Die Diskussion über den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge in Hamburg (siehe Ossietzky 2/2021, S. 50) geht weiter. Für Dienstag, 16. Februar, haben die sozialdemokratische Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeld und der städtische Oberbaudirektor Franz-Josef Höing Befürworter und Gegner des Wiederaufbaus zu einem Gespräch in die Behörde eingeladen. Für März ist eine Podiumsdiskussion in der Patriotischen Gesellschaft geplant, auf deren Homepage (www.patriotische-gesellschaft.de) das Vorhaben im Für und Wider thematisiert wird.
Die Kritiker richten zurzeit ihr Augenmerk vor allem auf Diskrepanzen, die ihrer Ansicht nach zwischen der am 22. Januar 2021 erfolgten Ausschreibung und den Forderungen bestehen, die im Februar 2020 kurz vor der Bürgerschaftswahl unter Mitwirkung der Senatskanzlei an die Machbarkeitsstudie gestellt wurden.
Unbehagen bereitet ihnen auch, dass der gegenwärtige Landesrabbiner Shlomo Bistritzky, der die Idee des Wiederaufbaus ins Gespräch gebracht hatte, der sehr orthodoxen jüdischen Gruppierung Chabad Lubowitsch angehört. Bevor er 2012 Rabbiner der Gemeinde wurde, leitete er das Chabad-Zentrum in Hamburg. »Sehr orthodox« heißt zum Beispiel, dass er Frauen aus religiösen Gründen nicht die Hand gibt. Die zweite, liberal gesinnte Jüdische Gemeinde spielt in der Diskussion bisher zumindest öffentlich keine Rolle.
Zwischenzeitlich sind sehr anrührende Briefe von ehemaligen jüdischen Hamburgerinnen und Hamburgern aus den USA und Israel bei den Kritikern eingegangen. Sie sprechen mit teils drastischen Worten der heutigen Jüdischen Gemeinde das Recht ab, sich die »Synagoge der ehemaligen Community durch Wiederaufbau anzueignen«. Die jüdische Lebenswelt von vor 1933/38 sei eine andere als die heutige.
Zu diesen Schreiben gehört der Brief von Erika Estis, geb. Freundlich. 1922 in Hamburg geboren, entkam sie Ende 1938 mit einem »Kindertransport« nach England und lebt heute in der Nähe von New York. Ihre Eltern, Apotheker Paul und Irma Freundlich, wurden in Auschwitz ermordet. Auch Estis ist entsetzt über die Pläne zum Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge in historischer Gestalt. Sie schreibt:
(Diese Synagoge besuchten) »meine Familie und ich an allen Feiertagen und häufig auch zum Schabbat. Nach den damaligen deutsch-jüdischen Maßstäben war dies eine orthodoxe Gemeinde. Wir bewunderten und respektierten unseren Rabbiner, Hamburgs Oberrabbiner Dr. Josef Carlebach. Ich besitze noch einen Brief meines Vaters an meine älteste Schwester, die im Jahr 1941 bereits in New York lebte, in dem er über die bewegende Predigt des Rabbiners zu den Hohen Feiertagen dieses Jahres schrieb. Die Gemeinde, die einen Nachbau unserer alten Synagoge errichten möchte, ist völlig anders als alle Gemeinden, die in Hamburg bestanden. Der heutige Hamburger Oberrabbiner ist ein Chassid, der möglicherweise sogar unsere Form des Judentums ablehnt. Er tritt für die Zerstörung eines Denkmals ein, das an eine lebendige und engagierte Jüdische Gemeinde unter der Führung unseres geliebten Oberrabbiners erinnert. Der Versuch, diese alte Synagoge nachzubauen, ist verachtenswert. Die Zerstörung der gesamten Gedenkstätte, die an frühere Zeiten erinnert, ist für uns, deren Familien dort gelebt und gebetet haben und dann ausgelöscht wurden, herzzerreißend. Schon der Gedanke, dass dieses Vorgehen angemessen sein könnte, ist vollkommen unmöglich, beschämend und schändlich.«