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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Von faulen Äpfeln und Birnen

Die west­li­che Welt­ord­nungs­po­li­tik befeu­ert den Ver­tei­di­gungs­krieg, den die Ukrai­ne zur Voll­endung ihrer Staats­grün­dung nach »unse­rem« Bild führt, als lei­chen­träch­ti­ge Vor­stu­fe zum Nie­der­rin­gen des chi­ne­si­schen Haupt­feinds. »Begrün­det« wird das mit einem Freund-Feind-Sche­ma, zu dem sich gera­de all jene, die den Wel­ten­gang nicht bestim­men, also die ihren all­täg­li­chen Inter­es­sen und Not­wen­dig­kei­ten nach­kom­men­den Bevöl­ke­run­gen, die Fra­ge stel­len sol­len: »Was wür­de ich machen, wenn ich ›unse­ren‹ Laden zu lei­ten hät­te?« Ja, wenn mei­ne Oma Räder hät­te… Aber eine sol­che Ver­wei­ge­rung von Par­tei­lich­keit lässt »die Zei­ten­wen­de« nicht zu. Statt­des­sen soll man sich zur Ver­werf­lich­keit der einen und der Güte der ande­ren Sei­te den Kopf zer­bre­chen. Zum Glück ist das nicht schwer; man muss sich nur wie immer auf dem jewei­li­gen Neu­ig­kei­ten­stand ent­spre­chend ori­en­tie­ren, mit einer »reso­lu­ten Posi­tio­nie­rung« im jeweils »rich­ti­gen« Mei­nungs­la­ger. Und wel­ches das »rich­ti­ge« ist, das wis­sen wir doch nun alle, oder nicht?

Mitt­ler­wei­le ist es schwie­rig, nicht wenig­stens eine Per­son zu ken­nen, die bei einem Tod Putins den Sekt ent­kor­ken wür­de. Dass die frogs (fri­ends of ger­hard schroe­der) nur Unter­jo­chungs­ge­lü­ste hegen, weiß man doch längst; dazu passt: Der Teu­fel lebt in »Putins Palä­sten« (Nawal­ny) und trägt wie Schrö­der edlen Zwirn, ist »kor­rupt bis ins Mark«. Wenn das kein Grund ist, gegen ihn zu sein!

Was aber ist nun von Selen­skyj zu hal­ten, die­ser Licht­ge­stalt mit Home-Sto­ry-Appeal, die, bewan­dert in dem Olig­ar­chen- und Inve­sto­ren-geläu­fi­gen off-sho­ring, ihre Schäf­chen schon ein­mal ins trocke­ne gebracht hat? Ist er somit ein eben­so »schlim­mer Fin­ger« wie der rus­si­sche »Hüt­chen­spie­ler«? Radio Eri­wan: Im Prin­zip ja. Aber… Pelen­skyj und Sutin, But und Göse darf man nicht vel­wech­sern. Schließ­lich ist der eine aus Schlech­tig­keit der Feind und der ande­re, auch wenn er in Sachen Eti­ket­te noch zu ler­nen hat, eben »unser Mann« und somit trotz alle­dem ein Guter.

Hin oder her, macht Eigen­nutz poli­ti­sches Han­deln nun »falsch« und »böse«? Noch­mals P. und S.: Auch ohne Eigen­nutz blie­be ihr jewei­li­ges poli­ti­sches Han­deln das, was es aus­macht, näm­lich die natio­na­le Sache. Ist man gegen die­se, weil es die des Fein­des ist, so erweist unsitt­li­ches Ver­hal­ten von des­sen Inkar­na­ti­on neben ande­rem, wes­halb er kein Freund sein kann, bestä­tigt die schon längst bestehen­de Vor­ein­ge­nom­men­heit und wirft mit Leich­tig­keit eine Kriegs­be­rech­ti­gung ab (wie z. B. den Kopf­tuch­zwang bei afgha­ni­schen Frau­en). Umge­kehrt hül­fe es dem Feind nicht ein Jota, ein rich­ti­ges Leben im fal­schen zu füh­ren und noch tugend­haf­ter und päpst­li­cher als der Papst zu sein.

