Die westliche Weltordnungspolitik befeuert den Verteidigungskrieg, den die Ukraine zur Vollendung ihrer Staatsgründung nach »unserem« Bild führt, als leichenträchtige Vorstufe zum Niederringen des chinesischen Hauptfeinds. »Begründet« wird das mit einem Freund-Feind-Schema, zu dem sich gerade all jene, die den Weltengang nicht bestimmen, also die ihren alltäglichen Interessen und Notwendigkeiten nachkommenden Bevölkerungen, die Frage stellen sollen: »Was würde ich machen, wenn ich ›unseren‹ Laden zu leiten hätte?« Ja, wenn meine Oma Räder hätte… Aber eine solche Verweigerung von Parteilichkeit lässt »die Zeitenwende« nicht zu. Stattdessen soll man sich zur Verwerflichkeit der einen und der Güte der anderen Seite den Kopf zerbrechen. Zum Glück ist das nicht schwer; man muss sich nur wie immer auf dem jeweiligen Neuigkeitenstand entsprechend orientieren, mit einer »resoluten Positionierung« im jeweils »richtigen« Meinungslager. Und welches das »richtige« ist, das wissen wir doch nun alle, oder nicht?
Mittlerweile ist es schwierig, nicht wenigstens eine Person zu kennen, die bei einem Tod Putins den Sekt entkorken würde. Dass die frogs (friends of gerhard schroeder) nur Unterjochungsgelüste hegen, weiß man doch längst; dazu passt: Der Teufel lebt in »Putins Palästen« (Nawalny) und trägt wie Schröder edlen Zwirn, ist »korrupt bis ins Mark«. Wenn das kein Grund ist, gegen ihn zu sein!
Was aber ist nun von Selenskyj zu halten, dieser Lichtgestalt mit Home-Story-Appeal, die, bewandert in dem Oligarchen- und Investoren-geläufigen off-shoring, ihre Schäfchen schon einmal ins trockene gebracht hat? Ist er somit ein ebenso »schlimmer Finger« wie der russische »Hütchenspieler«? Radio Eriwan: Im Prinzip ja. Aber… Pelenskyj und Sutin, But und Göse darf man nicht velwechsern. Schließlich ist der eine aus Schlechtigkeit der Feind und der andere, auch wenn er in Sachen Etikette noch zu lernen hat, eben »unser Mann« und somit trotz alledem ein Guter.
Hin oder her, macht Eigennutz politisches Handeln nun »falsch« und »böse«? Nochmals P. und S.: Auch ohne Eigennutz bliebe ihr jeweiliges politisches Handeln das, was es ausmacht, nämlich die nationale Sache. Ist man gegen diese, weil es die des Feindes ist, so erweist unsittliches Verhalten von dessen Inkarnation neben anderem, weshalb er kein Freund sein kann, bestätigt die schon längst bestehende Voreingenommenheit und wirft mit Leichtigkeit eine Kriegsberechtigung ab (wie z. B. den Kopftuchzwang bei afghanischen Frauen). Umgekehrt hülfe es dem Feind nicht ein Jota, ein richtiges Leben im falschen zu führen und noch tugendhafter und päpstlicher als der Papst zu sein.
Nun gehört Korruption bzw. das, was als solche gilt, zwar zur Demokratie wie die Schlägerei zum Wirtshausgang, aber zu Hause ist sie, anders als bei Autokratens, doch irgendwie etwas ganz anderes, jedenfalls kein Charakteristikum eines bösen Systems. Mit Tautos, dem Gott des Zirkels, formuliert: Weil Demokratie = gutes System ist, ist Korruption – = schlecht – kein Teil von ihm, denn wäre diese ein Teil von ihm, wäre das System keine Demokratie, weil Demokratie ja gut ist, usw. Und hier haben wir nun mal Demokratie. Punkt.
Dieses Bewusstsein, dieser sozialen Frieden sichernde Glaube zeichnet eine »für die Demokratie reife« Volksbasis aus (in anderen Ländern, z. B. bei den »Arabern«, ist das Volk halt noch nicht so weit). Der Staat unterwirft sie als Mitglieder einer offenen Gesellschaft mit deren Zustimmung und der Ermächtigung seines Personals mittels »wirklicher« Wahlen dem Allgemeinwohl, den von ihm verordneten und gesetzlich kodierten Verlaufsformen der Austragung gegensätzlicher Partikularinteressen auf der Grundlage von zur Kapitalisierung bestimmtem Privateigentum, aus welcher der Staat fördernd und fordernd seine Existenz und Macht bezieht und dafür auch sozialkompensatorisch tätig wird.
