Hinaus aus der Politik mit dem Schuft« – gäbe es einen Nachfolger für Karl Kraus, er hätte sicher diesen Slogan gewählt, um die Politik der »Neuen ÖVP« des (Ex-)Kanzlers Sebastian Kurz in Grund und Boden zu kritisieren. Es lohnt sich, ein wenig in Österreichs Geschichte zu stöbern. In den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, in Österreich herrschte Inflation, Spekulationsgeschäfte waren an der Tagesordnung, erfand der aus Budapest nach Wien geflüchtete Imre Békessy, er hatte mit dem Regime Béla Kuhn sympathisiert, jene Art der »Meinungsmacherei und Meinungsmanipulation« die nun auch dem ÖVP Kanzler Sebastian Kurz das Genick brechen könnte.
Békessy gründete in Wien zwei Zeitungen Die Börse und Die Stunde und erfand jenen »Revolverjournalismus«, der so weit führte, den Chefredakteur der sozialistischen Arbeiter Zeitung ohne Namensnennung als Kinderschänder zu denunzieren. Wollte man in Békessys Blättern positiv vorkommen, musste ein Obolus entrichtet werden. Das Damoklesschwert der »Enthüllung« wirkte, und das Geschäftsmodell, sich positive Erwähnungen bezahlen zu lassen, wurde immer unverfrorener. Karl Kraus beschäftigte sich in seiner Zeitschrift Die Fackel im Jahre 1925 in mehreren Ausgaben mit Békessy. »Hinaus aus Wien mit dem Schuft« beginnt und endet die Abrechnung mit Békessy. 1926 begann sein Niedergang. Er musste Österreich verlassen und starb im Jahre 1951 in Ungarn. In dem Drama »Die Unüberwindlichen« hat Karl Kraus Imre Békessy karikiert. Es gab also auch schon in der ersten Republik eine fragwürdige Medienpolitik.
Auch die heutige österreichische Medienlandschaft wird durch eine Boulevardpresse dominiert. Die Kronen Zeitung ist führend, gefolgt von den Blättern Österreich und Heute. Die etwas »seriöseren Tageszeitungen« sind außer dem liberalen Standard meist der »politischen Richtung« des Bundeslandes, in dem sie erscheinen, wohlwollend nahe stehend, also meist rechtskonservativ aufgestellt.
Die derzeit größten Profiteure der politischen Inseratvergabe waren: Kronen Zeitung mit 8,4 Mio. Euro, Österreich mit 5,2 Mio. Euro und Heute 5,5 Mio. Euro, was noch an weiteren Zahlungen dazu kommt, ist kaum richtig zu erfassen. Ein breites Feld also für jene Medienpolitik, die, dem Motto folgt: »Wer zahlt bestimmt.«
Hier aber beginnt der Aufstieg des Sebastian Kurz. Im Frühjahr 2016 ging es los: Der damalige Außenminister Kurz, Gernot Blümel (Wiener ÖVP Parteiobmann) und Thomas Schmid (Generalsekretär im Finanzministerium) wollten damals die im Weg stehende Regierung von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und ÖVP Vizekanzler Reinhold Mitterlehner in die Wüste schicken. In einem bekannt gewordenen Chat bezeichnete Kurz seinen ÖVP-Kollegen als »Arsch«, und sein wichtigster Helfer, Thomas Schmid, chattete siegestrunken: »Diese alten Deppen sind so unerträglich! Keiner musste sich jemals einer Bundeswahl stellen und den Schwachsinn der Vorgänger erklären! Du hast das alles erfolgreich geschafft, und wir durften dabei mitarbeiten. Mitterlehner ist ein Linksdilettant und ein riesen oasch!! Ich hasse ihn. Bussi Thomas.«
Es folgte die erste Kurz-Regierung, eine Koalition mit der FPÖ (österreichische AFD), die mit »Ibiza« und dem Rücktritt des FPÖ Vizekanzlers H. C. Strache endete. Sebastian Kurz baute die aus vielen Interessensgemeinschaften bestehende ÖVP um, in eine »neue«, in der er allein bestimmte.
Früher geplagt vom Proporz, den SPÖ und ÖVP in der zweiten Republik erfunden hatten, um entsprechend der jeweiligen Machtverhältnisse die Staatsposten zu verteilen, durfte nun auch die rechtsnationale FPÖ mitnaschen und missbrauchte (Grasser, Meischberger, Strache) den Zugang zu Macht und Ämtern. Schon vorher eröffnete sich den beiden Großparteien ÖVP und SPÖ ein enormes Einflusspotenzial. Beide Parteien ließen auch wenig Zweifel aufkommen, dass die Führungsetagen nach parteipolitischen Kriterien zu besetzen seien: In allen Koalitionsvereinbarungen, die zwischen 1945 und 1963 von ÖVP und SPÖ geschlossen wurden, wurde festgehalten, dass sich das parlamentarische Kräfteverhältnis in den Besetzungsentscheidungen widerspiegeln müsse. Der Proporz wurde damit fester Bestandteil der österreichischen Wirtschaftspolitik. Medienpolitik war da immer auch im Spiel, etwa bei Gründung der Kronen Zeitung, die mit Gewerkschaftsgeldern aus der Taufe gehoben wurde und heute sicher kein Klassenkampforgan mehr ist, sondern inhaltlich die BILD-Zeitung noch überholt.