Nun gehört Kor­rup­ti­on bzw. das, was als sol­che gilt, zwar zur Demo­kra­tie wie die Schlä­ge­rei zum Wirts­haus­gang, aber zu Hau­se ist sie, anders als bei Auto­kra­tens, doch irgend­wie etwas ganz ande­res, jeden­falls kein Cha­rak­te­ri­sti­kum eines bösen Systems. Mit Tau­tos, dem Gott des Zir­kels, for­mu­liert: Weil Demo­kra­tie = gutes System ist, ist Kor­rup­ti­on – = schlecht – kein Teil von ihm, denn wäre die­se ein Teil von ihm, wäre das System kei­ne Demo­kra­tie, weil Demo­kra­tie ja gut ist, usw. Und hier haben wir nun mal Demo­kra­tie. Punkt.

Die­ses Bewusst­sein, die­ser sozia­len Frie­den sichern­de Glau­be zeich­net eine »für die Demo­kra­tie rei­fe« Volks­ba­sis aus (in ande­ren Län­dern, z. B. bei den »Ara­bern«, ist das Volk halt noch nicht so weit). Der Staat unter­wirft sie als Mit­glie­der einer offe­nen Gesell­schaft mit deren Zustim­mung und der Ermäch­ti­gung sei­nes Per­so­nals mit­tels »wirk­li­cher« Wah­len dem All­ge­mein­wohl, den von ihm ver­ord­ne­ten und gesetz­lich kodier­ten Ver­laufs­for­men der Aus­tra­gung gegen­sätz­li­cher Par­ti­ku­lar­in­ter­es­sen auf der Grund­la­ge von zur Kapi­ta­li­sie­rung bestimm­tem Pri­vat­ei­gen­tum, aus wel­cher der Staat för­dernd und for­dernd sei­ne Exi­stenz und Macht bezieht und dafür auch sozi­al­kom­pen­sa­to­risch tätig wird.

Skan­da­le gibt es immer wie­der; heu­te oder mor­gen wer­den sie geschehn, nicht nur im Sperr­be­zirk, nicht nur um Rosi, son­dern flä­chen­deckend auch im hie­si­gen Muster­land der Demo­kra­tie. Ja isses denn ein Wun­der? Nö – schließ­lich ist das Böse immer und über­all. Nun die gute Nach­richt: Im Gegen­satz zum syste­mi­schen Feind­bö­sen siegt unser System­gu­tes immer über sei­ne Schat­ten­sei­ten – in mehr­fa­cher Hinsicht.

Erstens braucht sich die Mei­nung mün­di­ger, das Pri­mat der Poli­tik aner­ken­nen­der Staats­bür­ger ledig­lich – eine leich­te Übung in ange­wand­ter Gerech­tig­keit – an der Aus­wahl der für eine Amts­füh­rung best­mög­lich Geeig­ne­ten bzw. der Abstra­fung »fau­ler Äpfel« per gesetz­tem oder ver­wei­ger­tem Kreuz abzu­ar­bei­ten. Wer Stra­fe und Beloh­nung ver­dient, ist Sache der Zustän­di­gen und nicht des »immer noch nicht ange­kom­me­nen«, dik­ta­tur­so­zia­li­sier­ten »Ost­ler­pö­bels«, dem die Groß­tat »der Geschich­te«(?), kor­rup­te Polit­funk­tio­nä­re weg­zu­fe­gen, zu Kopf gestie­gen ist. Nun ist »es« näm­lich ein­fach gut so, wie »es« ist, die Demo­kra­tie ist ver­wirk­licht, jetzt, real und vor allem: hier.

Wenn dem­ge­gen­über der von neu­en poli­ti­schen »Volks­wohl­ver­rä­tern« so beschie­de­ne Ost­wäh­ler die »deut­sche Alter­na­ti­ve« sym­pa­thisch und sei­ner Stim­me wert fin­det, dann ent­schei­det er sich für die ihm als (noch) am »unei­gen­nüt­zig­sten« erschei­nen­de Vari­an­te des Natio­na­lis­mus im Ange­bot aller Par­tei­en. Und wer, außer Marx, will schon etwas gegen den eige­nen Natio­na­lis­mus namens Patrio­tis­mus haben? Die extre­me Mit­te der Alt­par­tei­en, der die ande­re Hälf­te der Losung dein Volk ist alles eben­falls geläu­fig ist, jeden­falls nicht, und jetzt schon gleich gar nicht.