Skandale gibt es immer wieder; heute oder morgen werden sie geschehn, nicht nur im Sperrbezirk, nicht nur um Rosi, sondern flächendeckend auch im hiesigen Musterland der Demokratie. Ja isses denn ein Wunder? Nö – schließlich ist das Böse immer und überall. Nun die gute Nachricht: Im Gegensatz zum systemischen Feindbösen siegt unser Systemgutes immer über seine Schattenseiten – in mehrfacher Hinsicht.
Erstens braucht sich die Meinung mündiger, das Primat der Politik anerkennender Staatsbürger lediglich – eine leichte Übung in angewandter Gerechtigkeit – an der Auswahl der für eine Amtsführung bestmöglich Geeigneten bzw. der Abstrafung »fauler Äpfel« per gesetztem oder verweigertem Kreuz abzuarbeiten. Wer Strafe und Belohnung verdient, ist Sache der Zuständigen und nicht des »immer noch nicht angekommenen«, diktatursozialisierten »Ostlerpöbels«, dem die Großtat »der Geschichte«(?), korrupte Politfunktionäre wegzufegen, zu Kopf gestiegen ist. Nun ist »es« nämlich einfach gut so, wie »es« ist, die Demokratie ist verwirklicht, jetzt, real und vor allem: hier.
Wenn demgegenüber der von neuen politischen »Volkswohlverrätern« so beschiedene Ostwähler die »deutsche Alternative« sympathisch und seiner Stimme wert findet, dann entscheidet er sich für die ihm als (noch) am »uneigennützigsten« erscheinende Variante des Nationalismus im Angebot aller Parteien. Und wer, außer Marx, will schon etwas gegen den eigenen Nationalismus namens Patriotismus haben? Die extreme Mitte der Altparteien, der die andere Hälfte der Losung dein Volk ist alles ebenfalls geläufig ist, jedenfalls nicht, und jetzt schon gleich gar nicht.
Zweitens haut die sich auf das Bürgervertrauen verlassende, schon im Gemeinschaftskundeunterricht verbratene Binse, die Demokratie könne durch politische Korruption den schlimmsten vorstellbaren Schaden in Form von Vertrauensverlust nehmen, grundsätzlich nicht hin. Das Gegenteil ist der Fall: in einer funktionierenden Demokratie ist politische Korruption in sie integriert; beide können gut miteinander leben. Verstrickung in Filz und Sümpfe ist nicht bloßes Mittel der Bereicherung wie in gescheiterten Staaten, deren Elite sich nicht um die für Profit nicht gebrauchte »Über«-Bevölkerung kümmert. Hier, in unserem »unterbevölkerten« Land, definieren Gesetze, wie weit Eigennutz legales marktkonformes Agieren darstellt, und wo, ab wann und ab wie viel der Bereich des fein abgestuften Strafbaren beginnt. Grundsätzlich stellen Eigen- und Allgemeininteresse hiesiger Politiker keine sich zwangsläufig gegenseitig schädigenden Pole dar – so wie es auch vorkommen kann, dass ein Politiker, der seiner Zeit voraus ist, für ein hehres gesellschaftliches Ziel einen Gesetzesverstoß begeht und dafür Anerkennung verdient. (Die Soziologie bezeichnet das verständnisvoll als brauchbare Illegalität. Recht hat sie, und gegebenenfalls wird auch der Verstoß von gestern durch rechtliches »Nachsteuern« ab heute zur Tugend – ebenso wie man eines Morgens aufwachen und krank oder gesund sein kann, weil die WHO über Nacht an der Grenzwertstellschraube gedreht hat.)
Drittens verfügt die wunderbare Welt der funktionierenden, also tatsächlich demokratischen Demokratie, neben einem in sie vertrauenden und deshalb für sie reifen Volk und der für es per Gewaltmonopol durchbuchstabierten Geltung von Recht und Ordnung, über enorme moralische Automatismen zur »Selbstreinigung«. (Auch der Staat weiß, was nicht nur Hausfrauen wünschen.) Skandale sind, wie eben auch der größte »Betriebsunfall« deutscher Nation, gründlich »aufzuarbeiten« und so zu bewältigen, nicht nur per Gesetz, sondern mit Hilfe des gesunden Volksempfindens und Appellen an dieses. Die grundsätzliche Verträglichkeit privater Interessenverfolgung mit politischer Mission (so wie bei einem Geschäftsessen oder beim Golfen nicht nur für sich selbst gespachtelt oder geputtet wird) wird komplettiert mit einem nie abreißenden Entdecken von Skandalen und entsprechendem »Klärungsbedarf«. Da gibt es Ämterpatronage und -häufung, Postenschacher, Vetternwirtschaft, bajuwarische Clanstrukturen, Durchsetzung des Wirtschaftsministeriums mit Habecks »Jungs« und »Mädels«, Lobbyismus, Drehtürkarrieren, Spendenaffären, schwarze Kassen, Sex- und andere »Ismen«, »Grauzonen« aller Art und, und, und. Die Elektronik erweitert das Feld der Skandalisierbarkeit noch. Dort kann sich jede Moralwachtel, die sonst kein Hobby hat, auf die Jagd begeben.
