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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Weg mit dem Schuft

Hin­aus aus der Poli­tik mit dem Schuft« – gäbe es einen Nach­fol­ger für Karl Kraus, er hät­te sicher die­sen Slo­gan gewählt, um die Poli­tik der »Neu­en ÖVP« des (Ex-)Kanzlers Seba­sti­an Kurz in Grund und Boden zu kri­ti­sie­ren. Es lohnt sich, ein wenig in Öster­reichs Geschich­te zu stö­bern. In den zwan­zi­ger Jah­ren des vori­gen Jahr­hun­derts, in Öster­reich herrsch­te Infla­ti­on, Spe­ku­la­ti­ons­ge­schäf­te waren an der Tages­ord­nung, erfand der aus Buda­pest nach Wien geflüch­te­te Imre Békes­sy, er hat­te mit dem Regime Béla Kuhn sym­pa­thi­siert, jene Art der »Mei­nungs­ma­che­rei und Mei­nungs­ma­ni­pu­la­ti­on« die nun auch dem ÖVP Kanz­ler Seba­sti­an Kurz das Genick bre­chen könnte.

Békes­sy grün­de­te in Wien zwei Zei­tun­gen Die Bör­se und Die Stun­de und erfand jenen »Revol­ver­jour­na­lis­mus«, der so weit führ­te, den Chef­re­dak­teur der sozia­li­sti­schen Arbei­ter Zei­tung ohne Namens­nen­nung als Kin­der­schän­der zu denun­zie­ren. Woll­te man in Békes­sys Blät­tern posi­tiv vor­kom­men, muss­te ein Obo­lus ent­rich­tet wer­den. Das Damo­kles­schwert der »Ent­hül­lung« wirk­te, und das Geschäfts­mo­dell, sich posi­ti­ve Erwäh­nun­gen bezah­len zu las­sen, wur­de immer unver­fro­re­ner. Karl Kraus beschäf­tig­te sich in sei­ner Zeit­schrift Die Fackel im Jah­re 1925 in meh­re­ren Aus­ga­ben mit Békes­sy. »Hin­aus aus Wien mit dem Schuft« beginnt und endet die Abrech­nung mit Békes­sy. 1926 begann sein Nie­der­gang. Er muss­te Öster­reich ver­las­sen und starb im Jah­re 1951 in Ungarn. In dem Dra­ma »Die Unüber­wind­li­chen« hat Karl Kraus Imre Békes­sy kari­kiert. Es gab also auch schon in der ersten Repu­blik eine frag­wür­di­ge Medienpolitik.

Auch die heu­ti­ge öster­rei­chi­sche Medi­en­land­schaft wird durch eine Bou­le­vard­pres­se domi­niert. Die Kro­nen Zei­tung ist füh­rend, gefolgt von den Blät­tern Öster­reich und Heu­te. Die etwas »seriö­se­ren Tages­zei­tun­gen« sind außer dem libe­ra­len Stan­dard meist der »poli­ti­schen Rich­tung« des Bun­des­lan­des, in dem sie erschei­nen, wohl­wol­lend nahe ste­hend, also meist rechts­kon­ser­va­tiv aufgestellt.

Die der­zeit größ­ten Pro­fi­teu­re der poli­ti­schen Inse­rat­ver­ga­be waren: Kro­nen Zei­tung mit 8,4 Mio. Euro, Öster­reich mit 5,2 Mio. Euro und Heu­te 5,5 Mio. Euro, was noch an wei­te­ren Zah­lun­gen dazu kommt, ist kaum rich­tig zu erfas­sen. Ein brei­tes Feld also für jene Medi­en­po­li­tik, die, dem Mot­to folgt: »Wer zahlt bestimmt.«

Hier aber beginnt der Auf­stieg des Seba­sti­an Kurz. Im Früh­jahr 2016 ging es los: Der dama­li­ge Außen­mi­ni­ster Kurz, Ger­not Blü­mel (Wie­ner ÖVP Par­tei­ob­mann) und Tho­mas Schmid (Gene­ral­se­kre­tär im Finanz­mi­ni­ste­ri­um) woll­ten damals die im Weg ste­hen­de Regie­rung von Bun­des­kanz­ler Chri­sti­an Kern (SPÖ) und ÖVP Vize­kanz­ler Rein­hold Mit­ter­leh­ner in die Wüste schicken. In einem bekannt gewor­de­nen Chat bezeich­ne­te Kurz sei­nen ÖVP-Kol­le­gen als »Arsch«, und sein wich­tig­ster Hel­fer, Tho­mas Schmid, chat­te­te sie­ges­trun­ken: »Die­se alten Dep­pen sind so uner­träg­lich! Kei­ner muss­te sich jemals einer Bun­des­wahl stel­len und den Schwach­sinn der Vor­gän­ger erklä­ren! Du hast das alles erfolg­reich geschafft, und wir durf­ten dabei mit­ar­bei­ten. Mit­ter­leh­ner ist ein Links­di­let­tant und ein rie­sen oasch!! Ich has­se ihn. Bus­si Thomas.«

