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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Waffen für die Kindergrundsicherung

Bis zum 26. Sep­tem­ber 2021 wur­de zur Wahl einer Par­tei auf­ge­ru­fen, die strikt gegen Rüstungs­expor­te ein­zu­tre­ten ver­sprach. Auf ihren Wahl­pla­ka­ten stand z. B.: »Wir set­zen uns für ein Export­ver­bot von Waf­fen und Rüstungs­gü­tern an Dik­ta­tu­ren, men­schen­rechts­ver­ach­ten­de Regime und in Kriegs­ge­bie­te ein« (https://twitter.com/Die_Gruenen/status/1440316635126980623).

Die deut­sche Außen­mi­ni­ste­rin hat auf dem grü­nen Bun­des­par­tei­tag im Okto­ber 2022 die Rüstungs-Koope­ra­tio­nen zugun­sten Sau­di-Ara­bi­ens damit gerecht­fer­tigt, dass man ja nicht direkt lie­fe­re (nur mit euro­päi­schen Part­nern zusam­men) und dass man nur älte­re Ver­trä­ge noch umset­zen müs­se; wür­de man das nicht tun, müs­se das 100 Mil­li­ar­den Euro-Auf­rü­stungs­pa­ket der Bun­des­re­gie­rung vom »Zeitenwende«-Februar 2022 noch­mals erwei­tert wer­den zuun­gun­sten der Ärm­sten der Armen. Herz- und Hirn-erwei­chend appel­liert sie an die kin­der­freund­li­chen Instink­te ihrer Par­tei­tags­de­le­gier­ten: »Und ich will nicht, dass wir noch mehr im sozia­len Bereich spa­ren und Lisa dann kei­ne Mit­tel mehr hat für die Kin­der, die sie drin­gend brau­chen.« Mit »Lisa« ist die Bun­des­fa­mi­li­en­mi­ni­ste­rin Lisa Paus und ihr Pro­jekt einer Kin­der­grund­si­che­rung gegen Kin­der­ar­mut gemeint. Ja, wer will das schon? Die armen Kin­der! Da müs­sen wir ein­fach mit den euro­päi­schen Part­nern Sau­di-Ara­bi­en mit Waf­fen belie­fern. »Rüstungs­expor­te für den Sozi­al­staat«, lau­te­te daher auch eine Zwi­schen­über­schrift in einem kri­ti­schen Arti­kel der taz vom 15.10.2022. »Wir« kön­nen schließ­lich nichts dafür, dass Sau­di-Ara­bi­en seit meh­re­ren Jah­ren einen buch­stäb­li­chen Ver­nich­tungs­krieg gegen den Jemen führt, mit hun­dert­tau­sen­den Toten. Da müs­sen wir ein­fach drü­ber hin­weg­se­hen. Weil »wir« Frie­dens- und Men­schen­rechts­par­tei sind, lie­fern »wir« ja auch seit Mona­ten Waf­fen in die Ukrai­ne. Dass damit ech­te Men­schen umge­bracht wer­den, leug­nen »wir« ja eben­falls täg­lich und ent­geg­nen, dass »unse­re Waf­fen Men­schen­le­ben retten«.

Wir haben uns inzwi­schen schon an so vie­les gewöhnt: Da wird im Main­stream von Tagesschau.de gegen »Hass und Het­ze« geschrie­ben – und dann bezeich­net man die »Fein­de“ tat­säch­lich als »Rat­ten«, die »in ihre Löcher zurück­ge­prü­gelt« wer­den sol­len. Da wer­den von einem BILD-Redak­teur erschos­se­ne Rus­sen als »Dün­ger« bezeich­net. Inter­es­sant. An jeder zwei­ten Ecke sitzt ein Sozi­al­wis­sen­schaft­ler und ver­ur­teilt »Ver­schwö­rungs­theo­rien« – und kaum zwei Sät­ze spä­ter wird fast jeder Makel kapi­ta­li­sti­scher Herr­lich­keit des glo­ba­len Westens – egal, ob Kri­sen, Brexit, Trump, AfD etc. – als das Resul­tat gehei­mer rus­si­scher oder wahl­wei­se chi­ne­si­scher Ver­schwö­run­gen hin­ge­stellt. Doch dazu will sich kein Exper­te für Ver­schwö­rungs­ideo­lo­gie äußern. Seltsam.

