Nicht immer, nur in Gratulationsbriefen zum Geburtstag durfte Kurt Gossweiler zum parteilosen Peter Hacks »Genosse« sagen, und er tat das auch, und es war wie ein feierlicher Akt.
Professor Kurt Gossweiler (1917-2017), Historiker, der sich als Faschismusforscher verdient gemacht hat, beschäftigte sich auch mit der Geschichte der Arbeiterbewegung, dabei mit Revisionismus-Analysen, wobei er die Position vertrat, dass mit Nikita Chruschtschow der Verrat an der sozialistischen Sache begonnen habe und so Lenins und Stalins Erbe verspielt wurde. Peter Hacks (1928-2003), Dramatiker, Lyriker und Essayist, hatte schon zu DDR-Zeiten Erich Honecker als den Verräter von Walter Ulbrichts Erbe ausgemacht und ließ auf den »Klassiker« Stalin nichts kommen. So ist es fast ein Wunder, dass beide sich erst 1996 »trafen«. Hacks schickte Gossweiler seine Gesammelten Aufsätze »Die Maßgaben der Kunst«, Gossweiler bedankte sich, und allmählich entwickelte sich ein Briefwechsel zwischen den »Mitstreitern«, der schließlich 52 Briefe im Laufe von mehr als sechs Jahren ausmachte. Sie waren sich gewogen. Bewusst, Außenseiterpositionen zu vertreten, bestärkten sie sich gegenseitig. Voller Respekt, ja Ehrerbietung, aber auch nicht uneitel, tauschten sie sich über die ihnen so dringenden Fragen aus, wann und wie das Stalinsche Erbe verspielt worden war, welche Rolle Chruschtschow dabei gespielt habe, was in der DDR falsch gelaufen sei, wann und ob das schmähliche Ende der DDR noch aufzuhalten gewesen wäre. Hacks› Theorie von den besonderen Klassen im Sozialismus wird zwar von Gossweiler nicht geteilt, aber sie tun sich bei Meinungsverschiedenheiten nicht weh. Was gegenseitige Hochachtung ist, ist hier zu lernen, wenngleich auch ein bisschen Spaß oder Ironie im Spiel gewesen sein dürfte. Es ist erstaunlich, wie informiert und interessiert Hacks an den zeitgenössischen Debatten der Linken war, immer auf der Suche nach Antworten, wie es mit dem Sozialismus weitergehen könnte. Nicht immer fein in ihren Urteilen über Zeitgenossen, versuchen sich die zwei einen Weg aus dem Dickicht der Ideologien zu bahnen, und noch heute ist es spannend und lehrreich, ihnen zu folgen, wenn man auch so manche Theorie nicht teilt.
Das Buch liegt nun in einer erweiterten zweiten Auflage vor – ein Verdienst von Matthias Oehme und dem Eulenspiegel Verlag.
Kurt Gossweiler: »Darf ich Genosse sagen? Der Briefwechsel mit Peter Hacks«, herausgegeben von Matthias Oehme, Eulenspiegel Verlag, 220 S., 12 €.