Zwei­tens haut die sich auf das Bür­ger­ver­trau­en ver­las­sen­de, schon im Gemein­schafts­kun­de­un­ter­richt ver­bra­te­ne Bin­se, die Demo­kra­tie kön­ne durch poli­ti­sche Kor­rup­ti­on den schlimm­sten vor­stell­ba­ren Scha­den in Form von Ver­trau­ens­ver­lust neh­men, grund­sätz­lich nicht hin. Das Gegen­teil ist der Fall: in einer funk­tio­nie­ren­den Demo­kra­tie ist poli­ti­sche Kor­rup­ti­on in sie inte­griert; bei­de kön­nen gut mit­ein­an­der leben. Ver­strickung in Filz und Sümp­fe ist nicht blo­ßes Mit­tel der Berei­che­rung wie in geschei­ter­ten Staa­ten, deren Eli­te sich nicht um die für Pro­fit nicht gebrauch­te »Über«-Bevölkerung küm­mert. Hier, in unse­rem »unterbevöl­ker­ten« Land, defi­nie­ren Geset­ze, wie weit Eigen­nutz lega­les markt­kon­for­mes Agie­ren dar­stellt, und wo, ab wann und ab wie viel der Bereich des fein abge­stuf­ten Straf­ba­ren beginnt. Grund­sätz­lich stel­len Eigen- und All­ge­mein­in­ter­es­se hie­si­ger Poli­ti­ker kei­ne sich zwangs­läu­fig gegen­sei­tig schä­di­gen­den Pole dar – so wie es auch vor­kom­men kann, dass ein Poli­ti­ker, der sei­ner Zeit vor­aus ist, für ein heh­res gesell­schaft­li­ches Ziel einen Geset­zes­ver­stoß begeht und dafür Aner­ken­nung ver­dient. (Die Sozio­lo­gie bezeich­net das ver­ständ­nis­voll als brauch­ba­re Ille­ga­li­tät. Recht hat sie, und gege­be­nen­falls wird auch der Ver­stoß von gestern durch recht­li­ches »Nach­steu­ern« ab heu­te zur Tugend – eben­so wie man eines Mor­gens auf­wa­chen und krank oder gesund sein kann, weil die WHO über Nacht an der Grenz­wert­stell­schrau­be gedreht hat.)

Drit­tens ver­fügt die wun­der­ba­re Welt der funk­tio­nie­ren­den, also tat­säch­lich demo­kra­ti­schen Demo­kra­tie, neben einem in sie ver­trau­en­den und des­halb für sie rei­fen Volk und der für es per Gewalt­mo­no­pol durch­buch­sta­bier­ten Gel­tung von Recht und Ord­nung, über enor­me mora­li­sche Auto­ma­tis­men zur »Selbst­rei­ni­gung«. (Auch der Staat weiß, was nicht nur Haus­frau­en wün­schen.) Skan­da­le sind, wie eben auch der größ­te »Betriebs­un­fall« deut­scher Nati­on, gründ­lich »auf­zu­ar­bei­ten« und so zu bewäl­ti­gen, nicht nur per Gesetz, son­dern mit Hil­fe des gesun­den Volks­emp­fin­dens und Appel­len an die­ses. Die grund­sätz­li­che Ver­träg­lich­keit pri­va­ter Inter­es­sen­ver­fol­gung mit poli­ti­scher Mis­si­on (so wie bei einem Geschäfts­es­sen oder beim Gol­fen nicht nur für sich selbst gespach­telt oder geput­tet wird) wird kom­plet­tiert mit einem nie abrei­ßen­den Ent­decken von Skan­da­len und ent­spre­chen­dem »Klä­rungs­be­darf«. Da gibt es Ämter­pa­tro­na­ge und -häu­fung, Posten­scha­cher, Vet­tern­wirt­schaft, baju­wa­ri­sche Clan­struk­tu­ren, Durch­set­zung des Wirt­schafts­mi­ni­ste­ri­ums mit Habecks »Jungs« und »Mädels«, Lob­by­is­mus, Dreh­tür­kar­rie­ren, Spen­den­af­fä­ren, schwar­ze Kas­sen, Sex- und ande­re »Ismen«, »Grau­zo­nen« aller Art und, und, und. Die Elek­tro­nik erwei­tert das Feld der Skan­da­li­sier­bar­keit noch. Dort kann sich jede Moral­wach­tel, die sonst kein Hob­by hat, auf die Jagd begeben.

Die dem Sou­ve­rän ange­tra­ge­ne und zumin­dest bis zu einem gewis­sen Grad kon­ze­dier­te Frei­heit, sei­ne Ver­tre­ter auf ihre Lau­ter­keit zu prü­fen, ist das Sah­ne­häub­chen geleb­ter Demo­kra­tie und Anlass zur Bür­ger­zu­frie­den­heit damit, unzu­frie­den sein zu dür­fen. Mehr geht nicht, aber immer­hin das; dazu klär­te schon der Gedan­ken­frei­heit geben­de, tole­ran­te »Alte Fritz« auf: Räso­niert, soviel Ihr wollt, aber gehorcht! Je nach Aus­gang einer Wahl bezich­ti­gen sich die Par­tei­en, dem begriffs­stut­zi­gen Wäh­ler die eige­nen Posi­tio­nen unge­nü­gend ver­klart zu haben, oder loben sich und ihn.

