Wir hatten uns lange nicht gesehen. Das letzte Mal trafen wir uns vor drei Jahren bei ihnen zuhause in St. Petersburg. Es ist die Heimatstadt von Michail Kudinow und Dzamal Dzumabajewa. Er wurde geboren im ukrainischen Kramatorsk, Gebiet Donezk. Sie kam im kirgisischen Frunse zur Welt, in der Hauptstadt, die heute Bischkek heißt. Kennen lernten sich beide während des Studiums an der Leningrader Kunstakademie der UdSSR – jetzt die Russische Kunstakademie. Schon damals eine Eliteschule. Wo jemand herkam, spielte keine Rolle. Entscheidend waren Talent und Fleiß.
Michail und Djoma – so ihr Künstlername – haben beides. In ihrer Wohnung, die Heimstatt und Atelier in einem ist, verbrachten wir einen vergnügten Abend. Bei russischem Essen und Trinken tauchten wir ein in ihre fantastische Farbenwelt und versuchten, die politische Lage zu begreifen. Es ging vor allem – wie könnte es anders sein – um das Verhältnis von Russland zum Westen. Warum habt auch Ihr Deutschen immerzu an uns Russen herumzumäkeln? Und tut immer so, als ob Russland nicht zu Europa gehören würde. Dabei sind wir ein Teil Europas – ob Euch das passt oder nicht. Russland hat angeblich versucht, die Wahlen in den USA zu manipulieren – was die Amerikaner natürlich anderswo nie gemacht haben. Weil Ausspähen unter Freunden ja nicht gehe. Überall sollen ja russische Hacker ihr Unwesen treiben.
Dabei grinste Michail und erklärte, alle Welt würde von denen reden, aber niemand hätte bisher einen zu Gesicht bekommen. Nur er, Michail, wüsste wie diese Typen aussehen. Er habe sogar einen gemalt. Dann zog er mich ins Atelier und präsentierte stolz die Kudinowsche Version eines russischen Hackers. Das krachbunte Porträt eines diabolisch dreinschauenden Bösewichts. Ich war sofort überzeugt – das konnte nur einer der berüchtigten russischen Hacker sein. Kudinow hatte gemalt, was andere nicht sehen konnten – ein wirklicher Künstler eben.
Das Künstlerpaar stellt seit Jahren auch in Westeuropa aus. Man kennt sie in Dänemark, Deutschland, Luxemburg und Italien. Besonders angetan hat es ihnen Deutschland. In ihrer Petersburger Wohnung erzählten sie begeistert von ihrem Vorhaben, dort eine eigene Galerie zu eröffnen. In Köln sollte es bald so weit sein. Doch dann kam Corona. Djoma hatte schon begonnen, die Galerie samt Atelier und kleiner Wohnung einzurichten, musste aber monatelang auf ihren Mann warten. Dem war es verboten, nach Deutschland einreisen. Seine Impfung mit »Sputnik V« wurde nicht akzeptiert. Ohnehin setzte Corona alle Planungen außer Kraft. Die Galerie durfte nicht öffnen. Kein Bilder-Verkauf, keine Einnahmen.
Und dann überfiel Russland die Ukraine. Aber wie ein Zeichen des Trotzes gegen den Krieg kam ein paar Wochen danach eine Einladung nach Köln. Djoma und Michail wollten endlich ihre Galerie eröffnen. Sie, die in Russland lebende Kirgisin, und er, der ukrainische Russe (oder russischer Ukrainer?), präsentieren sich der Öffentlichkeit. In Zeiten wie diesen ein mutiger Schritt. Ein Künstlerehepaar aus Russland – wie würden die Leute in Köln ihnen begegnen? Die Stadt am Rhein erwies sich einmal mehr als vorurteilsfreier Ort. An zwei Nachmittagen war die Galerie voller Gäste – viele Freunde, Neugierige aus der Nachbarschaft und Besucher, die zufällig vorbeikamen.
»Zwischen den Welten« haben sie ihre Ausstellung genannt. Zwei Künstler zwischen Ost und West und nun ungewollt auch zwischen Krieg und Frieden. Mit Beginn der russischen Aggression verfiel Kudinow in eine schwere Depression. »Was wir gerade in der Ukraine erleben, ist durch nichts zu rechtfertigen. Es ist ein einziger brutaler Horror und muss sofort aufhören«, sagte er. An Malen war nicht zu denken.
