines weiteren Smart Production Parks übernimmt. Aber auch Tübingen hat was zu bieten: Ende 2016 fiel der Startschuss für die Cyber Valley als »Europas größtes Forschungskonsortium im Bereich der künstlichen Intelligenz mit Partnern aus Wirtschaft und Industrie«. Das schwäbische Silicon Valley stößt allerdings auf erheblichen Widerstand. Kritisiert wird die Kommerzialisierung der Wissenschaft und die Nähe zu Partnern aus der Rüstungsindustrie. Neben dem Land, der Max-Planck-Gesellschaft und den Universitäten Stuttgart und Tübingen beteiligen sich als »Gründungspartner« BMW, Daimler, Porsche, der Autodienstleister IAV, ZF Friedrichshafen – und Amazon, der Konzerngigant, der bei KI mit der CIA kooperiert. Sie bringen neben Geld ihre Interessen an Forschungsergebnissen aus der öffentlich finanzierten Wissenschaft und an schnellem Transfer der KI-Forschung in ihre profitorientierte Anwendung ein.
Diese Ziele werden in den Beschlussvorlagen der beteiligten Kommunen zum Innovationpark KI auch ausdrücklich als Sinn und Ziel des Projektes hervorgehoben. Den Gemeinderäten wie der interessierten Öffentlichkeit wird keine Zeit für Analysen und Diskussionen gelassen. Es geht um dreistellige Millionenbeträge von Bund, Land und Privaten, um riesige Flächen als Testgelände und um die Vernetzung von öffentlicher Förderung und privaten wirtschaftlichen Interessen. Die Stadträte der drei Partnerregionen – mit Ausnahme der Linken – stimmten zu, ohne Auflagen wie Tarifbindung, Umweltschutz oder eine Zivilklausel.
Was ist auch schon dagegen einzuwenden, wenn die »wissenschaftliche Revolution« rasch nützliche Anwendung findet in allen Bereichen des Lebens? Viele Kranke wissen die technischen Fortschritte in Diagnostik und Therapie zu schätzen. Die Uni Tübingen als Gründungsmitglied der Cyber Valley beschreibt weitere Anwendungsmöglichkeiten wie automatische Bildverarbeitung in Kameras, Staubsauger- und Rasenmäher-Roboter, autonome Fahrzeuge oder KI-Sicherheitssysteme. Und auch in der Infrastruktur und Produktion zeichnen sich bereits Veränderungen ab durch intelligente Stromnetze, autonome Kommunikation der Maschinen oder maschinelles Lernen. Zu den gesellschaftlichen Auswirkungen heißt es lapidar, man wolle »den Wandel (…) unseren Europäischen Werten folgend verantwortlich gestalten«.
Was in zahlreichen aufwändig gestalteten Propagandaschriften nicht vorkommt, das sind die anderen Anwendungsgebiete: Lenkung von Drohnenschwärmen, autonome Waffensysteme und Killerroboter, Gesichtserkennung und flächendeckende Überwachung, Propaganda und Manipulation der öffentlichen Meinung. Der US-Geheimdienst CIA betrieb schon 2017 in enger Verbindung mit dem Silicon Valley 137 KI-Projekte. Der IBM-Konzern wirbt für die »Stärkung der nationalen Sicherheit mit Cloudlösungen und künstlicher Intelligenz, um strategische Flexibilität und militärische Vorteile zu erreichen«. Und bei der Münchner »Sicherheitskonferenz« war 2019 KI das große Thema der Geheimdienste und Streitkräfte, wie die SZ berichtete (19.2.19). Auch der »Einfluss von KI in Verbindung mit dem neuen Mobilfunk-Standard 5G auf die globale Machtbalance« sei dort Dauerthema gewesen.
Menschenrechte spielen bei der »Sicherheitspolitik« keine Rolle. Wie der kritische Entertainer Jan Böhmermann in seiner ZDF-Sendung Magazin Royal zeigte (05.02.2021), ist die EU-Grenzschutzagentur Frontex dabei, ein flächendeckendes Überwachungsnetz aufzubauen. Treffen dieser EU-Agentur mit Rüstungskonzernen wurden von Frontex geleugnet, sind aber bewiesen – genauso wie die Verstöße gegen Menschen- und Völkerrecht bei den Push-Backs von Flüchtenden. Frontex rüstet massiv auf, mit KI-Mustererkennung, militärisch geschultem Personal, mit Drohnen, Satelliten und Radar. Alles für die Sicherung der EU-Außengrenzen, mit einem Budget von knapp 550 Millionen Euro.
