Nichts in der Welt sei weicher als Wasser, heißt es im Taoteking des Laotse, und doch bezwinge nichts das Starre und Harte derart wie das Wasser. Es ist nicht wirklich entschieden, wer oder was am Ende gewinnen, sich durchsetzen wird. Es sind 81 Sprüche vom »Alten Meister« aus China überliefert und der Spruch vom weichen Wasser, das den harten Stein besiegt, ist populär bis heute. Das ist einem Dichter des 20. Jahrhunderts zu danken, der die philosophisch-hartnäckige Geduld des ewigströmenden Wassers und die Geschichte des Spruches in den Bernstein einer Ballade gebannt hat. Bertolt Brecht nahm um 1938 in »Die Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration« diesen Kerngedanken wieder auf, in Dänemark, wo er selbst auf dem Weg in die Emigration war.
Dies zur Vorgeschichte des Buches, das 2021 zweisprachig (dt./engl.) im Schibri Verlag erschienen ist, herausgegeben von Manfred Schewe: »81 Sprüche zur Enthärtung der Welt«. Das Buch versteht sich als Anstoß zu einem interkulturellen Dialog in der (nicht nur) von Covid-19 heimgesuchten Welt und über sie. Der Herausgeber hat 81 Autorinnen und Autoren aus 14 Ländern (u. a. Chile, Deutschland, Frankreich, Italien, Irland, Israel, Schweiz, Ukraine, USA) eingeladen, über den Spruch Laotses auf je eigene Art und Weise in Wort und Bild zu reflektieren, zu träumen und zu fantasieren.
Wer nach dem ersten Blick unter dem Titel ein Sachbuch über Techniken des Wasserenthärtens vermutet, wird enttäuscht sein. Es entfaltet, nach einer das ganze Projekt darlegenden Einführung, sich über 238 Seiten ein Kaleidoskop der Weltwahrnehmung und gleichzeitig eine vielschichtige Interpretation der über zweitausend Jahre alten Spruchweisheit. Literatur, Kunst, Gegenwart, Zukunft, Denk- und Sichtweisen fließen hier zu einem kurzweilig zu lesenden Gewebe ineinander kurzweilig, aber keineswegs anspruchsarm: Der Beitrag von Almut Küppers aus Frankfurt a.M. etwa erzählt auf raffinierte Weise eine an Brecht angelehnte Geschichte: »Herr Keuner und das Virus«, in der sie eine ganz andere Gefährlichkeit ins Spiel bringt, die das aktuelle Virus schon seit jeher überbietet, nämlich das Virus der Ausländeritis, die uralte Ablehnung des Fremden.
Auch Conal Creedon aus Cork (Irland) führt gedanklich, einen Satz von Albert Einstein paraphrasierend, über den gegenwärtigen Covid-19 Zustand hinaus, den Creedon bereits als einen dritten Weltkrieg wahrnimmt, den Einstein nur prophezeit hat, um zu folgern, dass der vierte Weltkrieg wieder mit Stöcken und Steinen ausgetragen werden wird. Creedon will dem großen Einstein nicht widersprechen, aber er lässt offen, ob es tatsächlich so sein wird. Am Himmel über dieser fragilen Erde, so möchte ich meinerseits vorläufig und vorsichtig schlussfolgern, zeichnen sich eher kosmische Kriege ab.
Gert Hofmann, ebenfalls aus Cork (Irland), geht dem Spruch des Weisen direkt nach und liefert auf knapp drei Seiten einen konzisen Grundtext zum integrativen Unternehmen, das ich in seiner umfassenden Dimension hier nur streifen kann. Ein gelungenes Projekt übergreifender Zusammenarbeit. Es wird wohl, entgegen der postulierten Absicht, nicht wirklich zur Enthärtung der Welt beitragen, aber zum Verstehen und einander Zuhören, es kann ein Bewusstsein schaffen von der Gefährdung weltweit.
Ob es letztlich zu einer »Enthärtung« kommen, das Harte durch das Weiche besiegt werden wird, sei dahingestellt. Wichtiger könnte es sein, mehr auf das Biegsame zu achten, worauf Ger FitzGibbon verweist: »A reed before the wind lives on, while mighty oaks do fall.« Er zieht hier Einsichten von Aesop und Chaucer zusammen, die gesagt haben, dass ein Schilf sich unbeschadet im Wind wiegen kann, während Eichen brechen, fallen, stürzen können. Walter Benjamin sagte das einmal ähnlich, wenn er meinte, dass man zwar immer revolutionär sein solle, aber nie konsequent.
Also: Das Büchlein ist nur zu empfehlen, und eine Fortsetzung des Projekts wäre weiches Wasser auf die harte
Mühle der Zeit.
81 Sprüche zur Enthärtung unserer Welt, hrsg. von Manfred Schewe. Schibri-Verlag, Milow 2019, 238 S., 22,80 €.