Am Neujahrstag hat Bundesaußenminister Heiko Maas twittern lassen: »Heute beginnt unsere zweijährige Mitgliedschaft im @UN-Sicherheitsrat. Das sind unsere vier Schwerpunktthemen: Klimawandel und Sicherheit; Frauen, Frieden und Sicherheit; Schutz von humanitären Helfern; Abrüstung und Rüstungskontrolle«. Heiko Maas und Bundesregierung setzen sich für Frieden und Sicherheit, für Abrüstung und Rüstungskontrolle ein? Die Bundesregierung und Heiko Maas, die bis heute die Unterzeichnung des UN-Vertrags zum Verbot von Atomwaffen verweigern; die Jahr um Jahr den Rüstungshaushalt steigern; die sich tapfer wegducken, wenn US-Präsident Donald Trump zum weihnachtlichen Truppenbesuch nach Ramstein kommt, statt ihn aufzufordern, doch bitte schön endlich die in Deutschland gelagerten US-Atomwaffen außer Landes zu schaffen, am besten gleich beim Rückflug in der Air Force One? Ganz ernst mag man da den saarländischen Sozialdemokraten nicht nehmen.
Per Pressemitteilung behauptete Heiko Maas zum großen Tag am 1. Januar schließlich, die Erwartungen an Deutschland seien »nie größer« gewesen. Die Bundesregierung will sich dem Vernehmen nach im UN-Sicherheitsrat verstärkt für eine Lösung weltweiter Krisen engagieren »Wir haben uns gut vorbereitet und wollen diese Verantwortung annehmen«, so Maas. Mit Blick auf zwei Meldungen im ZDF und in der FAZ muss dieses Diktum ausdrücklich als Drohung verstanden werden.
Bevor am Brandenburger Tor das große Silvesterfeuerwerk gezündet wurde, kam vom Mainzer Lerchenberg noch folgende Kommandomeldung: »Übernahme an Neujahr: Deutschland führt NATO-Speerspitze«. Diese richte sich »vor allem gegen Russland«. Und »sollte die schnelle Truppe 2019 gefordert sein, stünden deutsche Soldaten an vorderster Front.« Nach Angaben des Verteidigungsministeriums bestehen die Landstreitkräfte der sogenannten Speerspitze des NATO-Militärpakts in diesem Jahr aus rund 8000 Soldaten – und heuer unter deutschem Oberbefehl. So viel Verantwortung muss sein.
Auch politisch gehen die Sozialdemokraten weiter in Frontstellung. Kurz vor Übernahme der antirussischen superschnellen Eingreiftruppe der NATO kündigte der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Nils Schmid – wie von Heiko Maas bestellt – einen Kurswechsel seiner Partei im Umgang mit Russland an. Die SPD wolle weg von einer auf persönlichen Beziehungen basierenden Politik. »Nüchtern« und »kritisch« solle die Russland-Politik fortan sein. »Die alte Russlandpolitik der SPD war stark vom Ansatz geprägt: Führende Politiker setzen sich abends für einige Stunden mit Putin zusammen, danach wird sich schon etwas in die gewünschte Richtung bewegen. Das hat sich aber als Fehleinschätzung erwiesen«, diktierte Schmid der FAZ in die Spalten. Diese auf persönlichen Beziehungen basierende Politik gegenüber Moskau, wie sie vom früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder und den ehemaligen Außenministern Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel vertreten worden sei, solle endgültig der Vergangenheit angehören. Wie sein Außenminister geht auch Schmid auf Distanz zur einstigen Ostpolitik seiner Partei. Seine Generation, so der 45-Jährige, sei durch die Perestroika-Zeit unter Michail Gorbatschow geprägt, nicht mehr von der Ostpolitik des früheren SPD-Kanzlers Willy Brandt. Überhaupt seien die Beziehungen mit Russland einfach nur enttäuschend. Nichts gehe voran, barmt der sozialdemokratische Nachwuchskader. »Wir führen weiter einen Dialog mit Russland. In der Substanz bewegt sich Moskau allerdings in entscheidenden Fragen – wie im Ukraine-Konflikt – nicht.« Es ist freilich nicht bekannt, dass sich Heiko Maas und die Bundesregierung in entscheidenden Fragen, etwa in dem von früheren deutschen Außenministern befeuerten Ukraine-Konflikt, in der Substanz bewegt hätten. Im Gegenteil: Auf Beschluss des ukrainischen Parlaments wurde am 1. Januar landesweit der 110. Geburtstag des Nazikollaborateurs Stepan Bandera begangen. In der Hauptstadt des Möchtegern-NATO-Mitglieds beteiligten sich Tausende an einem Fackelzug. Das westukrainische Lwiw erklärte 2019 sogar zum »Bandera-Jahr«.
Von Außenminister Heiko Maas, der am 1. Januar per Twitter ja ausdrücklich bekundet hatte, sich für Frieden und Sicherheit einzusetzen, und der sonst gerne Haltung zeigt, war zur staatlich verordneten Heldenverehrung und zum Kiewer Faschistenaufmarsch für einen Verbrecher, dessen Organisation Ukrainischer Nationalisten im Zweiten Weltkrieg für Verfolgung und Terror verantwortlich war, nur Schweigen zu vernehmen. Wie übrigens auch vom übrigen Kabinett, vom ZDF und von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, doch das nur nebenbei.
Nils Schmid und seiner Generation von Sozialdemokraten sei ein kleiner Lektüretipp ans Herz gelegt: Der Amtsvorgänger von Heiko Maas, der frühere Außenminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel warnt in seinem Buch »Zeitenwende in der Weltpolitik. Mehr Verantwortung in ungewissen Zeiten« (Herder-Verlag 2018) vor einer weiteren Konfrontationspolitik gegenüber Russland und stellt auch die Ukraine-Politik vom Kopf auf die Füße. Dass sich das Abkommen von Minsk in einer Sackgasse befände, sei »nicht allein der russischen Bewegungslosigkeit geschuldet«. Letztlich habe die ukrainische Führung das Abkommen nur unterzeichnet, weil sie vor einer militärischen Niederlage stand. »Eine echte ›Ownership‹ für das Abkommen hat es in der ukrainischen Politik nie gegeben. Im Gegenteil: Jedes Jahr wurde in Kiew der Widerstand gegen die Umsetzung größer. Der Konflikt im Donbass dauert inzwischen viel zu lange, zu tief haben sich Hass und Gewalt in beide Gesellschaften hineingefressen. Es dürfte nicht nur eine Schutzbehauptung Putins sein, Russland würde sich erst dann aus der Ostukraine heraushalten, wenn die Gefahr von blutigen Rachefeldzügen ukrainischer Verbände gegen die russischen Minderheiten im Donbass gebannt sei.« Deshalb empfehle es sich auch nicht, so Gabriel weiter, an der vollständigen Umsetzung des Minsker Abkommens über die Zukunft der Ostukraine festzuhalten, bevor Europa bereit ist, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben. »Die Sanktionen sind schrittweise aufgebaut worden, also kann und muss man sie auch nach und nach abbauen.« Sein persönlicher Eindruck sei, schreibt der frühere SPD-Vorsitzende weiter, »dass der russische Präsident Wladimir Putin den Konflikt in der Ostukraine lösen will«. Es war schon beim Amtsantritt von Heiko Maas vor knapp einem dreiviertel Jahr absehbar, dass man sich so rasch einen Sigmar Gabriel zurücksehnen könnte.