Mehr als 2.500 Menschen warten in den Todeszellen der US-Bundesstaaten auf ihre Hinrichtung, in den nationalen Todestrakten zusätzlich 61 Verurteilte (2020). In den USA ist die Todesstrafe – so zynisch das klingen mag – Teil des politischen Arsenals, mit dem die Glaubenskriege ausgetragen werden. Das Recht des Staates, ein schweres Verbrechen mit der Hinrichtung des Täters zu sühnen – daran scheidet sich das liberale vom konservativen Amerika.
Kurz vor Ende seiner Amtszeit hatte sich Trump noch einmal als konsequenter Hardliner erwiesen: Künftig sollten neben dem Tod durch die Giftspritze auch andere Methoden der Hinrichtung wie Erschießungen, der elektrische Stuhl oder der Einsatz von tödlichem Gas erlaubt sein. Und Trump hatte die Wiedereinführung von Hinrichtungen auf Bundesebene durchgesetzt, nachdem es dort seit 2003 keine Hinrichtung mehr gegeben hatte. Die Todesstrafe war seitdem zwar weiter verhängt, aber nicht vollstreckt worden. Der Rechtsstreit um die Wiederaufnahme der Hinrichtungen hatte sich bis vor das oberste Gericht in Washington gezogen, das zugunsten der Trump-Regierung entschied. Die ersten drei Exekutionen waren daraufhin im Juli 2020 in einem Bundesgefängnis in Terre Haute im Staat Indiana per Giftspritze durchgeführt worden.
Trump war immer ein glühender Verfechter der Todesstrafe, hier unterschied er sich nicht von seinen republikanischen Ex-Kollegen. George W. Bush, einer seiner Vorgänger, ließ während seiner Wahlkampfkampagne gar einst verlauten, er befürworte die Todesstrafe, »weil ich glaube, dass sie Leben retten kann«. Eine bizarre Logik, die auch heute noch den meisten in der Republikanischen Partei als Leitsatz dient. Dabei zeigen Studien, dass von der Androhung der Todesstrafe keinerlei abschreckende Wirkung ausgeht. Tatsache ist: Trumps Hinrichtungs-Offensive markierte eine der tödlichsten Perioden in der Geschichte der Todesstrafe auf Bundesebene seit mindestens 1927.
Nun hat die Regierung von US-Präsident Biden die Hinrichtungen auf Bundesebene vorerst wieder ausgesetzt und ein Moratorium für Hinrichtungen auf Bundesebene beschlossen. Wie Justizminister Merrick Garland mitteilte, werden in den Bundesgefängnissen so lange keine Todesurteile mehr vollstreckt, bis eine Überprüfung seines Ministeriums abgeschlossen ist. Es gebe »ernsthafte Bedenken« gegen die Vollstreckung der Todesstrafe, schrieb Garland in einem Vermerk. Er ordnete an, die von der Trump-Regierung durchgesetzten Veränderungen der Richtlinien für Hinrichtungen zu überprüfen. Unter anderem soll untersucht werden, ob die in der Giftspritze verwendete Substanz Pentobarbital mit hohem Risiko Schmerzen und Qualen verursacht. Zudem sollen Vorschriften geprüft werden, die dazu dienen, Hinrichtungen zu beschleunigen. Auch die unter Trump eingeführte Möglichkeit, bei Exekutionen auf Methoden und Personal der Bundesstaaten zurückgreifen zu können, soll auf den Prüfstand kommen. Justizminister Garland verwies dabei auf mögliche »Willkür«, die überproportionale Betroffenheit von Schwarzen und die »beunruhigende« Zahl von Fehlurteilen. Das Justizministerium müsse sicherstellen, dass die Bundesjustiz jeden Menschen verfassungsgemäß und gesetzeskonform, aber auch fair und menschlich behandele, erklärte Garland.
Insgesamt ist die Todesstrafe in den USA auf dem Rückzug. Das hat vielerorts mit einer sich wandelnden öffentlichen Meinung zu tun, aber auch mit den zunehmenden Schwierigkeiten, die nötigen Stoffe für die Giftspritze zu beschaffen. Zudem führen Todesstrafen-Urteile meist zu langwierigen – und vor allem kostspieligen – Rechtsstreitigkeiten. Wenn also ein wachsender Teil der US-Bürgerinnen und -Bürger über Sinn und Legitimation der Todesstrafe nachdenkt, mag das auch mit der Einsicht zu tun haben, dass das gesamte Hinrichtungssystem zukünftig kaum mehr finanzierbar ist. Indes: Die Mehrheit, beinahe 60 Prozent der Erwachsenen in den Vereinigten Staaten, befürwortet nach wie vor die Todesstrafe, davon 27 Prozent sogar nachdrücklich, wie eine aktuelle Befragung des Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center ergab (https://www.pewresearch.org/fact-tank/2021/06/15/unlike-other-u-s-religious-groups-most-atheists-and-agnostics-oppose-the-death-penalty/).
Die Forderung nach einer Abschaffung der Todesstrafe löst in den Vereinigten Staaten immer wieder entsprechend heftige Debatten aus. In diesem Zusammenhang ist eine zweite aktuelle Pew-Studie interessant: Je nach Religion und Weltanschauung gibt es erhebliche Unterschiede in der Zustimmung oder Ablehnung der Todesstrafe. So sprechen sich 65 Prozent der AtheistInnen und 57 Prozent der AgnostikerInnen in den USA gegen die Todesstrafe nach einem Schuldspruch wegen Mord aus. Hingegen sprechen sich 75 Prozent der weißen evangelikalen ProtestantInnen und 73 Prozent der weißen ProtestantInnen ohne evangelikalen Hintergrund für Hinrichtungen aus. Bei den hispanischen KatholikInnen sind es 61 Prozent, bei den Befragten ohne konkrete weltanschauliche Verortung (»nothing in particular«) 63 Prozent. Etwas geringere Zustimmungswerte zeigen sich bei den schwarzen ProtestantInnen. 50 Prozent sind dafür, 47 Prozent dagegen.
Gegner der Todesstrafe verweisen häufig auf die Gefahr, dass Unschuldige hingerichtet werden – ein Risiko, das nun ebenfalls durch das Justizministerium überprüft werden soll. Wie zu erwarten, finden derartige Bedenken in den befürwortenden Gruppen geringes Gehör. 30 Prozent der weißen evangelikale ProtestantInnen halten die Sicherheitsmaßnahmen für angemessen und ausreichend, bei den atheistischen Befragten sind es nur 10 Prozent, bei den agnostischen 11 Prozent.
Die USA – das zeigen beide Studien – haben noch einen langen Weg vor sich, von einer Kultur der Vergeltung hin zu einer humanen Zivilgesellschaft. Immerhin: Garlands Moratorium ist ein ermutigendes Signal nach der düsteren Trump-Ära.
Siehe auch: Helmut Ortner: OHNE GNADE – Eine Geschichte der Todesstrafe. Mit einem Nachwort von Bundesrichter a. D., Prof. Dr. Thomas Fischer, Nomen Verlag, 240 S., 22 €.