Es folg­te die erste Kurz-Regie­rung, eine Koali­ti­on mit der FPÖ (öster­rei­chi­sche AFD), die mit »Ibi­za« und dem Rück­tritt des FPÖ Vize­kanz­lers H. C. Stra­che ende­te. Seba­sti­an Kurz bau­te die aus vie­len Inter­es­sens­ge­mein­schaf­ten bestehen­de ÖVP um, in eine »neue«, in der er allein bestimmte.

Frü­her geplagt vom Pro­porz, den SPÖ und ÖVP in der zwei­ten Repu­blik erfun­den hat­ten, um ent­spre­chend der jewei­li­gen Macht­ver­hält­nis­se die Staats­po­sten zu ver­tei­len, durf­te nun auch die rechts­na­tio­na­le FPÖ mit­na­schen und miss­brauch­te (Gra­s­ser, Meisch­ber­ger, Stra­che) den Zugang zu Macht und Ämtern. Schon vor­her eröff­ne­te sich den bei­den Groß­par­tei­en ÖVP und SPÖ ein enor­mes Ein­flusspo­ten­zi­al. Bei­de Par­tei­en lie­ßen auch wenig Zwei­fel auf­kom­men, dass die Füh­rungs­eta­gen nach par­tei­po­li­ti­schen Kri­te­ri­en zu beset­zen sei­en: In allen Koali­ti­ons­ver­ein­ba­run­gen, die zwi­schen 1945 und 1963 von ÖVP und SPÖ geschlos­sen wur­den, wur­de fest­ge­hal­ten, dass sich das par­la­men­ta­ri­sche Kräf­te­ver­hält­nis in den Beset­zungs­ent­schei­dun­gen wider­spie­geln müs­se. Der Pro­porz wur­de damit fester Bestand­teil der öster­rei­chi­schen Wirt­schafts­po­li­tik. Medi­en­po­li­tik war da immer auch im Spiel, etwa bei Grün­dung der Kro­nen Zei­tung, die mit Gewerk­schafts­gel­dern aus der Tau­fe geho­ben wur­de und heu­te sicher kein Klas­sen­kampf­or­gan mehr ist, son­dern inhalt­lich die BILD-Zei­tung noch überholt.

Die Repu­blik Öster­reich ent­wickel­te sich immer mehr zum Par­tei­ei­gen­tum, und dabei half, um zum Bei­spiel Seba­sti­an Kurz an die Macht zu brin­gen, die Tages­zei­tung Öster­reich mit. Mei­nungs­um­fra­gen zu Gun­sten der »neu­en« ÖVP und ihres Füh­rers Kurz wur­den mani­pu­liert und sorg­ten für Wahlerfolge.

Und nun das: Am 6. Okto­ber 2021 um 10:23 Uhr begann eine Haus­durch­su­chung der Wirt­schafts- und Kor­rup­ti­ons­staats­an­walt­schaft (WKStA) in der ÖVP-Zen­tra­le in Wien. Die rich­ter­lich geneh­mig­te Raz­zia betraf auch das Kanz­ler­amt und Büros im Finanz­mi­ni­ste­ri­um. Betrof­fen waren u. a. Johan­nes Frisch­mann (Kanz­ler­spre­cher), Gerald Fleisch­mann (Medi­en­be­auf­trag­ter von Kurz) und der Kurz-Bera­ter Ste­fan Stei­ner, dazu noch der Ex-Chef der Öster­rei­chi­schen Betei­li­gungs-AG (ÖBAG) Tho­mas Schmid.

Es gibt einen über hun­dert Sei­ten star­ken Bericht der WKStA, wonach Schmid&Co im Dienst des spä­te­ren Kanz­lers Kurz mit Steu­er­gel­dern Gefäl­lig­keits­be­richt­erstat­tung im Medi­en­kon­zern Öster­reich orga­ni­siert haben. Es wird gegen Kurz selbst und sei­ne Hel­fer wegen Untreue, Bestechung, Bestech­lich­keit und Ver­schleie­rung ermit­telt. Alle Beschul­dig­ten bestrei­ten die Straf­ta­ten, und natür­lich, nun kommt das oft gebrauch­te Zau­ber­wort, es gilt, na was? Die Unschuldsvermutung!