Die dem Souverän angetragene und zumindest bis zu einem gewissen Grad konzedierte Freiheit, seine Vertreter auf ihre Lauterkeit zu prüfen, ist das Sahnehäubchen gelebter Demokratie und Anlass zur Bürgerzufriedenheit damit, unzufrieden sein zu dürfen. Mehr geht nicht, aber immerhin das; dazu klärte schon der Gedankenfreiheit gebende, tolerante »Alte Fritz« auf: Räsoniert, soviel Ihr wollt, aber gehorcht! Je nach Ausgang einer Wahl bezichtigen sich die Parteien, dem begriffsstutzigen Wähler die eigenen Positionen ungenügend verklart zu haben, oder loben sich und ihn.
Der Parteienkonkurrenz entspringt ein wesentlicher Impuls für Aufdeckeritis. In der parlamentarischen Politiker- und Parteienaufstellung fällt der Regierung zu, ihrem Namen gerecht zu werden und dabei alles richtig zu machen, und der Opposition, zu billigen, zu beanstanden und zu hintertreiben. Skandale sind ein wichtiges Mittel von Oppositionsarbeit; da Regieren nicht die Option der Stunde ist, muss dem politischen Gegner ständig das Kochen trüber, unser Wohl schädigender Süppchen vorgeworfen und im gelegentlichen Glücksfall nachgewiesen werden. In der Opposition zu sein, ist einfach »Mist« (Müntefering).
Die Leichtgewichtigkeit der oppositionellen Boxer im politischen Ring bleibt auch dem die Ausübung von Führung durch seine Herrschaft erwartenden Bürger nicht verborgen; mit seinem Wahlverhalten honoriert er den »Amtsbonus«: Die/wir machen was! Zusätzlich hat die Regierung die fiese, aber nicht weiter verwunderliche Unverschämtheit, die programmatischen Zwecke des Gegners in ihrer Politik auch schon zu verfolgen, was diesem sein »Profil« verwässert. Es geht also vor allem nicht um ein »Was?«, sondern darum, ein bisschen anders und besser an den diversen Stellschrauben eines schon feststehenden »Wie geht ›das‹?« zu drehen. Unter dem Strich vertraut der verständige Bürger auf qua Amt Bewährtes; von den ihm angetragenen »Selbstverstrickungen« und »Ausrutschern« ist ihm das meiste Pillepalle, verdient eventuell auch Bewunderung (A Hund isser jo scho) und gehört in die Waschanlage von Untersuchungsausschüssen.
Beim echten Feind gibt es keine »Fehltritte«, sondern ausschließlich Belege für die Marodheit eines »unmenschlichen Systems« (während es hier natürlich nur natürlich »menschelt«). Was Schröder verzapft, ganz egal, was er sagt, kann nur Stuss sein, da es vom Gasableser Putins kommt. Umgekehrt ist jeder Spruch des Ölstaatenabklapperers Habeck, egal, wo und wozu er abgelassen wird, irgendwie beherzigenswert, weil »dieser Mann« »unserer« ist und nur das Beste für »uns« in »unserer schwierigen Lage« will. Er führt, Baerbock führt, die ganze Ampel führt so unübertrefflich im Interesse der Nation, dass die Opposition den Schulterschluss zu ihrem kleinkarierten Leidwesen gar nicht verweigern und der Zeitenwende-Scholz den Teflon-Olaf lässig an sich abtropfen lassen kann. Man soll also Äpfel und Birnen nicht vergleichen: Putin ist ein Stechapfel, und der Ehrenwort-Kohl der schwarzen Kassen war schlimmstenfalls eine Birne mit Druckstellen. Wird dazu schulterzuckend diagnostiziert, Politik sei nun einmal ein schmutziges Geschäft, dann ab mit ihm in die Aufbereitungsanlage deutscher Sittlichkeit. Nichts wäscht reiner.