Auch Djoma kann die Katastrophe nicht begreifen: »Dort kämpfen Brüder gegen Brüder. Es ist so traurig.« Hat sie die Frauen auf ihren aktuellen Bildern deshalb so ernst und streng gemalt?
»Nein«, antwortet sie und lächelt wieder, »sie sind nur ein wenig melancholisch.« Und dabei so schön und stolz.
Ganz anders die Gemälde von Kudinow. Ein Freund der beiden, der die Ausstellung eröffnete, nannte die Bilder »eine eigene, fast rätselhafte Welt, mit heiteren konkreten oder stilisierten skurrilen Figuren, ein theaterähnliches All.«
Ja, das Malerpaar hat in Köln gute Freunde gefunden, die sie unterstützen, wo sie können. Mit Werbung, mit dem Kauf von Bildern, mit Netzwerken. Gerade wurde Michail Kudinow gefragt, ob er Mitglied in der »Bürgergemeinschaft Altstadt« werden wolle. Das ist ein engagierter und angesehener Verein zur Förderung einer lebenswerten Kölner Altstadt. Diese Anfrage ist wie ein Ritterschlag für die Neuankömmlinge aus dem Osten.
Michail Kudinow und Dzamal Dzumabajewa passen offenbar gut zu Köln. Derzeit womöglich besser als zu Russland oder zur Ukraine. Denn der neue Krieg zwischen beiden Staaten wird nicht nur mit Panzern, Bomben und Granaten ausgetragen. Es herrscht auch ein Kulturkampf. Die brutalen Schlachten werden befeuert von einer archaisch anmutenden Propaganda. Russlands Präsident Putin, einstiges Mitglied der Kommunistischen Partei und ehemaliger Geheimdienstler, sieht sich offenbar als Vollstrecker einer neuen historischen Mission: Herstellung eines russischen Großreiches wie zu Zeiten der Zaren. Die Russen als auserwählte slawische Nation. Seine Rede kurz vor Beginn des Überfalls auf die Ukraine ließ da an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Putin predigt einen aggressiven russischen Chauvinismus. Russland gar als Träger einer slawischen Leitkultur?
Auf jeden Fall hat Putin mit seinem Krieg den ukrainischen Nationalismus nach Kräften befeuert. Obgleich der nie und nimmer als Rechtfertigung für den russischen Krieg taugt, muss er doch zu denken geben. So berichtete Spiegel online am 1. Mai 2022, dass in Kiew mehr als 460 Straßen, Plätze und U-Bahnstationen umbenannt werden sollen – »die die Namen von Tolstoi, Dostojewski, Tschechow, Puschkin, Turgenjew, Bulgakow, Achmatowa und anderen russischen Schriftstellern tragen«. Damit solle »der Prozess der Entrussifizierung« abgeschlossen werden.
Überaus nationalbewusst ist auch die Generalkonsulin der Ukraine in Hamburg, Iryna Tybinka. Anlässlich einer im März stattgefundenen Kultusministerkonferenz forderte sie, die ukrainischen Flüchtlingskinder unbedingt nach ukrainischen Lehrplänen zu unterrichten. Deutsche Lehrpläne würden ein völlig falsches Russlandbild vermitteln. Zudem distanzierte sie sich vom Russischen: »Die russische Sprache vereint heute nicht.«
Die Realität hingegen hört sich anders an. Ich hatte Gelegenheit, in meiner Heimatstadt Rostock mit zahlreichen ukrainischen Flüchtlingen zu sprechen. Sie alle bezeichneten sich selbstverständlich als Bürger der Ukraine und redeten genauso selbstverständlich auf Russisch mit mir und untereinander.
Für Michail Kudinow und Dzamal Dzumabajewa ist Russisch ihre Muttersprache. Im »Kunstraum Djoma«, so heißt ihre Galerie, wird zugleich von und mit ihnen Deutsch und Englisch gesprochen. Vor allem aber teilen sie sich über ihre Bilder mit. Und die sind eine Bereicherung – für Russland, die Ukraine, Kirgistan und für Deutschland. Wer es einrichten kann, sollte die beiden Künstler in Köln besuchen. Unbedingt.
»Kunstraum Djoma«, Sankt-Apern-Straße 44-46, 50667 Köln, www.kunstraum-djoma.de.