Es stinkt. Das Feuer hat nicht nur für einen schwarzen Überzug auf Tischen, Computern, Büchern und Manuskripten gesorgt, sondern auch die Luft reichlich mit Chemie angereichert. Schon nach wenigen Minuten schmerzt die Lunge. Und das im dreißigsten Verlagsjahr, denke ich deprimiert. Dabei ist es nicht die erste Katastrophe in der Verlagsgeschichte. Gewiss aber die folgenreichste. In der Küche soll es in der Nacht einen Schwelbrand gegeben haben, auch wenn die Brandermittler andere Optionen nicht ausschließen wollen. Seien Sie froh, sagt der Mann mit Helm, dass die Hitze das Wasserrohr platzen ließ und das Feuer löschte, sonst wäre vielleicht das ganze Haus abgebrannt. Die Ermunterung des Feuerwehrmannes erfüllt nur mäßig ihren Zweck, auch wenn er Recht hat. Doch für mich gleicht sein Trost der Frage, was nun schlimmer sei: die Pest oder die Cholera.
Dreißig Jahre edition ost. Bei Jubiläen wird gemeinhin gejubelt. Aber angesichts der Misere sollte man besser demütig auf Beifall und Huldigung verzichten und stattdessen die schwarzen Stunden reflektieren, von denen es wahrlich nicht wenige gab. Ausgenommen von dieser Betrachtung vielleicht jene vielen Stunden vor Gericht oder vor den Schreibtischen von Anwälten, die mit der Abwehr der Attacken beauftragt waren und denen Argumente geliefert werden mussten, um die Prozesshansel in die Flucht zu schlagen. Nein, keine Zeile über in Paragrafen gegossene Idiotie und Wichtigtuerei, die unendlich viel Energie kosteten. Belassen wir es mit der Feststellung Helmut Schmidts, getroffen 1981 am Werbellinsee im Gespräch mit Erich Honecker bei der Erörterung der Frage, wer es leichter habe, zu regieren: der Bundeskanzler oder der Staatsratsvorsitzende. Der Kanzler befand pointiert, dass die Bundesrepublik kein Rechts-, sondern ein Gerichtsstaat wäre, womit er einerseits Honecker das leichtere Amt zuschob und uns Ostdeutschen die – damals nicht erwartbare – Zukunft prophezeite. Mehr muss man zu diesem unerquicklichen Kapitel hier nicht verlieren. Allenfalls dass Honeckers »Moabiter Notizen«, 1994 von uns ediert und in viele Sprachen übertragen, dem Verlag zu ideellem wie auch materiellem Startkapital verhalfen. Wir besetzten einen Acker, von dem sich andere gemacht hatten.
Warum also nicht einmal über diverse Desaster berichten, die uns schon bald heimsuchten, nachdem wir zu dritt den Verlag Ende 1991 aus der Taufe gehoben hatten? Die größten Ärgernisse waren die zumeist unfreiwilligen Umzüge. Wir starteten in einer Bürogemeinschaft in einem Zimmerchen mit Blick auf den Märchenbrunnen am Rande vom Volkspark Friedrichshain. Dann wechselten wir in ein Häuschen am Treptower Park – unser rechter Nachbar war, nun wieder Rechtsanwalt, Lothar de Maizière. Links von uns befand sich der vormalige Gewerkschaftsverlag Tribüne nebst Druckerei, den inzwischen umtriebige Geschäftemacher aus Westberlin erworben hatten. Sie taten dies in der Erwartung, dass quer übers Betriebsgelände schon bald eine Stadtautobahn angelegt werden würde. Den Kaufpreis – den sie im Übrigen nie bezahlten, weshalb die Treuhand den Verkauf später annullierte – hofften sie in einen mehrfachen Gewinn verwandeln zu können.
