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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Von St. Petersburg nach Köln

Wir hat­ten uns lan­ge nicht gese­hen. Das letz­te Mal tra­fen wir uns vor drei Jah­ren bei ihnen zuhau­se in St. Peters­burg. Es ist die Hei­mat­stadt von Michail Kudi­now und Dza­mal Dzu­ma­ba­je­wa. Er wur­de gebo­ren im ukrai­ni­schen Kra­ma­torsk, Gebiet Donezk. Sie kam im kir­gi­si­schen Frun­se zur Welt, in der Haupt­stadt, die heu­te Bisch­kek heißt. Ken­nen lern­ten sich bei­de wäh­rend des Stu­di­ums an der Lenin­gra­der Kunst­aka­de­mie der UdSSR – jetzt die Rus­si­sche Kunst­aka­de­mie. Schon damals eine Eli­te­schu­le. Wo jemand her­kam, spiel­te kei­ne Rol­le. Ent­schei­dend waren Talent und Fleiß.

Michail und Djo­ma – so ihr Künst­ler­na­me – haben bei­des. In ihrer Woh­nung, die Heim­statt und Ate­lier in einem ist, ver­brach­ten wir einen ver­gnüg­ten Abend. Bei rus­si­schem Essen und Trin­ken tauch­ten wir ein in ihre fan­ta­sti­sche Far­ben­welt und ver­such­ten, die poli­ti­sche Lage zu begrei­fen. Es ging vor allem – wie könn­te es anders sein – um das Ver­hält­nis von Russ­land zum Westen. War­um habt auch Ihr Deut­schen immer­zu an uns Rus­sen her­um­zu­mä­keln? Und tut immer so, als ob Russ­land nicht zu Euro­pa gehö­ren wür­de. Dabei sind wir ein Teil Euro­pas – ob Euch das passt oder nicht. Russ­land hat angeb­lich ver­sucht, die Wah­len in den USA zu mani­pu­lie­ren – was die Ame­ri­ka­ner natür­lich anders­wo nie gemacht haben. Weil Aus­spä­hen unter Freun­den ja nicht gehe. Über­all sol­len ja rus­si­sche Hacker ihr Unwe­sen treiben.

Dabei grin­ste Michail und erklär­te, alle Welt wür­de von denen reden, aber nie­mand hät­te bis­her einen zu Gesicht bekom­men. Nur er, Michail, wüss­te wie die­se Typen aus­se­hen. Er habe sogar einen gemalt. Dann zog er mich ins Ate­lier und prä­sen­tier­te stolz die Kudi­now­sche Ver­si­on eines rus­si­schen Hackers. Das krach­bun­te Por­trät eines dia­bo­lisch drein­schau­en­den Böse­wichts. Ich war sofort über­zeugt – das konn­te nur einer der berüch­tig­ten rus­si­schen Hacker sein. Kudi­now hat­te gemalt, was ande­re nicht sehen konn­ten – ein wirk­li­cher Künst­ler eben.

Das Künst­ler­paar stellt seit Jah­ren auch in West­eu­ro­pa aus. Man kennt sie in Däne­mark, Deutsch­land, Luxem­burg und Ita­li­en. Beson­ders ange­tan hat es ihnen Deutsch­land. In ihrer Peters­bur­ger Woh­nung erzähl­ten sie begei­stert von ihrem Vor­ha­ben, dort eine eige­ne Gale­rie zu eröff­nen. In Köln soll­te es bald so weit sein. Doch dann kam Coro­na. Djo­ma hat­te schon begon­nen, die Gale­rie samt Ate­lier und klei­ner Woh­nung ein­zu­rich­ten, muss­te aber mona­te­lang auf ihren Mann war­ten. Dem war es ver­bo­ten, nach Deutsch­land ein­rei­sen. Sei­ne Imp­fung mit »Sput­nik V« wur­de nicht akzep­tiert. Ohne­hin setz­te Coro­na alle Pla­nun­gen außer Kraft. Die Gale­rie durf­te nicht öff­nen. Kein Bil­der-Ver­kauf, kei­ne Einnahmen.

Und dann über­fiel Russ­land die Ukrai­ne. Aber wie ein Zei­chen des Trot­zes gegen den Krieg kam ein paar Wochen danach eine Ein­la­dung nach Köln. Djo­ma und Michail woll­ten end­lich ihre Gale­rie eröff­nen. Sie, die in Russ­land leben­de Kir­gi­sin, und er, der ukrai­ni­sche Rus­se (oder rus­si­scher Ukrai­ner?), prä­sen­tie­ren sich der Öffent­lich­keit. In Zei­ten wie die­sen ein muti­ger Schritt. Ein Künst­ler­ehe­paar aus Russ­land – wie wür­den die Leu­te in Köln ihnen begeg­nen? Die Stadt am Rhein erwies sich ein­mal mehr als vor­ur­teils­frei­er Ort. An zwei Nach­mit­ta­gen war die Gale­rie vol­ler Gäste – vie­le Freun­de, Neu­gie­ri­ge aus der Nach­bar­schaft und Besu­cher, die zufäl­lig vorbeikamen.

»Zwi­schen den Wel­ten« haben sie ihre Aus­stel­lung genannt. Zwei Künst­ler zwi­schen Ost und West und nun unge­wollt auch zwi­schen Krieg und Frie­den. Mit Beginn der rus­si­schen Aggres­si­on ver­fiel Kudi­now in eine schwe­re Depres­si­on. »Was wir gera­de in der Ukrai­ne erle­ben, ist durch nichts zu recht­fer­ti­gen. Es ist ein ein­zi­ger bru­ta­ler Hor­ror und muss sofort auf­hö­ren«, sag­te er. An Malen war nicht zu denken.

