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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Weichen gestellt

Knapp zwei Mona­te nach der Par­la­ments­wahl vom 10. Novem­ber waren in Spa­ni­en die Wei­chen gestellt. Am 30. Dezem­ber prä­sen­tier­te der amtie­ren­de Mini­ster­prä­si­dent Pedro Sán­chez gemein­sam mit Pablo Igle­si­as von der Links­par­tei Uni­das Pode­mos (UP) ein Regie­rungs­pro­gramm, das den Kata­la­nen Ver­hand­lun­gen über einen neu­en Kom­pe­tenz­trans­fer und allen Spa­ni­ern mehr sozia­le Gerech­tig­keit in Aus­sicht stellt. Dafür muss­te Sán­chez (Part­ido Socia­li­sta Obre­ro Espa­ñol; PSOE) bei sei­nen Ver­hand­lun­gen mit UP-Gene­ral­se­kre­tär Igle­si­as gro­ße Zuge­ständ­nis­se machen. Mit der Kri­se, den sozia­len Ein­schnit­ten und dem schlech­ten Kri­sen­ma­nage­ment der Rech­ten in Kata­lo­ni­en – geführt von der Part­ido Popu­lar, der Ciu­da­d­a­nos und der reak­tio­nä­ren VOX – hat das Land ein gan­zes Jahr­zehnt ver­lo­ren, klag­te der UP-Gene­ral­se­kre­tär bei der Vor­stel­lung des Koalitionsvertrags.

Kern­stück des 50-sei­ti­gen Pro­gramms ist die Auf­he­bung der Arbeits­markt­re­form, die vor allem Unter­neh­men begün­stig­te und von Sán­chez’ kon­ser­va­ti­vem Vor­gän­ger Maria­no Rajoy 2012 durch­ge­setzt wor­den war. Vor­ge­se­hen ist auch eine Steu­er­re­form, die Bes­ser­ver­die­ner zur Kas­se bit­tet. Im Maß­nah­men­pa­ket fin­den sich auch eine Erhö­hung des gesetz­li­chen Min­dest­lohns von der­zeit 900 auf 1200 Euro und ein Kün­di­gungs­schutz für krank­ge­schrie­be­ne Arbeit­neh­mer. Auch gesell­schafts­po­li­tisch sieht die Links­ko­ali­ti­on Hand­lungs­be­darf, die Gehalts­lücke zwi­schen Män­nern und Frau­en soll geschlos­sen wer­den. Der Reli­gi­ons­un­ter­richt soll ab sofort kein Pflicht­fach an Schu­len mehr sein. Ein Kapi­tel im Pro­gramm ist dem Umgang mit Kata­lo­ni­en gewid­met. Die Koali­ti­on ver­pflich­tet sich zum Dia­log und zu Ver­hand­lun­gen, um eine poli­ti­sche Lösung für die schwe­len­de Kri­se zu fin­den. Das ist eine Emp­feh­lung der kata­la­ni­schen Links­re­pu­bli­ka­ner der Esquer­ra Repu­bli­ca­na de Catalu­nya (ERC), die drei­zehn Abge­ord­ne­te im Par­la­ment stellt und damit den Schlüs­sel für Sán­chez´ Wie­der­wahl zum Regie­rungs­chef am 7. Janu­ar (nach Ossietzky-Redak­ti­ons­schluss) in der Hand hält. Die Ent­hal­tung der ERC bei der Wahl ermög­licht der neu­en Links­ko­ali­ti­on, das erstark­te rech­te Lager im Par­la­ment zu über­stim­men, aber die Mehr­heit ist fra­gil. Eine Rol­le spie­len auch juri­sti­sche Entwicklungen.

Der Gene­ral­an­walt des Euro­päi­schen Gerichts­hofs (EuGH) hat­te im Novem­ber 2019 in einem Gut­ach­ten erklärt, dass der Vor­sit­zen­de der ERC, Ori­ol Jun­que­r­as, Immu­ni­tät genie­ße und nicht in einem spa­ni­schen Gefäng­nis, son­dern im Euro­päi­schen Par­la­ment sit­zen soll­te. Der Euro­päi­sche Gerichts­hof folg­te dem Gut­ach­ten und bestä­tig­te im Dezem­ber, dass Jun­que­r­as frei­ge­las­sen wer­den müs­se. Das Gericht in Luxem­burg befand, dass der spa­ni­sche Staat gegen EU-Recht ver­sto­ßen habe, als er es dem inhaf­tier­ten ERC-Prä­si­den­ten im Mai nicht erlaub­te, sein Man­dat in Brüs­sel anzu­tre­ten. Der sepa­ra­ti­sti­sche Poli­ti­ker habe nach der Wahl zum EU-Par­la­men­ta­ri­er bereits Immu­ni­tät genos­sen und hät­te somit aus sei­ner Unter­su­chungs­haft ent­las­sen wer­den müs­sen, monier­te der EuGH.

Jun­que­r­as, einst stell­ver­tre­ten­der Mini­ster­prä­si­dent von Kata­lo­ni­en, war wegen sei­ner Rol­le bei dem nach der spa­ni­schen Ver­fas­sung ver­bo­te­nen Unab­hän­gig­keits­re­fe­ren­dum zu 13 Jah­ren Haft ver­ur­teilt wor­den. Das Unab­hän­gig­keits­re­fe­ren­dum in Kata­lo­ni­en – kata­la­nisch Referèn­dum d’Au­to­de­ter­mi­na­ció de Catalu­nya – fand am 1. Okto­ber 2017 statt.

Am 30. Dezem­ber 2019 mel­de­te sich ein Juri­sten­gre­mi­um, das die spa­ni­sche Regie­rung berät, zu Wort und plä­dier­te für Jun­que­r­as’ vor­läu­fi­ge Haftentlassung.

Die kon­ser­va­ti­ve Oppo­si­ti­on kri­ti­sier­te Sán­chez’ Regie­rungs­pro­gramm laut­stark. Der Sozia­list habe, so Pablo Casa­do von der Part­ido Popu­lar, sei­ne Lands­leu­te getäuscht und ein­fach den For­de­run­gen der Unab­hän­gig­keits­be­für­wor­ter nach­ge­ge­ben. Ins glei­che Horn bläst Caye­ta­na Álva­rez de Tole­do y Peral­ta-Ramos aus der Füh­rungs­rie­ge der PP. Sie bezeich­net und beschimpft die für die Unab­hän­gig­keit ein­tre­ten­den Par­tei­en und Per­so­nen als »Faschi­sten«. Da ist die Wort­wahl des Vor­sit­zen­den der ultra­rech­ten VOX, Sant­ia­go Abas­cal, der das Tun von Mini­ster­prä­si­dent Pedro Sán­chez als »Lan­des­ver­rat« bezeich­net, fast noch harmlos.