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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Trotz alledem: edition ost

Es stinkt. Das Feu­er hat nicht nur für einen schwar­zen Über­zug auf Tischen, Com­pu­tern, Büchern und Manu­skrip­ten gesorgt, son­dern auch die Luft reich­lich mit Che­mie ange­rei­chert. Schon nach weni­gen Minu­ten schmerzt die Lun­ge. Und das im drei­ßig­sten Ver­lags­jahr, den­ke ich depri­miert. Dabei ist es nicht die erste Kata­stro­phe in der Ver­lags­ge­schich­te. Gewiss aber die fol­gen­reich­ste. In der Küche soll es in der Nacht einen Schwel­brand gege­ben haben, auch wenn die Brand­er­mitt­ler ande­re Optio­nen nicht aus­schlie­ßen wol­len. Sei­en Sie froh, sagt der Mann mit Helm, dass die Hit­ze das Was­ser­rohr plat­zen ließ und das Feu­er lösch­te, sonst wäre viel­leicht das gan­ze Haus abge­brannt. Die Ermun­te­rung des Feu­er­wehr­man­nes erfüllt nur mäßig ihren Zweck, auch wenn er Recht hat. Doch für mich gleicht sein Trost der Fra­ge, was nun schlim­mer sei: die Pest oder die Cholera.

Drei­ßig Jah­re edi­ti­on ost. Bei Jubi­lä­en wird gemein­hin geju­belt. Aber ange­sichts der Mise­re soll­te man bes­ser demü­tig auf Bei­fall und Hul­di­gung ver­zich­ten und statt­des­sen die schwar­zen Stun­den reflek­tie­ren, von denen es wahr­lich nicht weni­ge gab. Aus­ge­nom­men von die­ser Betrach­tung viel­leicht jene vie­len Stun­den vor Gericht oder vor den Schreib­ti­schen von Anwäl­ten, die mit der Abwehr der Attacken beauf­tragt waren und denen Argu­men­te gelie­fert wer­den muss­ten, um die Pro­zess­han­sel in die Flucht zu schla­gen. Nein, kei­ne Zei­le über in Para­gra­fen gegos­se­ne Idio­tie und Wich­tig­tue­rei, die unend­lich viel Ener­gie koste­ten. Belas­sen wir es mit der Fest­stel­lung Hel­mut Schmidts, getrof­fen 1981 am Wer­bel­lin­see im Gespräch mit Erich Hon­ecker bei der Erör­te­rung der Fra­ge, wer es leich­ter habe, zu regie­ren: der Bun­des­kanz­ler oder der Staats­rats­vor­sit­zen­de. Der Kanz­ler befand poin­tiert, dass die Bun­des­re­pu­blik kein Rechts-, son­dern ein Gerichts­staat wäre, womit er einer­seits Hon­ecker das leich­te­re Amt zuschob und uns Ost­deut­schen die – damals nicht erwart­ba­re – Zukunft pro­phe­zei­te. Mehr muss man zu die­sem uner­quick­li­chen Kapi­tel hier nicht ver­lie­ren. Allen­falls dass Hon­eckers »Moa­bi­ter Noti­zen«, 1994 von uns ediert und in vie­le Spra­chen über­tra­gen, dem Ver­lag zu ideel­lem wie auch mate­ri­el­lem Start­ka­pi­tal ver­hal­fen. Wir besetz­ten einen Acker, von dem sich ande­re gemacht hatten.

War­um also nicht ein­mal über diver­se Desa­ster berich­ten, die uns schon bald heim­such­ten, nach­dem wir zu dritt den Ver­lag Ende 1991 aus der Tau­fe geho­ben hat­ten? Die größ­ten Ärger­nis­se waren die zumeist unfrei­wil­li­gen Umzü­ge. Wir star­te­ten in einer Büro­ge­mein­schaft in einem Zim­mer­chen mit Blick auf den Mär­chen­brun­nen am Ran­de vom Volks­park Fried­richs­hain. Dann wech­sel­ten wir in ein Häus­chen am Trep­tower Park – unser rech­ter Nach­bar war, nun wie­der Rechts­an­walt, Lothar de Mai­ziè­re. Links von uns befand sich der vor­ma­li­ge Gewerk­schafts­ver­lag Tri­bü­ne nebst Drucke­rei, den inzwi­schen umtrie­bi­ge Geschäf­te­ma­cher aus West­ber­lin erwor­ben hat­ten. Sie taten dies in der Erwar­tung, dass quer übers Betriebs­ge­län­de schon bald eine Stadt­au­to­bahn ange­legt wer­den wür­de. Den Kauf­preis – den sie im Übri­gen nie bezahl­ten, wes­halb die Treu­hand den Ver­kauf spä­ter annul­lier­te – hoff­ten sie in einen mehr­fa­chen Gewinn ver­wan­deln zu können.