Inzwischen brauchten wir jedoch mehr Raum, weil wir die Berliner Linke gekauft hatten, eine Wochenzeitung, die wir bis Mitte 1996 produzierten, bis es nicht mehr ging. Und wir begründeten den verlag am park, als Imprint der edition ost. Wir zogen also mit Verlag und Redaktion in das alte Backsteingebäude nebenan, ins Vorderhaus der Tribüne, und blieben dort, bis die Eigentümer – eben jene windigen Westberliner Spezis – von der Deutschen Post ein lukratives Angebot erhielten. Deren Filiale hatte bis dato drei Häuser weiter in einer Villa ihre Geschäfte verrichtet und musste nun raus, weil das Anwesen an die Botschaft Belarusslands gegangen war. Uns verbannte der Vermieter in die hinteren Räume der Druckerei, was nun wahrlich eine Zumutung war. Nichts gegen gesunden Produktionslärm, doch einer seriösen Verlagstätigkeit war dies nicht unbedingt zuträglich. Also suchten wir notgedrungen alsbald das Weite und fanden Räume an der Friedrichstraße, im letzten von der DDR fertiggestellten Neubaublock. Wir schauten von dort auf die Spree, die an den Fenstern vorbeifloss. Im Sommer verkehren auf ihr viele Schiffe, und die Ausflügler werden an Oberdeck mittels Lautsprecher über die angrenzenden Sehenswürdigkeiten unterrichtet: »Rechts voraus sehen Sie das Berliner Ensemble, das Brecht begründete, links den Bahnhof Friedrichstraße mit dem Tränenpalast, so geheißen, weil wegen der deutschen Teilung sich hier die Familien verabschiedeten…« So ging es in einer Tour, an den Wochenenden war es kaum zum Aushalten. Die exklusive Lage hatte halt ihren Preis.
Eines Nachts löste sich der Wasserschlauch an der Entwicklermaschine – in den neunziger Jahren schickte man noch Filme in die Druckerei, die Digitalisierung steckte erst in den Anfängen. Die Feuerwehr holte mich morgens aus dem Bett, denn Nachbarn hatten bemerkt, dass sich Sturzbäche aus den bis zum Boden reichenden Fenstern ergossen. Alle Verlagsräume waren geflutet, wir gottlob ausreichend versichert. Der Verlag zog zwei Eingänge weiter, doch das angrenzende Hotel im Hause wollte nach einem Eigentümerwechsel expandieren, weshalb der Vermieter uns freundlich aufforderte, nach einer neuen Bleibe Ausschau zu halten.
Hinzu kam, dass der Aufsichtsrat vorschlug – wir waren seit 1998 eine Aktiengesellschaft –, das Unternehmen besser zu liquidieren, denn eine Geheimdienstresidentur wollten wir nicht sein. Grund für diese Entscheidung war ein Anruf des Generalstaatsanwalts des Landes Thüringen. Der ermittelte gegen den soeben gefeuerten Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz wegen Untreue in mehreren Fällen, darunter den Kauf von Aktien der edition ost. Einen Aktionär dieses Namens gebe es bei uns nicht, teilte ich mit, doch als der oberste Ermittler uns die Aktiennummern nannte, entdeckten wir im Aktienbuch auch den Käufer. Es handelte sich um einen vorzugsweise in linken Medien schreibenden Journalisten. Oh, sagte der Generalstaatsanwalt, als ich ihm den Namen des Aktieninhabers mitteilte, der habe für den Präsidenten auch andere Geschäfte als Strohmann getätigt. Womit er die Vermutung bestätigte, dass Geheimdienste sich gern der inoffiziellen Mitarbeit von Journalisten versichern. Als nach nun einsetzender interner Recherche sich auch noch herausstellte, dass unter unseren Aktionären auch ein Ex-CIA-Mitarbeiter war, machte der Aufsichtsrat eben jenen Vorschlag. Denn was heiße Ex, kommentierte er. Es gelte die Erkenntnis als gesichert: einmal Dienst, immer Dienst.
