Wer auch nur einen von Susan Sontags brillanten Aufsätzen gelesen hat oder einen ihrer Romane wird kopfschüttelnd abtun, was im Vorfeld die Presse über Sigrid Nunez’ »Sempre Susan« behauptete und prompt auf dem Buchumschlag zitiert wurde: »Das bis heute lebendigste und schillerndste Portrait«; vom »neugierigen Blick« und vom »Besten« war die Rede, »was es über Susan Sontag zu lesen geben wird«. Es ist die Norm, dass solche Sprüche von Verlagen aufgegriffen werden. Die hier wiedergegebenen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass »Sempre Susan« der Schriftstellerin nicht gerecht wird: Nichts findet sich über Inhalt und Stil ihrer Bücher, und es fehlt jegliche Anerkennung ihres Fleißes und ihrer enormen Produktivität. Dafür liefert es Indiskretionen zuhauf. Sigrid Nunez, die als junge Studentin gewonnen worden war, Susan Sontag bei der Beantwortung einer Flut von Briefen zu helfen, hatte sich nach kürzester Zeit derart in den Haushalt eingebracht, dass ihre Arbeitgeberin sie einlud, Mitbewohnerin ihres Penthouses zu werden. Dort hatte sie David, den Sohn des Hauses, kennengelernt und war eine Beziehung mit ihm eingegangen. Nach Susan Sontags Tod hatte sie sich darauf besonnen, was ihr an der Schriftstellerin aufgefallen und, vornehmlich, was an ihr auszusetzen war – Susan Sontags Umgangsart, Manieriertheiten, Hochnäsigkeit, Eitelkeiten, und dass sie total unfähig war, allein zu sein. Ständig überwachte sie ihren längst mündigen Sohn und kettete ihn selbstsüchtig an sich. Und erst die Vergnügungssucht, dieser Drang auf Partys unterwegs zu sein! Und wie süchtig Susan Sontag auf Unterhaltung war. Je mehr Kinobesuche desto besser: Sie schien auf Spielfilme versessen zu sein. Lebensersatz? fragte sich Sigrid Nunez. Begabte Frauen ließ sie nur unwillig neben sich gelten – was auch Sigrid Nunez zu spüren bekam. Hatte Susan Sontag nicht viel Zeit verstreichen lassen, ehe sie sich, auffallend schroff und karg, zu ein paar Seiten von deren literarischen Versuchen äußerte? Für die eigene Arbeit jedoch verlangte sie unverzügliche, ungeteilte Aufmerksamkeit. Kurzum, die beiden Frauen harmonierten nur selten, wurden sich im Grunde nie hold. Am Ende war es, als hätte Sigrid Nunez nur Susan Sontags Ableben abgewartet, um mit ihr abzurechnen: »Sempre Susan«! Sie schreibt, dass Susan Sontag selbst vor Fremden das Fehlen einer ihrer Brüste vorzuzeigen imstande war, sie ihre Krebsoperation ungehemmt herausstellte; auch anderweitig sei sie wenig zurückhaltend gewesen. Da gab es jene sehr späte Nacht, als sie zum Schlafzimmer ihres Sohnes (das Sigrid Nunez mit ihm teilte) Zugang erfleht hatte, nur um sich über Gerede auszulassen, das ihr irgendwann zu Ohren gekommen war: »Hört nur, hört zu!« Sie konnte, betont Sigrid Nunez, »kein Geheimnis, keine Vertraulichkeiten für sich behalten, alles musste sie zwanghaft weitererzählen.« So kulminiert dann auch »Sempre Susan« in einer Aufzählung von Susan Sontags unliebsamsten Eigenschaften – was angesichts des Mangels an Wertung ihrer literarischen Leistungen und ihrer öffentlichen Wirksamkeit maliziös anmutet. Für meine Begriffe ist »Sempre Susan« ein missratenes Buch.
Sigrid Nunez: »Sempre Susan Erinnerungen an Susan Sontag«, Aufbau Verlag, 141 Seiten, 18 €