Wenn der Bun­des­prä­si­dent im Kran­ken­haus oder im ICE ins Ram­pen­licht tritt, trägt er natür­lich Mas­ke; sind dann Kame­ra und Schein­wer­fer schein­bar wie­der aus, legt er auch mal den Lap­pen bei­sei­te; hebt der Regie­rungs­flie­ger ab nach Ame­ri­ka, las­sen die Flug­zeug-Insas­sen, dar­un­ter auch Poli­ti­ker und Jour­na­li­sten, die sich seit über zwei Jah­ren gegen Mas­ken-Ver­wei­ge­rer pro­fi­lie­ren, die Mas­ken ab; das ist selbst­ver­ständ­lich »nor­mal«, denn nur das gemei­ne Volk soll sich gefäl­ligst in Zügen und ÖPNV dar­an hal­ten; trifft sich der Bun­des­ge­sund­heits­mi­ni­ster mit dem WHO-Chef, machen sie es genau­so: Ein­mal »mit« fürs Pres­se­bild und für die blö­de Bevöl­ke­rung, und dann ganz prak­tisch »oben ohne«, wenn die Kame­ras schein­bar wie­der aus sind. Was Jupi­ter darf, darf der Ochs noch lan­ge nicht. Inso­fern war auch der letz­te grü­ne Par­tei­tag dies­be­züg­lich nichts Beson­de­res: Im gro­ßen Saal mit Abstand und vor der Welt­pres­se brav mit Mas­ke und dann in der Kuschel-Dis­ko am Abend zum frau­en­feind­li­chen Hüpf-Hit »Jump around« natür­lich über­wie­gend »ohne«. Wie gesagt, nichts Besonderes.

Wir sind es auch gewohnt, dass inzwi­schen nur für Frie­den und Men­schen­rech­te ein­tritt, wer Waf­fen lie­fert – und noch mehr Waf­fen und noch mehr. Wer wider­spricht, ist ein Feind des Frie­dens und der Men­schen­rech­te und der Demo­kra­tie – oder gleich ein Putin-Propagandist.

Immer, wenn du glaubst, noch tie­fer kann das Niveau eigent­lich nicht mehr sin­ken, kommt von irgend­wo eine Außen­mi­ni­ste­rin, ein Gesund­heits- oder ein Wirt­schafts­mi­ni­ster daher. Wenn deren Aus­sa­gen frü­her von einem wie Donald Trump geäu­ßert wor­den wären, hät­te sich das hal­be Feuil­le­ton dar­über schlapp gelacht. Man stel­le sich vor, Trump hät­te real exi­stie­ren­de »Insol­ven­zen« in den USA geleug­net und gesagt, die betref­fen­den Betrie­be wür­den bloß nichts mehr pro­du­zie­ren. Oder ange­nom­men, der »Popu­list« hät­te gesagt, er wer­de z. B. Chi­na bekämp­fen und Tai­wan ver­tei­di­gen, »egal, was mei­ne Wäh­ler sagen«. CNN, ARD und ZDF hät­ten sich doch nicht ein­ge­kriegt vor Häme und Kritik.

Heu­te lacht kei­ner (mehr), und die ent­spre­chen­den seriö­sen Medi­en machen lie­ber mit ihren sog. Fak­ten­füch­sen Treib­jagd auf alle, die nicht sofort Waf­fen­lie­fe­run­gen in Kriegs­ge­bie­te for­dern. Das ist – zuge­ge­ben – gar nicht so ein­fach, denn die Damen und Her­ren in den Redak­tio­nen wis­sen nur zu gut, dass die gro­ße Mehr­heit der Bevöl­ke­rung kei­nes­wegs ihre sui­zi­da­le Sank­ti­ons­po­li­tik und ihre Kriegs-Pro­pa­gan­da mit immer mehr Waf­fen­lie­fe­run­gen und immer gra­vie­ren­de­ren Nukle­ar- sowie Welt­kriegs­ge­fah­ren teilt. Des­halb müs­sen auch alle auf der Stra­ße erst­mal grund­sätz­lich als poten­zi­el­le Bei­na­he-Nazis hin­ge­stellt wer­den, damit es dort halb­wegs ruhig bleibt und die Büro-Bel­li­zi­sten wei­ter­wir­ken können.

