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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Vorhaltigkeit

Mit der deut­schen Spra­che hat mans nicht leicht – beson­ders wenn es sich um die eige­ne Mut­ter­spra­che han­delt. Apro­pos: War­um eigent­lich Mut­ter­spra­che? Mein Vater sprach auch schon deutsch, wenn auch mit regio­na­lem Sound, denn er kam einst aus der Land­schaft der älte­ren Linie der preu­ßi­schen Für­sten. Die dia­lek­tisch ein­ge­färb­te Vater­spra­che hat mich logi­scher­wei­se schon von Kind­heit an geprägt. Aber dar­um gehts mir eigent­lich nicht. Dass sich poli­ti­sche Erschei­nun­gen und sozia­le Fra­gen auch im aktu­el­len Sprach­ge­brauch nie­der­schla­gen, ist ja nichts Neu­es. Zu DDR-Zei­ten nutz­ten Grund­stücks­päch­ter bei­spiels­wei­se kei­ne Lau­be, son­dern eine Dat­sche; und nach dem Ein­tritt des ehe­mals wil­den Ostens in die bun­des­deut­sche Wer­te­ge­mein­schaft angli­fi­zier­ten und nuan­cier­ten sich die »neu­en Bun­des­län­der« ver­bal wei­ter um. So ent­stan­den neue Begriff­lich­kei­ten wie etwa »an Weih­nach­ten«, »die Zeit zwi­schen den Jah­ren« oder »Pre­ka­ri­at«. Und in den unzäh­li­gen Kri­mi-Seri­en gibt es kaum eine Fol­ge, in der ein Dienst­vor­ge­setz­ter sei­nen Unter­ge­be­nen nicht »gute Arbeit« atte­stiert. Wenn irgend­wer eine Mei­nung hat, sagt er übli­cher­wei­se: »Ich per­sön­lich bin der Auf­fas­sung, dass …«. Dem Gegen­stück dazu, also: »Unper­sön­lich bin ich der Mei­nung, dass …«, bin ich aller­dings noch nicht begegnet.

Wenn sich ein Begriff erst­mal fest­ge­fres­sen hat, hält er sich län­ger und krampft sich an jedes Ego. So das Wort »Nach­hal­tig­keit«, ohne das kei­ner mehr aus­kommt, der »up to date« sein will. Insti­tu­tio­nen und Per­so­nen ver­lan­gen vom Part­ner oder von der Kon­kur­renz »Nach­hal­tig­keit«; egal, wor­um es geht. Wer sel­bi­ge nicht ein­for­dert, soll­te bes­ser gleich nach­hal­tig den Mund halten.

Jetzt habe ich mal den nach­hal­ti­gen Ver­such unter­nom­men, in Duden, Wör­ter­bü­chern und ande­ren Kom­pen­di­en dem Begriff ein wenig nach­zu­spü­ren. Das hat mei­ne Ver­mu­tung bestä­tigt, dass es sich bei der »Nach­hal­tig­keit« um eine Schöp­fung jün­ge­ren Datums han­delt. Im Brock­haus von 1923 taucht der Begriff eben­so wenig auf wie in ande­ren in mei­nen Rega­len ver­staub­ten und gesta­pel­ten Bän­den, so weder in der Neu­auf­la­ge von »Wil­helm Lieb­knechts Volks­fremd­wör­ter­buch« von 1953 noch im »Klei­nen Lexi­kon von A - Z« von 1959. Im »Gro­ßen Duden Recht­schrei­bung« von 1981 ist er mir zum ersten Mal unde­fi­niert begeg­net, und seit gefühl­ten fünf Jah­ren wer­de ich damit regel­recht bewor­fen. All­mäh­lich hat sich bei mir eine nach­hal­ti­ge All­er­gie dage­gen her­aus­ge­bil­det, gegen die erst noch ein nach­hal­ti­ger Impf­stoff ent­wickelt wer­den muss. Inzwi­schen fra­ge ich mich, ob man das Wort nicht schritt­wei­se durch den Begriff »Vor­hal­tig­keit« erset­zen soll­te. Der öff­net neue Per­spek­ti­ven und ori­en­tiert opti­mi­stisch nach vorn, und wenn schon nicht mehr in unse­re Zukunft, so doch in die der uns viel­leicht noch nach­fol­gen­den Gene­ra­tio­nen. Eine ent­spre­chen­de Bewe­gung los­zu­tre­ten, dürf­te doch mit Hil­fe der Reprä­sen­tan­ten von Behör­den und Par­tei­en, gemein­nüt­zi­gen Ver­ei­nen oder ande­ren frei­heit­lich-demo­kra­ti­schen Gre­mi­en aus­sichts­reich sein.