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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Verlorene Schlachten

Die Covid-19-Seu­che hat eine Unmen­ge abstru­ser Theo­rien über deren Ursa­che her­vor­ge­bracht. Es fällt mir schwer, den Glau­ben an die­se Theo­rien nach­zu­emp­fin­den. Noch schwe­rer aller­dings fällt es mir, die Zeit­ge­nos­sen zu ver­ste­hen, die jene ver­dam­men, die trotz aller Erfah­run­gen der ver­gan­ge­nen Jahr­hun­der­te mit erfolg­reich aus­ge­rot­te­ten Krank­hei­ten Imp­fun­gen für gefähr­li­cher hal­ten als die Lei­den, vor denen sie schüt­zen sol­len, aber nichts ein­zu­wen­den haben gegen jene, die mei­nen, dass Beten das Unrecht in die­ser Welt effi­zi­en­ter bekämpft als Revo­lu­tio­nen, gege­be­nen­falls sogar bewaff­ne­ter Wider­stand. 1,2 Mil­li­ar­den Katho­li­ken, ver­mut­lich der Papst ein­ge­schlos­sen, glau­ben an die jung­fräu­li­che Geburt, an die Auf­er­ste­hung und an ein Leben nach dem Tod. Und man lässt sie gewähren.

Nun mag man ein­wen­den, dass der Glau­ben an die Jung­frau Maria weni­ger Scha­den anrich­tet als die Wei­ge­rung, sich zum eige­nen Schutz und zum Schutz sei­ner Mit­men­schen imp­fen zu las­sen. Histo­risch stimmt das jeden­falls nicht. Wenn man berech­net, wie vie­le Frau­en, Män­ner und Kin­der seit Chri­sti Geburt ermor­det, ver­folgt, aus­ge­grenzt wur­den, weil sie den Glau­ben der Chri­sten nicht geteilt haben, dürf­te deren Zahl die der Coro­na-Opfer bei wei­tem über­schrei­ten. Und wenn das Beten Skla­ven davon abge­hal­ten hat, sich gegen ihre Ver­skla­vung zu weh­ren, wenn es die Kolo­ni­al­völ­ker und die Armen in der Welt über ihre Unter­drückung hin­weg­ge­täuscht hat und nach wie vor hin­weg­täuscht, so ist das kei­ne Pri­vat­sa­che, son­dern ein Ver­bre­chen gegen die Menschheit.

Die Gefahr geht nicht allein von den Impf­geg­nern und den Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­kern unter den Pan­de­mie-Leug­nern aus. Sie ist viel­mehr das Pro­dukt des Irra­tio­na­lis­mus, die Reli­gio­nen inklu­si­ve. Das ist kei­ne neue Erkennt­nis. Man brauch­te kein Virus, um sie zu gewin­nen. Aber alle Ver­su­che, dar­aus Kon­se­quen­zen zu zie­hen, blie­ben erfolg­los. Und es hat den Anschein, dass die Auf­klä­rung in unse­rer Gegen­wart weni­ger Chan­cen hat als noch vor kurzem.

Geste­hen wir es uns ein: Wir haben den Kampf der Ver­nunft gegen Aber­glau­ben, Irra­tio­na­lis­mus und Obsku­ran­tis­mus ver­lo­ren. Es gibt wenig Anlass, opti­mi­stisch in die Zukunft zu blicken. Und mit aller Deut­lich­keit: Tole­ranz gegen­über einem Schul­un­ter­richt, der den Dog­ma­ti­kern, gleich wel­cher Reli­gi­on, den Krea­tio­ni­sten eben­so wie den Chare­dim oder den Dschi­ha­di­sten, Raum lässt, ist zumin­dest eben­so selbst­mör­de­risch wie die Tole­ranz gegen­über Impf­geg­nern. Wir könn­ten dar­an zugrun­de gehen. Aber viel­leicht ist es nicht scha­de um uns.