Der Par­tei­en­kon­kur­renz ent­springt ein wesent­li­cher Impuls für Auf­decke­ri­tis. In der par­la­men­ta­ri­schen Poli­ti­ker- und Par­tei­en­auf­stel­lung fällt der Regie­rung zu, ihrem Namen gerecht zu wer­den und dabei alles rich­tig zu machen, und der Oppo­si­ti­on, zu bil­li­gen, zu bean­stan­den und zu hin­ter­trei­ben. Skan­da­le sind ein wich­ti­ges Mit­tel von Oppo­si­ti­ons­ar­beit; da Regie­ren nicht die Opti­on der Stun­de ist, muss dem poli­ti­schen Geg­ner stän­dig das Kochen trü­ber, unser Wohl schä­di­gen­der Süpp­chen vor­ge­wor­fen und im gele­gent­li­chen Glücks­fall nach­ge­wie­sen wer­den. In der Oppo­si­ti­on zu sein, ist ein­fach »Mist« (Mün­te­fe­ring).

Die Leicht­ge­wich­tig­keit der oppo­si­tio­nel­len Boxer im poli­ti­schen Ring bleibt auch dem die Aus­übung von Füh­rung durch sei­ne Herr­schaft erwar­ten­den Bür­ger nicht ver­bor­gen; mit sei­nem Wahl­ver­hal­ten hono­riert er den »Amts­bo­nus«: Die/​wir machen was! Zusätz­lich hat die Regie­rung die fie­se, aber nicht wei­ter ver­wun­der­li­che Unver­schämt­heit, die pro­gram­ma­ti­schen Zwecke des Geg­ners in ihrer Poli­tik auch schon zu ver­fol­gen, was die­sem sein »Pro­fil« ver­wäs­sert. Es geht also vor allem nicht um ein »Was?«, son­dern dar­um, ein biss­chen anders und bes­ser an den diver­sen Stell­schrau­ben eines schon fest­ste­hen­den »Wie geht ›das‹?« zu dre­hen. Unter dem Strich ver­traut der ver­stän­di­ge Bür­ger auf qua Amt Bewähr­tes; von den ihm ange­tra­ge­nen »Selbst­ver­strickun­gen« und »Aus­rut­schern« ist ihm das mei­ste Pil­le­pal­le, ver­dient even­tu­ell auch Bewun­de­rung (A Hund isser jo scho) und gehört in die Wasch­an­la­ge von Untersuchungsausschüssen.

Beim ech­ten Feind gibt es kei­ne »Fehl­trit­te«, son­dern aus­schließ­lich Bele­ge für die Maro­d­heit eines »unmensch­li­chen Systems« (wäh­rend es hier natür­lich nur natür­lich »men­schelt«). Was Schrö­der ver­zapft, ganz egal, was er sagt, kann nur Stuss sein, da es vom Gas­ab­le­ser Putins kommt. Umge­kehrt ist jeder Spruch des Ölstaa­ten­ab­klap­pe­rers Habeck, egal, wo und wozu er abge­las­sen wird, irgend­wie beher­zi­gens­wert, weil »die­ser Mann« »unse­rer« ist und nur das Beste für »uns« in »unse­rer schwie­ri­gen Lage« will. Er führt, Baer­bock führt, die gan­ze Ampel führt so unüber­treff­lich im Inter­es­se der Nati­on, dass die Oppo­si­ti­on den Schul­ter­schluss zu ihrem klein­ka­rier­ten Leid­we­sen gar nicht ver­wei­gern und der Zei­ten­wen­de-Scholz den Tef­lon-Olaf läs­sig an sich abtrop­fen las­sen kann. Man soll also Äpfel und Bir­nen nicht ver­glei­chen: Putin ist ein Stech­ap­fel, und der Ehren­wort-Kohl der schwar­zen Kas­sen war schlimm­sten­falls eine Bir­ne mit Druck­stel­len. Wird dazu schul­ter­zuckend dia­gno­sti­ziert, Poli­tik sei nun ein­mal ein schmut­zi­ges Geschäft, dann ab mit ihm in die Auf­be­rei­tungs­an­la­ge deut­scher Sitt­lich­keit. Nichts wäscht reiner.