Wenn der Lap­top-Leut­nant Sascha Lobo Frie­dens­be­weg­te als »Lum­pen-Pazi­fi­sten« bezeich­net und der seit 1991 bei­na­he jeden völ­ker­rechts­wid­ri­gen US-Angriffs­krieg mit hun­dert­tau­sen­den Toten ver­tei­di­gen­de Sän­ger Wolf Bier­mann die bei­den Kri­ti­ker von Waf­fen­lie­fe­run­gen in Kriegs­ge­bie­te, Richard-David Precht und Harald Wel­zer, als »Second­hand-Kriegs­ver­bre­cher« bezeich­net (dass er sich für die­sen »Stürmer«-Stil nicht schämt, ist bereits zum Fremd-Schä­men); wenn der kürz­lich abge­lö­ste ukrai­ni­sche Bot­schaf­ter Mit­glie­der des Bun­des­ta­ges und der Regie­rung mit Tier­na­men und ana­len Kör­per­öff­nun­gen ohne Kon­se­quen­zen beschimpft, zeigt sich, dass Ador­no Recht hat­te: Viel gefähr­li­cher als offe­ne Neo-Nazis waren und sind seit dem zwei­ten Welt­krieg selbst ernann­te Demo­kra­ten, die ihre eige­ne Faschi­sie­rung übersehen.

Die rabia­te Umgangs­wei­se wur­de jetzt zwei­ein­halb Jah­re lang trai­niert. Das Resul­tat kann sich sehen las­sen. Wer sol­che Medi­en und sol­che »Intel­lek­tu­el­le« hat, braucht eigent­lich kein Pro­pa­gan­da­mi­ni­ste­ri­um. Das soll­te man jeden­falls mei­nen. Doch inter­es­san­ter­wei­se will die Mehr­heit der (Welt-)Bevölkerung immer noch nicht zu hun­dert Pro­zent die Nato-Nar­ra­ti­ve nach­plap­pern. Das allein ist bereits phä­no­me­nal ange­sichts der umfas­sen­den Dau­er-Medi­en-Mani­pu­la­ti­on zugun­sten des mili­tä­risch-indu­stri­el­len Kom­ple­xes. Somit ver­wun­dert es dann doch nicht, dass sich die ein­schlä­gi­gen Ampel-Akteu­re nicht wirk­lich auf ihre guten Argu­men­te ver­las­sen. Sie müs­sen mit­hil­fe von ThinkTanks und ande­ren Ideo­lo­gie-Pro­du­zen­ten der Regie­rung nach­hel­fen. Das gewähr­lei­stet bei­spiel­wei­se Ralph Fücks‘ und Marie-Lui­se Becks grü­ne Geld­ma­schi­ne »Insti­tut Libe­ra­le Moder­ne« mit ihren »Geg­ner­ana­ly­sen« über die Nachdenkseiten.de – und lässt den ollen Carl Schmitt und sei­ne Feind-Bil­der in alter NS-Tra­di­ti­on wie­der auf­er­ste­hen. Aber war­um auch nicht? Wer seit über acht Jah­ren Rechts­extre­me in Kiew leug­net und als »Rus­sen-Pro­pa­gan­da« abtut und zugleich Ban­de­ra-Ver­herr­li­cher wahl­wei­se aus­blen­det oder anhim­melt, lan­det halt irgend­wann zumin­dest ideo­lo­gisch genau dort. Der Alt-Mao­ist Fücks konn­te dies­be­züg­lich bereits in der Lei­tung der Stif­tung zur Ver­un­glimp­fung des Erbes Hein­rich Bölls eini­ges bewerk­stel­li­gen. Auch des­halb meh­ren sich die Stim­men für einen Namens­wech­sel in »Hein­rich-Böl­ler-Stif­tung«. So könn­ten einer­seits wei­ter­hin Krie­ge und Waf­fen gehei­ligt sowie Nazis gedeckt wer­den, und ande­rer­seits muss sich der arme pazi­fi­sti­sche Schrift­stel­ler nicht stän­dig im Gra­be herumdrehen.