Die Republik Österreich entwickelte sich immer mehr zum Parteieigentum, und dabei half, um zum Beispiel Sebastian Kurz an die Macht zu bringen, die Tageszeitung Österreich mit. Meinungsumfragen zu Gunsten der »neuen« ÖVP und ihres Führers Kurz wurden manipuliert und sorgten für Wahlerfolge.
Und nun das: Am 6. Oktober 2021 um 10:23 Uhr begann eine Hausdurchsuchung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) in der ÖVP-Zentrale in Wien. Die richterlich genehmigte Razzia betraf auch das Kanzleramt und Büros im Finanzministerium. Betroffen waren u. a. Johannes Frischmann (Kanzlersprecher), Gerald Fleischmann (Medienbeauftragter von Kurz) und der Kurz-Berater Stefan Steiner, dazu noch der Ex-Chef der Österreichischen Beteiligungs-AG (ÖBAG) Thomas Schmid.
Es gibt einen über hundert Seiten starken Bericht der WKStA, wonach Schmid&Co im Dienst des späteren Kanzlers Kurz mit Steuergeldern Gefälligkeitsberichterstattung im Medienkonzern Österreich organisiert haben. Es wird gegen Kurz selbst und seine Helfer wegen Untreue, Bestechung, Bestechlichkeit und Verschleierung ermittelt. Alle Beschuldigten bestreiten die Straftaten, und natürlich, nun kommt das oft gebrauchte Zauberwort, es gilt, na was? Die Unschuldsvermutung!
Der Koalitionspartner dieser »neuen« ÖVP, der nun plötzlich ziemlich alt aussah, die Grünen, ließen durch ihren Vizekanzler Werner Kogler ausrichten, dass man die Handlungsfähigkeit von Sebastian Kurz in Frage stelle – und signalisierte, dass man mit der ÖVP aber weiterregieren wolle, wenn die ÖVP einen untadeligen Kanzlerkandidaten benennen würde. Den haben sie mit Alexander Schallenberg, einem engen Kurz-Vertrauten, zuletzt Außenminister, dann angeblich bekommen, während Kurz Fraktionschef wird und Parteichef bleibt. Dass die Grünen bei dieser offenkundigen ÖVP-Operette mitspielen – um ja an der Macht zu bleiben – ist an Schamlosigkeit nicht zu überbieten.
Der Bundespräsident erklärte etwas später den »lieben Österreicherinnen und Österreicher und allen anderen Menschen, die in Österreich leben«, dass die Vorkommnisse sicher keine Staatskrise wären, die bekannt gewordenen Fakten aber der Demokratie schaden würden.
Die zunächst alle hinter Kurz stehenden ÖVP-Landesfürsten, samt der Landeshauptfrau von Niederösterreich, mussten irgendwann hinter verschlossenen Türen erkannt haben, dass es bei einem erfolgreichen Misstrauensantrag gegen Kurz wenig Chancen für eine Regierungsmehrheit geben könnte. Also erschien Sebastian Kurz am Samstag, den 9.10,2021, zur besten Fernsehzeit am Abend und erklärte unter anderem: »Die Vorwürfe stammen aus dem Jahr 2016. Sie sind falsch. Und ich werde das auch aufklären können, davon bin ich zutiefst überzeugt (…), vermischt werden diese strafrechtlichen Vorwürfe mit SMS-Nachrichten, die ich in der Hitze des Gefechts geschrieben habe. Manche davon sind Nachrichten, die ich so definitiv nicht noch einmal formulieren würde. Aber ich bin auch nur ein Mensch – mit Emotionen. Und auch mit Fehlern.«
Noch vor wenigen Monaten hatte der steirische ÖVP Landeshauptmann (Ministerpräsident) Hermann Schützenhöfer gesagt: »Wir lassen uns unseren Kanzler nicht herausschießen!« Einen Tag später allerdings rechnet der Landeshauptmann kaum noch mit einer Kurzkanzlerrückkehr: »Wir konzentrieren uns jetzt auf den Alexander Schallenberg.«
Das Geschäftsmodell »Österreich im Besitz politischer Parteien« wird sicherlich in weiteren Kapiteln fortgeschrieben. Als Parlamentarier hat Exkanzler Kurz Immunitätsschutz. Es ist zu befürchten, dass er in seinen neuen Positionen sein bisher praktiziertes Politikverständnis fortsetzen wird. Noch hoffen die Grünen, dass mit dem neuen Kanzler alles bleibt, wie es war. Doch Kurz als ÖVP-Klubchef (Fraktionsvorsitzender) ist mehr als makaber. Als Kanzler verachtete er wie kein Zweiter das Parlament. Alexander Schallenberg, als Kurz-Statthalter, könnte ihm darin nachfolgen. Diplomaten bescheinigen ihm, hinter vorgehaltener Hand ein »Rückgrat wie ein Gartenschlauch«.
Kann Österreich freier atmen? Sicher nicht. Karl Kraus abgewandelt: HINAUS AUS DER POLITIK MIT DEN SCHUFTEN!