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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Töchter der Sonne

Wer auf die Fort­set­zung sei­nes span­nen­den Polit­kri­mis »Die Bro­sche« (sie­he Ossietzky 21/​2019) war­tet, muss sich noch bis ins Früh­jahr gedul­den. Aktu­ell hat Gerd Boh­ne zusam­men mit sei­ner Frau Clau­dia Ruhs ein ein­drucks­vol­les Buch ganz ande­rer Art ver­öf­fent­licht: »Töch­ter der Son­ne«. Dar­in haben die bei­den authen­ti­sche Berich­te jesi­di­scher Frau­en ver­sam­melt, die unter dra­ma­ti­schen Umstän­den aus dem Nor­den des Iraks nach Nie­der­sach­sen geflüch­tet sind. Im Land­kreis Cel­le und in der Regi­on Han­no­ver gibt es schon lan­ge eine gro­ße jesi­di­sche Exil-Gemein­de. Die Jesi­den – ihre Zahl wird welt­weit auf 800.000 geschätzt – bil­den eine uralte nicht­christ­li­che und nicht­is­la­mi­sche Glau­bens­ge­mein­schaft, die im kur­di­schen Sprach­ge­biet des Nahen Ostens sie­delt und dort immer wie­der Ver­fol­gung und Dis­kri­mi­nie­rung aus­ge­setzt sind. Sie spre­chen die Kur­mandschi-Vari­an­te des Kur­di­schen. Nach einer ihrer Legen­den stam­men sie nur zur Hälf­te von die­ser Welt ab: Adams Lieb­lings­sohn, der als ein­zi­ger nicht von Eva gebo­ren wur­de, hat sie mit einer dun­kel­häu­ti­gen Para­diesjung­frau gezeugt. In die Schlag­zei­len der Welt­pres­se gerie­ten die Jesi­den, als im August 2014 die mör­de­ri­schen Mili­zen des Isla­mi­schen Staats (IS) im Berg­land von Sind­schar im Nord-Irak unter ihnen ein Blut­bad anrich­te­ten und tau­sen­de jesi­di­scher Frau­en und Mäd­chen als Haus- und Sex­skla­vin­nen an IS-Kämp­fer ver­kauft oder zwangs­ver­hei­ra­tet wur­den. Von mehr als 2500 von ihnen fehlt bis heu­te jede Spur. Auch dar­an erin­nern die unge­wöhn­lich offe­nen Berich­te der Frau­en, die tie­fe Ein­blicke in ihr frü­he­res tra­di­tio­nel­les Leben, in die dra­ma­ti­schen Umstän­de und Stra­pa­zen ihrer Flucht nach Deutsch­land sowie in ihre heu­ti­ge Lebens­si­tua­ti­on gewäh­ren. Sie sind froh, dass sie das nack­te Leben haben ret­ten kön­nen, deut­lich wird aber auch, welch‘ schwe­re, unsicht­ba­re Bür­de sie wei­ter mit sich tra­gen. Zusam­men mit anrüh­ren­den Gedich­ten der Lyri­ke­rin Sebra Xal­ti und expres­sio­ni­stisch-farb­star­ken Abbil­dun­gen der Gemäl­de des Kunst­ma­lers Ravo Oss­man haben Clau­dia Ruhs und Gerd Boh­ne einen stim­mi­gen Drei­klang kom­po­niert, der tie­fe Ein­blicke in die jesi­di­sche Kul­tur ermöglicht.

Boh­ne, Gerd et al.: »Töch­ter der Son­ne. Geflüch­te­te êzî­di­sche Frau­en erzäh­len«, uni­buch Ver­lag bei zu Klam­pen 146 Sei­ten, 28 €