Auch Djo­ma kann die Kata­stro­phe nicht begrei­fen: »Dort kämp­fen Brü­der gegen Brü­der. Es ist so trau­rig.« Hat sie die Frau­en auf ihren aktu­el­len Bil­dern des­halb so ernst und streng gemalt?

»Nein«, ant­wor­tet sie und lächelt wie­der, »sie sind nur ein wenig melan­cho­lisch.« Und dabei so schön und stolz.

Ganz anders die Gemäl­de von Kudi­now. Ein Freund der bei­den, der die Aus­stel­lung eröff­ne­te, nann­te die Bil­der »eine eige­ne, fast rät­sel­haf­te Welt, mit hei­te­ren kon­kre­ten oder sti­li­sier­ten skur­ri­len Figu­ren, ein thea­ter­ähn­li­ches All.«

Ja, das Maler­paar hat in Köln gute Freun­de gefun­den, die sie unter­stüt­zen, wo sie kön­nen. Mit Wer­bung, mit dem Kauf von Bil­dern, mit Netz­wer­ken. Gera­de wur­de Michail Kudi­now gefragt, ob er Mit­glied in der »Bür­ger­ge­mein­schaft Alt­stadt« wer­den wol­le. Das ist ein enga­gier­ter und ange­se­he­ner Ver­ein zur För­de­rung einer lebens­wer­ten Köl­ner Alt­stadt. Die­se Anfra­ge ist wie ein Rit­ter­schlag für die Neu­an­kömm­lin­ge aus dem Osten.

Michail Kudi­now und Dza­mal Dzu­ma­ba­je­wa pas­sen offen­bar gut zu Köln. Der­zeit womög­lich bes­ser als zu Russ­land oder zur Ukrai­ne. Denn der neue Krieg zwi­schen bei­den Staa­ten wird nicht nur mit Pan­zern, Bom­ben und Gra­na­ten aus­ge­tra­gen. Es herrscht auch ein Kul­tur­kampf. Die bru­ta­len Schlach­ten wer­den befeu­ert von einer archa­isch anmu­ten­den Pro­pa­gan­da. Russ­lands Prä­si­dent Putin, ein­sti­ges Mit­glied der Kom­mu­ni­sti­schen Par­tei und ehe­ma­li­ger Geheim­dienst­ler, sieht sich offen­bar als Voll­strecker einer neu­en histo­ri­schen Mis­si­on: Her­stel­lung eines rus­si­schen Groß­rei­ches wie zu Zei­ten der Zaren. Die Rus­sen als aus­er­wähl­te sla­wi­sche Nati­on. Sei­ne Rede kurz vor Beginn des Über­falls auf die Ukrai­ne ließ da an Deut­lich­keit nichts zu wün­schen übrig. Putin pre­digt einen aggres­si­ven rus­si­schen Chau­vi­nis­mus. Russ­land gar als Trä­ger einer sla­wi­schen Leitkultur?

Auf jeden Fall hat Putin mit sei­nem Krieg den ukrai­ni­schen Natio­na­lis­mus nach Kräf­ten befeu­ert. Obgleich der nie und nim­mer als Recht­fer­ti­gung für den rus­si­schen Krieg taugt, muss er doch zu den­ken geben. So berich­te­te Spie­gel online am 1. Mai 2022, dass in Kiew mehr als 460 Stra­ßen, Plät­ze und U-Bahn­sta­tio­nen umbe­nannt wer­den sol­len – »die die Namen von Tol­stoi, Dosto­jew­ski, Tschechow, Pusch­kin, Tur­gen­jew, Bul­ga­kow, Ach­ma­towa und ande­ren rus­si­schen Schrift­stel­lern tra­gen«. Damit sol­le »der Pro­zess der Ent­rus­si­fi­zie­rung« abge­schlos­sen werden.

Über­aus natio­nal­be­wusst ist auch die Gene­ral­kon­su­lin der Ukrai­ne in Ham­burg, Iry­na Tybin­ka. Anläss­lich einer im März statt­ge­fun­de­nen Kul­tus­mi­ni­ster­kon­fe­renz for­der­te sie, die ukrai­ni­schen Flücht­lings­kin­der unbe­dingt nach ukrai­ni­schen Lehr­plä­nen zu unter­rich­ten. Deut­sche Lehr­plä­ne wür­den ein völ­lig fal­sches Russ­land­bild ver­mit­teln. Zudem distan­zier­te sie sich vom Rus­si­schen: »Die rus­si­sche Spra­che ver­eint heu­te nicht.«

Die Rea­li­tät hin­ge­gen hört sich anders an. Ich hat­te Gele­gen­heit, in mei­ner Hei­mat­stadt Rostock mit zahl­rei­chen ukrai­ni­schen Flücht­lin­gen zu spre­chen. Sie alle bezeich­ne­ten sich selbst­ver­ständ­lich als Bür­ger der Ukrai­ne und rede­ten genau­so selbst­ver­ständ­lich auf Rus­sisch mit mir und untereinander.

Für Michail Kudi­now und Dza­mal Dzu­ma­ba­je­wa ist Rus­sisch ihre Mut­ter­spra­che. Im »Kunst­raum Djo­ma«, so heißt ihre Gale­rie, wird zugleich von und mit ihnen Deutsch und Eng­lisch gespro­chen. Vor allem aber tei­len sie sich über ihre Bil­der mit. Und die sind eine Berei­che­rung – für Russ­land, die Ukrai­ne, Kir­gi­stan und für Deutsch­land. Wer es ein­rich­ten kann, soll­te die bei­den Künst­ler in Köln besu­chen. Unbedingt.

 »Kunst­raum Djo­ma«, Sankt-Apern-Stra­ße 44-46, 50667 Köln, www.kunstraum-djoma.de.