So schlossen wir uns denn mit einem anderen Unternehmen, dessen Profil nicht allzu weit von dem unsrigen entfernt lag, zu einer Verlagsgruppe zusammen, was einen Umzug in die Luxemburgstraße erforderlich machte. Wegen der räumlichen Enge mussten wir nach einer gewissen Zeit gemeinsam nach etwas Anderem Ausschau halten. So wurden wir in der Neuen Grünstraße Nachbarn des vormaligen Evangelischen Konsistoriums Berlin-Brandenburg, einst Arbeitsstelle von Konsistorialpräsident Manfred Stolpe. Unsere Räume dort umrundeten einen Innenhof, und wir würden noch heute drin arbeiten, wäre nach acht Jahren der Vermieter nicht auf die Idee gekommen, die Miete exorbitant anzuheben. Vermutlich musste er die Schäden am Gebäude aus eigener Tasche bezahlen. Als nämlich nebenan eine Baugrube ausgehoben wurde, rissen die Wände vom Keller bis ins Dachgeschoss. Mitunter knisterte und knarzte es gefährlich, wenn man stumm über einem Manuskript brütete. Wir wollten nicht warten, bis man durch den Spalt in der Außenwand den Himmel sah, und die drohende Mietsteigerung trieb uns in die nächste Behausung. Die befand sich nun am Gendarmenmarkt. Wir blickten nicht nur aufs Schauspielhaus und auf den Deutschen und den Französischen Dom, sondern genossen im Sommer die Open Air Konzerte auf Berlins schönstem Platz. Wir hockten in den Bürofenstern und berauschten uns an den Tönen und an der Architektur Karl Friedrich Schinkels. So viele Besucher hatte unser Verlagshaus nie zuvor. Umso schmerzlicher fiel der Abschied nach drei Jahren. Die Krise in der Branche, die es doch angeblich nicht gab, hatte Fahrt aufgenommen. Buchhandlungen schlossen bundesweit, weil die sinkenden Verkäufe die Betriebskosten nicht mehr deckten, womit natürlich auch Verlage weniger Umsätze generierten. Also mussten wir uns eine preiswertere Bleibe suchen. Wieder hieß es Kisten packen, sich von vielem trennen, Abschied nehmen von einem Ausblick, der fantastischer nicht sein konnte. Die Verwaltung eines Großunternehmens zog ein, nun verfügte es standesgemäß über zwei Etagen im Hause. Die mokanten Blicke der Manager im Fahrstuhl hatten uns immer gezeigt, dass wir Heloten nach ihrer Überzeugung eigentlich nicht hierhergehörten.
Nun fanden wir Aufnahme in einem Haus, das zu Beginn der neunziger Jahre von einem westdeutschen Investor errichtet worden war. Wie sich zeigte, hatte er Technik verbauen lassen, die im Westen schon damals als veraltet galt, aber für den Osten reichte es eben allemal. So begleiteten die Mieter, zu denen nun also auch wir gehörten, seit Anbeginn nicht fahrbare Fahrstühle und undichte Wasserrohre, und wenn es im Keller stank, roch man es auch in der sechsten Etage dank einer vorsintflutlichen Lüftung. Die Tiefgarage – ich weiß, dass ist Klagen auf hohem Niveau – musste, wovon tiefe Schleifspuren im Mauerwerk kündeten, von einem Architekten konzipiert worden sein, der solche Kurven nur mit einem Bobby-Car zu nehmen pflegte. Bei uns existierten nicht einmal, wie sich jetzt zeigte, Rauchmelder und Sprinkler.
Auch deshalb nun Asche und Schutt und Ruß auf allen Tischen und Computern. Wahrlich kein Anlass zu einer Feier, weil es uns nun bereits drei Jahrzehnte lang gibt. Die Katastrophen-Chronik ist wohl aber auch irgendwie Abbild des Vereinigungsprozesses. Und Grund zum Wundern, dass es uns noch immer gibt. Trotz alledem.