Neu­lich hat der Nach­rich­ten­sen­der N-TV den Vogel aber wirk­lich abge­schos­sen. Am Diens­tag, den 25. Okto­ber 2022 gibt das Nach­rich­ten­por­tal die fol­gen­de Schlag­zei­le zum Besten: »Russ­land­bild von Ost­deut­schen: ›Rus­sen sind nicht 100 Pro­zent Teu­fel‹«. Die­se Ost­deut­schen sind schon unver­bes­ser­lich. Wäh­rend angeb­lich alle West­deut­schen (oder viel­leicht nur die Mehr­heit in der N-TV-Redak­ti­on?) offen­bar davon aus­ge­hen, dass alle Rus­sin­nen und Rus­sen vom Säug­ling bis zur Grei­sin nur als pure Ver­bre­cher zu den­ken sind, glau­ben die Ost­deut­schen doch tat­säch­lich, dif­fe­ren­zie­ren zu müs­sen. Das ist wirk­lich son­der­bar. Und wäh­rend man also in der Redak­ti­on immer noch fach­sim­pelt, wie­so »die­se« unter­ent­wickel­ten Ost­deut­schen nicht ein­mal das klei­ne Ein­mal-Eins des Ras­sen­has­ses und Rus­sen­has­ses beherr­schen, mel­det im gesam­ten Main­stream kein ein­zi­ges Medi­um Wider­spruch an.

Ein paar Wochen vor­her kom­men­tiert Pitt von Beben­burg in der sozi­al-libe­ra­len Frank­fur­ter Rund­schau vom 14. Sep­tem­ber 2022 den Streit in der Par­tei DIE LINKE und stellt eines der schlimm­sten Delik­te im lin­ken Spek­trum die­ser For­ma­ti­on mit gro­ßer Empö­rung vor: Er bezeich­net Tei­le von ihnen ange­ekelt als »russ­land-freund­li­che Trup­pe«. Denn mer­ke: Was jetzt zählt und über­haupt nur akzep­ta­bel wäre, ist schließ­lich nur das Gegen­teil von »Russ­land-Freund­lich­keit«: also »Russ­land-Feind­lich­keit«. Damit gewinnst du dann sogar »Frie­dens­prei­se« und »Buch­han­dels­prei­se« in Deutsch­land. Den Unsen­si­ble­ren unter den Zeit­ge­nos­sen sei nach ver­schie­de­nen völ­ker­rechts­wid­ri­gen Angriffs­krie­gen und Besat­zungs­re­gi­men ein­fach nur zu emp­feh­len, mit von Beben­burgs Maß­stab über die USA, über die Tür­kei, über Sau­di-Ara­bi­en oder über Isra­el so zu spre­chen. Wür­de der FR-Redak­teur ver­schie­de­ne Mei­nungs­spek­tren dann etwa auch als »ame­ri­ka-freund­li­che Trup­pe« oder »tür­kei-freund­li­che Trup­pe« oder gar »isra­el-freund­li­che Trup­pe« ver­leum­den? Spä­te­stens dann müss­te doch der letz­te Rus­sen­has­ser eigent­lich ver­ste­hen, wie ras­si­stisch die eige­ne Argu­men­ta­ti­on zu bezeich­nen wäre. Wirk­lich, wir leben in fin­ste­ren Zei­ten, sag­te der gro­ße Augs­bur­ger Dich­ter. Das ist, zivi­li­sa­to­risch gespro­chen, tat­säch­lich eine »Zei­ten­wen­de«.