Wer entscheidet eigentlich über den Einsatz all dieser Anwendungen? Der Markt und seine profitgetriebenen Akteure? Die NATO, Geheimdienste, Frontex? Die weltbeherrschenden Digitalkonzerne Amazon, Facebook, Google und Co? Oder die Risikokapitalgeber, die nur auf den Gewinn schauen? Das ist die wichtige Frage, die auch die Befürworter der neuen Technik mit ihrem Hinweis auf die »Unschuld« jeder Erfindung beantworten müssten.
Die EU strebt bei der KI eine Führungsrolle an, denn die neue Technologie sei die entscheidende Quelle von Wirtschaftswachstum. Und zur ökonomischen Führung gehört das militärische Potential. Es gibt bereits eine Reihe von Programmen der EU, um die Aufrüstung und Modernisierung aller Waffengattungen zu forcieren. Christoph Marischka beschreibt in der Studie »Eine autonome Aufrüstung« (2020) die militarisierte Politik der EU in dem Bestreben, neben den USA und China ein konkurrenzfähiger weltpolitischer Akteur zu werden. Das Streben nach militärgestützter Expansion bedarf natürlich der Vernetzung mit Rüstungskonzernen. Die Interessenverbände von Industrie und Risikokapital fördern und fordern die Investitionen in riskante Unternehmungen die KI-Entwicklung. Beratungskonzerne wie Roland Berger oder McKinsey propagieren, laut Marischka, die politische Förderung von KI-Startups, die öffentlich finanzierte Forschung mithilfe von Wagniskapital rasch kommerzialisieren sollen.
Der Fantasie und der Begehrlichkeit sind bei der KI keine Grenzen gesetzt. Der 185 Milliarden Dollar schwere Unternehmer Elon Musk hat die Firma Neuralink zur Entwicklung von Neurochips gegründet, die – im Kopf implantiert – mit dem Smartphone kommunizieren sollen, um Gesundheitsschäden zu reparieren. Der »Transhumanismus« entwickelt Konzepte, um die biologischen Grenzen des Menschen durch Technik zu überwinden. Die Verschmelzung der künstlichen mit der menschlichen Intelligenz sei die nächste Stufe der Evolution. Als Problem wird dabei erkannt, dass der KI die Empathie fehlt. Das soll aber nicht so bleiben: Unternehmen wollen die KI-basierte Interaktion mit Einfühlsamkeit anreichern. Die Integration von Empathie-ähnlichem Verhalten mache KI erst massentauglich. Vielleicht sollte man auch die Killerroboter mit dieser Fähigkeit ausstatten.
Bei Betrachtung und Bewertung all dieser KI-Pläne und -Anwendungen wird erkennbar, dass nicht von der neuen Technik an sich Gefahr droht. Sie geht von den Interessen der Profiteure und den gesellschaftlichen Macht- und Entscheidungsstrukturen aus. Denn KI ermöglicht weitgehend ohne demokratische Kontrolle ganz neue Formen der Überwachung, der Kriegsführung und der individuellen Beeinflussung durch Propaganda. Sie befeuert ein neues Wettrüsten, das durch die massive Einflussnahme des militärisch-industriellen Komplexes unbeherrschbar wird. Regeln des Völkerrechts werden ausgehebelt. Autonome Systeme nehmen den Menschen die Entscheidung über Mord und Krieg ab. Die Maschinen werden nicht die Herrschaft über den Menschen übernehmen; sie werden aber von Machteliten genutzt, um ihre Herrschaft zu festigen und auszubauen. KI-Maschinen sind lernfähig; ein System, das von Profitinteressen gelenkt wird, nicht.
Profiterwartung ist eine denkbar schlechte Entscheidungshilfe für KI-Projekte. Staatliche Förderung und private Aneignung ist Umverteilung zu Lasten der Bevölkerung. Ein notwendiger Schritt zur Änderung ist die Schaffung eines öffentlichen Bewusstseins für all die Gefahren des Kontrollverlusts über Entscheidungen, die unser aller Leben betreffen. Ethikkommissionen und Plädoyers für Datenschutz genügen nicht. Die Regulierung muss sich auf die Entflechtung der wirtschaftlich-politischen Interessen erstrecken, damit das Gemeinwohl über das Privatinteresse gestellt, Friedenspolitik durchgesetzt und wirtschaftliche Macht demokratisch kontrolliert wird.