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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wachsam und widerständig in Büchel

Halb­zeit in Büchel: Dem star­ken Auf­takt der dies­jäh­ri­gen Som­mer­ak­tio­nen vor dem Atom­waf­fen­stütz­punkt in der Eifel (sie­he Ossietzky 11/​2019) folg­te am 7. Juli ein begei­stern­des »Akti­ons­fe­sti­val«. ICAN, die deut­sche Sek­ti­on der inter­na­tio­na­len Kam­pa­gne zur Äch­tung der Atom­waf­fen, hat­te gemein­sam mit christ­li­chen Frie­dens­grup­pen erfolg­reich für die­sen Tag mobilisiert.

Bus um Bus rollt am Vor­mit­tag die­ses Sonn­tags vor die Mili­tär­ba­sis. 1000 Men­schen, 400 mehr als noch im ver­gan­ge­nen Jahr, ver­sam­meln sich auf der Wie­se neben dem Ein­gangs­tor des Flie­ger­hor­stes, wo tag­täg­lich Bun­des­wehr­pi­lo­ten völ­ker­rechts­wid­rig den Ziel­ab­wurf der 20 US-ame­ri­ka­ni­schen Atom­bom­ben üben, die in Büchel lagern und die dem­nächst »moder­ni­siert« wer­den sollen.

Auf der gro­ßen Büh­ne wech­seln Musik und kur­ze Rede­bei­trä­ge. Nico­le Mer­cier, die mit ihrer glocken­hel­len Stim­me an Joan Baez erin­nert, ani­miert Jung und Alt zum Mit­sin­gen von Frie­dens­lie­dern, die sie am Vor­tag mit Dut­zen­den von Teil­neh­men­den des benach­bar­ten Akti­ons­camps ein­ge­übt hat. So brei­tet sich schnell ein Gemein­schafts­ge­fühl und eine gelö­ste Stim­mung aus: »We shall overcome …«

Zu der guten Stim­mung trägt nach einem mor­gend­li­chen Regen­schau­er bald auch die Son­ne freund­lich strah­lend bei. Die japa­ni­sche Schau­spie­le­rin Sachi­ko Hara erin­nert dar­an, dass es eben­falls ein som­mer­lich-son­ni­ger Tag in Hiro­shi­ma war, als dort 1945 »Litt­le Boy« das Leben Hun­dert­tau­sen­der zer­stör­te. Die Japa­ne­rin hat mit Teil­neh­men­den des Akti­ons­camps eine berüh­ren­de Per­for­mance ein­stu­diert. Die macht das Grau­en des nuklea­ren Feu­er­sturms beklem­mend anschau­lich. Sie gibt den Ver­letz­ten und Getö­te­ten, ihren Gesich­tern und ihren Geschich­ten wie­der Gestalt und Stim­me. Das geht unter die Haut und lässt nicht mehr fra­gen, war­um die Äch­tung aller Atom­waf­fen zwin­gend gebo­ten ist.

Für die­ses Ziel arbei­ten seit Jah­ren zwölf Frau­en und Män­ner aus den USA. Sie sind aus Kali­for­ni­en, aus Geor­gia, Ten­nes­see, Mon­ta­na und Iowa ange­reist, um den deut­schen Wider­stand gegen die US-Atom­waf­fen zu ermu­ti­gen, am lieb­sten wür­den sie die Bom­ben in Büchel »ein­packen und wie­der mit nach Hau­se neh­men«. Die US-Ame­ri­ka­ner sind in erster Rei­he mit dabei, als Frie­dens­ak­ti­vi­sten am näch­sten Tag die Ein­gangs­to­re zur Mili­tär­ba­sis für Stun­den gewalt­frei blockie­ren und als in den fol­gen­den Tagen Atom­geg­ne­rIn­nen den Dop­pel­zaun des Flie­ger­hor­stes bei ins­ge­samt fünf Go-in-Aktio­nen durchschneiden.

Auf zwei Minu­ten vor zwölf Uhr ste­hen die Zei­ger eines gro­ßen alt­mo­di­schen Weckers, den Roland Blach, Koor­di­na­tor der Kam­pa­gne »Büchel ist über­all! Atom­waf­fen­frei jetzt!«, auf der Büh­ne in die Höhe hält. Die­se Zeit zeigt aktu­ell auch die Doomsday Clock an, mit der Wis­sen­schaft­ler des Bul­le­tin of the Ato­mic Sci­en­tists vor der akut gestie­ge­nen Gefahr des Welt­un­ter­gangs war­nen. Die Gefahr sei heu­te so groß wie zuletzt wäh­rend des Korea­krie­ges­an­fang der 1950er Jahre.

Blach erin­nert dar­an, dass die Frie­dens­be­we­gung seit 1996 regel­mä­ßig gegen die in Büchel gebun­ker­ten Atom­bom­ben und für eine atom­waf­fen­freie Welt demon­striert: »Damals waren wir 70.« Nur ein ein­zi­ger Poli­zist habe die Demon­stran­ten beglei­tet. In die­sem Jahr wim­melt es dage­gen rund um den Flie­ger­horst von Polizei.

Blach macht dar­auf auf­merk­sam, dass die­ser 7. Juli »ein in jeder Hin­sicht beson­de­rer Tag« ist. Denn es wird der zwei­te Geburts­tag eines völ­ker­recht­li­chen Ver­tra­ges gefei­ert, der »mög­li­cher­wei­se zu einer Zäsur der Ord­nung nach dem Zwei­ten Welt­krieg« führt, wie Blach hofft: Am 7. Juli 2017 wur­de der Ver­trag zur Äch­tung aller Atom­waf­fen von den Ver­ein­ten Natio­nen in New York beschlossen.