Inzwi­schen brauch­ten wir jedoch mehr Raum, weil wir die Ber­li­ner Lin­ke gekauft hat­ten, eine Wochen­zei­tung, die wir bis Mit­te 1996 pro­du­zier­ten, bis es nicht mehr ging. Und wir begrün­de­ten den ver­lag am park, als Imprint der edi­ti­on ost. Wir zogen also mit Ver­lag und Redak­ti­on in das alte Back­stein­ge­bäu­de neben­an, ins Vor­der­haus der Tri­bü­ne, und blie­ben dort, bis die Eigen­tü­mer – eben jene win­di­gen West­ber­li­ner Spe­zis – von der Deut­schen Post ein lukra­ti­ves Ange­bot erhiel­ten. Deren Filia­le hat­te bis dato drei Häu­ser wei­ter in einer Vil­la ihre Geschäf­te ver­rich­tet und muss­te nun raus, weil das Anwe­sen an die Bot­schaft Bela­russ­lands gegan­gen war. Uns ver­bann­te der Ver­mie­ter in die hin­te­ren Räu­me der Drucke­rei, was nun wahr­lich eine Zumu­tung war. Nichts gegen gesun­den Pro­duk­ti­ons­lärm, doch einer seriö­sen Ver­lags­tä­tig­keit war dies nicht unbe­dingt zuträg­lich. Also such­ten wir not­ge­drun­gen als­bald das Wei­te und fan­den Räu­me an der Fried­rich­stra­ße, im letz­ten von der DDR fer­tig­ge­stell­ten Neu­bau­block. Wir schau­ten von dort auf die Spree, die an den Fen­stern vor­bei­floss. Im Som­mer ver­keh­ren auf ihr vie­le Schif­fe, und die Aus­flüg­ler wer­den an Ober­deck mit­tels Laut­spre­cher über die angren­zen­den Sehens­wür­dig­kei­ten unter­rich­tet: »Rechts vor­aus sehen Sie das Ber­li­ner Ensem­ble, das Brecht begrün­de­te, links den Bahn­hof Fried­rich­stra­ße mit dem Trä­nen­pa­last, so gehei­ßen, weil wegen der deut­schen Tei­lung sich hier die Fami­li­en ver­ab­schie­de­ten…« So ging es in einer Tour, an den Wochen­en­den war es kaum zum Aus­hal­ten. Die exklu­si­ve Lage hat­te halt ihren Preis.

Eines Nachts löste sich der Was­ser­schlauch an der Ent­wick­ler­ma­schi­ne – in den neun­zi­ger Jah­ren schick­te man noch Fil­me in die Drucke­rei, die Digi­ta­li­sie­rung steck­te erst in den Anfän­gen. Die Feu­er­wehr hol­te mich mor­gens aus dem Bett, denn Nach­barn hat­ten bemerkt, dass sich Sturz­bä­che aus den bis zum Boden rei­chen­den Fen­stern ergos­sen. Alle Ver­lags­räu­me waren geflu­tet, wir gott­lob aus­rei­chend ver­si­chert. Der Ver­lag zog zwei Ein­gän­ge wei­ter, doch das angren­zen­de Hotel im Hau­se woll­te nach einem Eigen­tü­mer­wech­sel expan­die­ren, wes­halb der Ver­mie­ter uns freund­lich auf­for­der­te, nach einer neu­en Blei­be Aus­schau zu halten.

Hin­zu kam, dass der Auf­sichts­rat vor­schlug – wir waren seit 1998 eine Akti­en­ge­sell­schaft –, das Unter­neh­men bes­ser zu liqui­die­ren, denn eine Geheim­dien­st­re­si­den­tur woll­ten wir nicht sein. Grund für die­se Ent­schei­dung war ein Anruf des Gene­ral­staats­an­walts des Lan­des Thü­rin­gen. Der ermit­tel­te gegen den soeben gefeu­er­ten Prä­si­den­ten des Lan­des­am­tes für Ver­fas­sungs­schutz wegen Untreue in meh­re­ren Fäl­len, dar­un­ter den Kauf von Akti­en der edi­ti­on ost. Einen Aktio­när die­ses Namens gebe es bei uns nicht, teil­te ich mit, doch als der ober­ste Ermitt­ler uns die Akti­en­num­mern nann­te, ent­deck­ten wir im Akti­en­buch auch den Käu­fer. Es han­del­te sich um einen vor­zugs­wei­se in lin­ken Medi­en schrei­ben­den Jour­na­li­sten. Oh, sag­te der Gene­ral­staats­an­walt, als ich ihm den Namen des Akti­en­in­ha­bers mit­teil­te, der habe für den Prä­si­den­ten auch ande­re Geschäf­te als Stroh­mann getä­tigt. Womit er die Ver­mu­tung bestä­tig­te, dass Geheim­dien­ste sich gern der inof­fi­zi­el­len Mit­ar­beit von Jour­na­li­sten ver­si­chern. Als nach nun ein­set­zen­der inter­ner Recher­che sich auch noch her­aus­stell­te, dass unter unse­ren Aktio­nä­ren auch ein Ex-CIA-Mit­ar­bei­ter war, mach­te der Auf­sichts­rat eben jenen Vor­schlag. Denn was hei­ße Ex, kom­men­tier­te er. Es gel­te die Erkennt­nis als gesi­chert: ein­mal Dienst, immer Dienst.

