Zu ihrem 50. Geburtstag wünscht sich Lena die Anwesenheit der Tochter Edita und der Freundin Tatjana, und wir erfahren im Roman die Lebensläufe der drei Frauen: Alle drei sind aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Unterschiedlichen Generationen angehörend, haben sie unterschiedliche Erfahrungen gemacht und haben auch verschiedene Ansprüche an das Leben. Lena beispielsweise erlebte als Kind noch die sowjetischen Pionierlager und war doch lieber in der Haselnusssiedlung der Großmutter in Sotschi. Die Eltern waren nach Gorlowka gezogen und lebten hier ukrainischen Alltag mit den normalen Bestechungen für Arzt, Wohnung und Studienplatz. Das passiert auch Lena bei ihrer Bewerbung für ein Medizinstudium in Donezk, wo sie nicht genügend »geschmiert« hat. Ein weiteres Mal ist sie gewappnet, und so werden Dnepropetrowsk und das dortige Studentenheim ihre Welt, in der es immer mehr bröckelt. Als Ärztin darf sie Privatpatienten behandeln, so lernt sie »Businessmänner« und neuen Reichtum kennen. Die Liebe zum Tschetschenen Edil erfüllt sich nicht, und so wird der Jude Daniel der Vater ihrer Tochter Edita. Der kann die nötigen Papiere beschaffen, und die Familie wandert aus nach Deutschland.
Wir treffen sie nach Jahrzehnten später in Jena und erfahren nur knapp von den Eingewöhnungsschwierigkeiten. Das »Paradies« ist es nicht geworden. Die Ärztin arbeitet als Krankenschwester, Daniel ist arbeitslos. Hier hatte Lena auch Tatjana kennengelernt, die – von ihrem deutschen Lover verlassen – ihre Tochter Nina allein großziehen musste. Mit anderen Ukrainern, Russen und Juden leben sie in einer Gemeinschaft, die sich gegenseitig hilft, gemeinsam feiert und sehr an der Vergangenheit hängt. Sie haben ihren Frieden mit dem Schicksal gemacht. Der Stolz auf die Kinder, die es besser haben sollen, eint sie. Doch die Kinder, Beispiel Edita, wollen ganz anderes, haben andere Probleme, verstehen die Alten nicht.
Sasha Marianna Salzmann, geboren 1985 in Wolgograd, emigrierte im Alter von zehn Jahren als jüdischer Kontingentflüchtling nach Deutschland. Als Dramatikerin und Redakteurin hat sie sich einen guten Ruf erworben. »Im Menschen muss alles herrlich sein« ist ihr zweiter Roman. Sie erzählt anschaulich, mit Sinn für Details und mit Mut zu Unterlassungen von Umbruchzeiten, von Müttern und Töchtern, und zeichnet vor allem ein ungeschminktes Bild der Ukraine. Nichts wird beschönigt. Die Leute wollen einigermaßen gut leben und haben sich eingerichtet. Gewöhnliche Korruption, normaler Rassismus, Streben nach Wohlstand und doch immer wieder Scheitern und Sich-Neu-Einrichten. In Zeiten, in denen Städte wie Dnepropetrowsk, Donezk oder Mariupol plötzlich eine ganz andere Bedeutung erlangen – ein hilfreiches Buch.
Sasha Marianna Salzmann: Im Menschen muss alles herrlich sein, Suhrkamp Verlag, Berlin 2021, 380 S., 24 €.