»Was für eine »Revo­lu­ti­on!«, freut sich Inga Blum, eine Akti­vi­stin der Inter­na­tio­na­len Ärz­te zur Ver­hü­tung des Atom­krie­ges (IPPNW), über den Erfolg. »Zum ersten Mal in der Geschich­te der Ver­ein­ten Natio­nen wur­de demo­kra­tisch über Atom­waf­fen abge­stimmt, ohne dass die Atom­waf­fen­staa­ten ein Veto ein­le­gen konn­ten.« Der Ver­trag ver­bie­tet den Ein­satz und die Dro­hung mit Atom­waf­fen, deren Besitz, Lage­rung, Erwerb, Ent­wick­lung, Erpro­bung und Her­stel­lung sowie einen Trans­fer und die Sta­tio­nie­rung von Atom­waf­fen. 60 Staa­ten haben den Ver­trag unter­zeich­net. Er tritt in Kraft, sobald 50 Staa­ten ihn rati­fi­ziert haben.15 haben das bis­her getan. Die deut­sche Bun­des­re­gie­rung gehört nicht zu den Unter­zeich­nern des Vertrages.

»Da ist ganz klar Wider­spruch ange­sagt«, pre­digt Mar­got Käß­mann in dem der Mit­tags­pau­se fol­gen­den öku­me­ni­schen Got­tes­dienst. Sie wen­det sich gegen Poli­ti­ker wie US-Prä­si­dent Donald Trump, der gemeint hat: »Wenn wir Atom­waf­fen haben, war­um set­zen wir sie nicht ein?« In ihren Auf­ruf zum Wider­spruch schließt Käß­mann aus­drück­lich auch NATO-Gene­ral­se­kre­tär Jens Stol­ten­berg ein, der Deutsch­land drängt, an der »nuklea­ren Teil­ha­be«, wie sie in Büchel prak­ti­ziert wird, festzuhalten.

Die ehe­ma­li­ge Rats­vor­sit­zen­de der Evan­ge­li­schen Kir­che in Deutsch­land pre­digt zu Lukas 1,79 (»… rich­te unse­re Füße auf den Weg des Frie­dens«) und fragt: »Wenn wir die Geschich­te Hiro­shi­mas hören, wie kann da jemals wie­der jemand Atom­waf­fen ein­set­zen wol­len?« Und, so sagt die frü­he­re Lan­des­bi­schö­fin wei­ter: »Gewalt und Krieg kön­nen nicht mit Got­tes Wil­len legi­ti­miert wer­den.« Das hät­ten die Kir­chen inzwi­schen end­lich begrif­fen. »Reli­gi­on darf sich nicht miss­brau­chen las­sen, um Öl in das Feu­er eth­ni­scher, reli­giö­ser, natio­na­ler oder wirt­schaft­li­cher Kon­flik­te zu gie­ßen«, sagt sie: »Es gibt kei­nen ›gerech­ten‹ Krieg, nur gerech­ten Frie­den«. Und es sei »Auf­ga­be der Kir­chen« zum Frie­den zu rufen. »Wir dür­fen uns »nicht in Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit hin­ein­schlä­fern las­sen«, mahnt Kaß­mann in ihrer mehr­fach von Applaus unter­bro­che­nen Pre­digt. Eigent­lich sei heu­te »ganz klar, dass zivi­le Mit­tel immer Vor­rang haben müs­sen vor mili­tä­ri­schen«, meint sie. Wer aber sehe, »wie pazi­fi­sti­sche Posi­tio­nen in Fra­ge gestellt sind, ja lächer­lich gemacht wer­den, wie mili­tä­ri­sche Ein­sät­ze mit huma­ni­tä­ren Zie­len begrün­det wer­den, dass Deutsch­land zu einer Rüstungs­export­na­ti­on auf­ge­stie­gen ist, die auch in Kri­sen­ge­bie­te lie­fert, dem wird bewusst: Es gilt, wach und wach­sam und wider­stän­dig zu bleiben.«

Und »wenn heu­te von mehr inter­na­tio­na­ler Ver­ant­wor­tung die Rede ist«, so Käß­mann wei­ter, kön­ne es doch »nicht um mehr mili­tä­ri­sche Ver­ant­wor­tung Deutsch­lands gehen, son­dern allein um mehr Friedensverantwortung.«

Um die­se Ver­ant­wor­tung poli­tisch kon­kret wer­den zu las­sen, hat eine Arbeits­grup­pe der Evan­ge­li­schen Lan­des­kir­che in Baden ein bis ins Jahr 2040 rei­chen­des Sze­na­rio nicht-mili­tä­ri­scher Sicher­heits­po­li­tik ent­wickelt, das Ralf Becker in Büchel erst­mals vor­stellt und damit auf gro­ßes Inter­es­se stößt.

Den Schluss­punkt des »Akti­ons­fe­sti­vals« setzt am 7. Juli ein Bal­lett der beson­de­ren Art. Zwan­zig auf­blas­ba­re Nach­bil­dun­gen der B-61-12-Atom­bom­ben, der moder­ni­sier­ten Ver­si­on der der­zeit in Büchel sta­tio­nier­ten B-12-4-Atom­bom­ben, »tan­zen« in Ori­gi­nal­grö­ße bedroh­lich durch die Rei­hen der Ver­sam­mel­ten, umkrei­sen sie und for­mie­ren sich vor der Büh­ne wie zur Attacke. Schließ­lich wird den oran­ge-silb­rig glän­zen­den Bom­ben die Luft abge­las­sen. In Schwa­den von Kunst­ne­bel fal­len sie in sich zusam­men, um dann in einem gro­ßen Müll­con­tai­ner vor der Büh­ne unter Bei­fall ver­schrot­tet zu wer­den. Und wie­der sin­gen alle mit Nico­le Mer­cier: »We shall live in peace some day …«