So schlos­sen wir uns denn mit einem ande­ren Unter­neh­men, des­sen Pro­fil nicht all­zu weit von dem uns­ri­gen ent­fernt lag, zu einer Ver­lags­grup­pe zusam­men, was einen Umzug in die Luxem­burg­stra­ße erfor­der­lich mach­te. Wegen der räum­li­chen Enge muss­ten wir nach einer gewis­sen Zeit gemein­sam nach etwas Ande­rem Aus­schau hal­ten. So wur­den wir in der Neu­en Grün­stra­ße Nach­barn des vor­ma­li­gen Evan­ge­li­schen Kon­si­sto­ri­ums Ber­lin-Bran­den­burg, einst Arbeits­stel­le von Kon­si­sto­ri­al­prä­si­dent Man­fred Stol­pe. Unse­re Räu­me dort umrun­de­ten einen Innen­hof, und wir wür­den noch heu­te drin arbei­ten, wäre nach acht Jah­ren der Ver­mie­ter nicht auf die Idee gekom­men, die Mie­te exor­bi­tant anzu­he­ben. Ver­mut­lich muss­te er die Schä­den am Gebäu­de aus eige­ner Tasche bezah­len. Als näm­lich neben­an eine Bau­gru­be aus­ge­ho­ben wur­de, ris­sen die Wän­de vom Kel­ler bis ins Dach­ge­schoss. Mit­un­ter kni­ster­te und knarz­te es gefähr­lich, wenn man stumm über einem Manu­skript brü­te­te. Wir woll­ten nicht war­ten, bis man durch den Spalt in der Außen­wand den Him­mel sah, und die dro­hen­de Miet­stei­ge­rung trieb uns in die näch­ste Behau­sung. Die befand sich nun am Gen­dar­men­markt. Wir blick­ten nicht nur aufs Schau­spiel­haus und auf den Deut­schen und den Fran­zö­si­schen Dom, son­dern genos­sen im Som­mer die Open Air Kon­zer­te auf Ber­lins schön­stem Platz. Wir hock­ten in den Büro­fen­stern und berausch­ten uns an den Tönen und an der Archi­tek­tur Karl Fried­rich Schin­kels. So vie­le Besu­cher hat­te unser Ver­lags­haus nie zuvor. Umso schmerz­li­cher fiel der Abschied nach drei Jah­ren. Die Kri­se in der Bran­che, die es doch angeb­lich nicht gab, hat­te Fahrt auf­ge­nom­men. Buch­hand­lun­gen schlos­sen bun­des­weit, weil die sin­ken­den Ver­käu­fe die Betriebs­ko­sten nicht mehr deck­ten, womit natür­lich auch Ver­la­ge weni­ger Umsät­ze gene­rier­ten. Also muss­ten wir uns eine preis­wer­te­re Blei­be suchen. Wie­der hieß es Kisten packen, sich von vie­lem tren­nen, Abschied neh­men von einem Aus­blick, der fan­ta­sti­scher nicht sein konn­te. Die Ver­wal­tung eines Groß­un­ter­neh­mens zog ein, nun ver­füg­te es stan­des­ge­mäß über zwei Eta­gen im Hau­se. Die mokan­ten Blicke der Mana­ger im Fahr­stuhl hat­ten uns immer gezeigt, dass wir Helo­ten nach ihrer Über­zeu­gung eigent­lich nicht hierhergehörten.

Nun fan­den wir Auf­nah­me in einem Haus, das zu Beginn der neun­zi­ger Jah­re von einem west­deut­schen Inve­stor errich­tet wor­den war. Wie sich zeig­te, hat­te er Tech­nik ver­bau­en las­sen, die im Westen schon damals als ver­al­tet galt, aber für den Osten reich­te es eben alle­mal. So beglei­te­ten die Mie­ter, zu denen nun also auch wir gehör­ten, seit Anbe­ginn nicht fahr­ba­re Fahr­stüh­le und undich­te Was­ser­roh­re, und wenn es im Kel­ler stank, roch man es auch in der sech­sten Eta­ge dank einer vor­sint­flut­li­chen Lüf­tung. Die Tief­ga­ra­ge – ich weiß, dass ist Kla­gen auf hohem Niveau – muss­te, wovon tie­fe Schleif­spu­ren im Mau­er­werk kün­de­ten, von einem Archi­tek­ten kon­zi­piert wor­den sein, der sol­che Kur­ven nur mit einem Bob­by-Car zu neh­men pfleg­te. Bei uns exi­stier­ten nicht ein­mal, wie sich jetzt zeig­te, Rauch­mel­der und Sprinkler.

Auch des­halb nun Asche und Schutt und Ruß auf allen Tischen und Com­pu­tern. Wahr­lich kein Anlass zu einer Fei­er, weil es uns nun bereits drei Jahr­zehn­te lang gibt. Die Kata­stro­phen-Chro­nik ist wohl aber auch irgend­wie Abbild des Ver­ei­ni­gungs­pro­zes­ses. Und Grund zum Wun­dern, dass es uns noch immer gibt. Trotz alledem.