Der Koali­ti­ons­part­ner die­ser »neu­en« ÖVP, der nun plötz­lich ziem­lich alt aus­sah, die Grü­nen, lie­ßen durch ihren Vize­kanz­ler Wer­ner Kog­ler aus­rich­ten, dass man die Hand­lungs­fä­hig­keit von Seba­sti­an Kurz in Fra­ge stel­le – und signa­li­sier­te, dass man mit der ÖVP aber wei­ter­re­gie­ren wol­le, wenn die ÖVP einen unta­de­li­gen Kanz­ler­kan­di­da­ten benen­nen wür­de. Den haben sie mit Alex­an­der Schal­len­berg, einem engen Kurz-Ver­trau­ten, zuletzt Außen­mi­ni­ster, dann angeb­lich bekom­men, wäh­rend Kurz Frak­ti­ons­chef wird und Par­tei­chef bleibt. Dass die Grü­nen bei die­ser offen­kun­di­gen ÖVP-Ope­ret­te mit­spie­len – um ja an der Macht zu blei­ben – ist an Scham­lo­sig­keit nicht zu überbieten.

Der Bun­des­prä­si­dent erklär­te etwas spä­ter den »lie­ben Öster­rei­che­rin­nen und Öster­rei­cher und allen ande­ren Men­schen, die in Öster­reich leben«, dass die Vor­komm­nis­se sicher kei­ne Staats­kri­se wären, die bekannt gewor­de­nen Fak­ten aber der Demo­kra­tie scha­den würden.

Die zunächst alle hin­ter Kurz ste­hen­den ÖVP-Lan­des­für­sten, samt der Lan­des­haupt­frau von Nie­der­öster­reich, muss­ten irgend­wann hin­ter ver­schlos­se­nen Türen erkannt haben, dass es bei einem erfolg­rei­chen Miss­trau­ens­an­trag gegen Kurz wenig Chan­cen für eine Regie­rungs­mehr­heit geben könn­te. Also erschien Seba­sti­an Kurz am Sams­tag, den 9.10,2021, zur besten Fern­seh­zeit am Abend und erklär­te unter ande­rem: »Die Vor­wür­fe stam­men aus dem Jahr 2016. Sie sind falsch. Und ich wer­de das auch auf­klä­ren kön­nen, davon bin ich zutiefst über­zeugt (…), ver­mischt wer­den die­se straf­recht­li­chen Vor­wür­fe mit SMS-Nach­rich­ten, die ich in der Hit­ze des Gefechts geschrie­ben habe. Man­che davon sind Nach­rich­ten, die ich so defi­ni­tiv nicht noch ein­mal for­mu­lie­ren wür­de. Aber ich bin auch nur ein Mensch – mit Emo­tio­nen. Und auch mit Fehlern.«

Noch vor weni­gen Mona­ten hat­te der stei­ri­sche ÖVP Lan­des­haupt­mann (Mini­ster­prä­si­dent) Her­mann Schüt­zen­hö­fer gesagt: »Wir las­sen uns unse­ren Kanz­ler nicht her­aus­schie­ßen!« Einen Tag spä­ter aller­dings rech­net der Lan­des­haupt­mann kaum noch mit einer Kurz­kanz­ler­rück­kehr: »Wir kon­zen­trie­ren uns jetzt auf den Alex­an­der Schallenberg.«

Das Geschäfts­mo­dell »Öster­reich im Besitz poli­ti­scher Par­tei­en« wird sicher­lich in wei­te­ren Kapi­teln fort­ge­schrie­ben. Als Par­la­men­ta­ri­er hat Exkanz­ler Kurz Immu­ni­täts­schutz. Es ist zu befürch­ten, dass er in sei­nen neu­en Posi­tio­nen sein bis­her prak­ti­zier­tes Poli­tik­ver­ständ­nis fort­set­zen wird. Noch hof­fen die Grü­nen, dass mit dem neu­en Kanz­ler alles bleibt, wie es war. Doch Kurz als ÖVP-Klub­chef (Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der) ist mehr als maka­ber. Als Kanz­ler ver­ach­te­te er wie kein Zwei­ter das Par­la­ment. Alex­an­der Schal­len­berg, als Kurz-Statt­hal­ter, könn­te ihm dar­in nach­fol­gen. Diplo­ma­ten beschei­ni­gen ihm, hin­ter vor­ge­hal­te­ner Hand ein »Rück­grat wie ein Gartenschlauch«.

Kann Öster­reich frei­er atmen? Sicher nicht. Karl Kraus abge­wan­delt: HINAUS AUS DER POLITIK MIT DEN SCHUFTEN!