Bei der Frage, ob die gegenwärtigen inflationären Tendenzen bald abflauen oder sich festsetzen werden, gibt es – vor allem mit Blick auf laufende Lohnverhandlungen – den Verweis darauf, die Preissteigerungen würden ja doch überwiegend entweder Energiekosten betreffen oder aber auf Lieferkettenproblemen etwa bei Halbleitern zurückzuführen sein, die sich im Laufe der Zeit entspannen würden. Einer der zentralsten Preise überhaupt aber lässt sich nicht in dieses Schema der Inflationsleugner pressen.
Weizen wurde an der europäischen Leitbörse für landwirtschaftliche Produkte, der MATIF in Frankreich, seit Herbst 2013 bis Mitte 2020 für um die 200 Euro pro Tonne gehandelt. Seitdem geht es mit den üblichen Schwankungen beständig aufwärts. In der zweiten Novemberwoche notierte der Weizenpreis erstmals über 300 Euro. Für die Frankfurter Allgemeine Zeitung schätzte am 19. November Wieland Staud in einer »technischen Analyse« ein, dass dies noch nicht der Endpunkt sein werde, sondern Steigerungen um weitere 8 bis 10 Prozent zu erwarten seien. Er gab die düstere Prognose ab: »Es ist nicht selbstverständlich, dass Nahrungsmittel im Überfluss zur Verfügung stehen – schon gar nicht zu den heutigen Preisen in Europa.«
Dieser Teil der Preissteigerungen hat zwar auch mit Energiepreisen zu tun. Aber er ist erstens Ergebnis einer schon längeren Entwicklung. Zweitens spiegelt er den Rückgang der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen bei weiter steigender Zahl der Erdbevölkerung und nahezu stagnierender Produktivitätsentwicklung in der Landwirtschaft wider. Und drittens ist bei den Lebensmittelkonzernen Verlass darauf, dass sie den Preistrend früher oder später mit Aufschlägen für die eigenen Profite an all diejenigen weitergeben werden, für die Brot, Nudeln und andere Weizenprodukte die Hauptnahrungsmittel sind.
Am Weizenpreis hängt politisch viel. An seiner Entwicklung werden zunächst vermutlich die Versuche scheitern, die sich etablierende Inflation weg zu prognostizieren.