Der Polizeieinsatz vom 8. August dieses Jahres, bei dem der 16jährige Senegalese Mouhamed D. von einem Beamten mit dessen Maschinenpistole erschossen worden ist, ruft die Erinnerung wach an das Geschehen vom 11. Mai 1952 in Essen, bei dem die Polizei gezielt mit scharfer Munition auf Teilnehmer einer Kundgebung gegen die deutsche Wiederbewaffnung geschossen hat. Dabei gab es einen Toten und mehrere zum Teil schwer Verletzte.
Konkret richtete sich die Kundgebung gegen die für den 26. Mai geplante politisch umstrittene Unterzeichnung des als Generalvertrag bezeichneten Abkommens zur Aufstellung deutscher Streitkräfte. Zu der Veranstaltung wurden 20.000 Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet erwartet. Um dem damaligen Bundeskanzler Adenauer die blamable Begleitmusik zur Vertragsunterzeichnung zu ersparen, erließ der nordrhein-westfälische Innenminister Arnold (CDU) kurzfristig ein Verbot, für dessen Bekanntmachung er sich des Nordwestdeutschen Rundfunks in Köln bediente, der das Verbot am 9. Mai in den Abendnachrichten bekannt gab. Die Polizei war mit 2.000 Beamten im Einsatz.
Am Tag der Kundgebung versammelten sich etwa 2.000 überwiegend junge Menschen vor dem Haupteingang der Gartenbauausstellung in Essen, wo es zu schweren Zusammenstößen mit der zum Teil berittenen Polizei kam. Im Verlauf der Auseinandersetzungen bewarfen Demonstranten die Beamten mit Steinen, die auf dem Rüttenscheider Kirmesplatz gezielt das Feuer mit scharfer Munition aus ihren Dienstpistolen eröffneten. Der 21jährige Philipp Müller wurde dabei durch einen Schuss in den Rücken tödlich getroffen.
Die Polizei behauptete später, die Demonstranten hätten als erste das Feuer eröffnet. Später musste sie im Landtag und vor Gericht zugeben, dass das gelogen war.
Als ich viele Jahre später versucht habe, Licht in das Geschehen zu bringen, antwortete mir der Präsident des Landtags: »Leider muss ich ihnen mitteilen, dass sich im Archiv des Landtages kein Hinweis über eine abschließende Äußerung der Landesregierung über die Vorgänge in Essen auffinden lässt.« Offensichtlich wurde keiner der Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen.
Mehr dazu unter »Anatomie eines Lügenkomplotts«, in Conrad Taler »Gegen den Wind«, PapyRossa Verlag, 2017, 303 S., 20 €.