Wer jetzt so zwischen 60 und 70 Jahre alt ist, sollte ihn lesen. Wer dann noch irgendwo in Norddeutschland oder gar in Niedersachsen zu Hause ist und nicht ganz aufgehört hat, von einer besseren Welt zu träumen, muss ihn lesen – den »Rollator Blues« des hannoverschen Autors Wolfram Hänel.
Zum Schluss seiner Trilogie über die leicht tragischen, aber nie verzagenden Freunde Appaz und Kerschkamp lässt er die beiden mit drei weiteren Kumpels – nach einem furiosen Auftakt, der am Strand vom Wilhelmshaven spielt – noch einmal nach Südfrankreich fahren. Fünf Freunde sind es, die sich selbst beweisen wollen, dass sie zwar vielleicht »too old to rock’n roll« sind, aber definitiv »too young to die« – die eigenen Träume eingeschlossen. Also machen sie sich auf eine Reise, die sie 1975 schon einmal unternommen hatten: mit einem VW-Bus zum Atlantik. Gestützt von Zigaretten, Dope und Alkohol (von allem ein wenig viel), machen sich die fünf auf und wissen: »Altwerden ist nichts für Feiglinge«, reiben sich an ihren alten Zwistigkeiten, Eifersüchteleien, Dramen und verlorenen Hoffnungen und wissen doch: »Und mal ganz ehrlich, Kurt, auch wenn wir nicht unbedingt die richtigen Lösungen gefunden haben, zumindest haben wir schon in den Siebzigerjahren die richtigen Fragen gestellt!«
Ehrliche Lebensresümees durchziehen das Buch, etwa wenn Udo, den alle für einen der Großen im Marketing von Volkswagen halten, bekennt: »Die letzten Jahre bei VW waren scheiße. Ich habe den Anschluss verloren, moderne Zeiten, verstehst Du?« Und immer wieder: Musik und eine Grundmelodie, die der 1956 geborene Autor selbst in einem sehr persönlichen Nachwort in die Sätze kleidet: »Wir sollten die Zeit, die uns bleibt, gefälligst nutzen! Dazu wird es nicht reichen, ein paar Bäume im Vorgarten zu pflanzen – wir müssen umdenken und gesellschaftliche Systeme verändern, anders wird es nicht gehen: Make capitalism history! Und nochmal: Wer, wenn nicht wir? Wann, wenn nicht jetzt?«
Ein großartiges, warmes und auch liebevoll gedrucktes Buch – wie geschaffen für Ossietzky-Leser nicht nur im Norden der Republik.
Wolfram Hänel, Rollator Blues. Vielleicht muss man ja doch nicht sterben …, zu Klampen Verlag 2022, 453 S., 24 €.