Mit Berufskollegen ist das so eine Sache, das weiß jeder. Man kann sie nicht pauschal beurteilen, da die Art, wie man zu ihnen steht, ganz unterschiedlich sein kann. Mit manchen verbindet einen eine gute Zusammenarbeit, mit anderen geistige und ideologische Übereinstimmung. Wenn man Glück hat, treffen diese Komponenten zusammen. Dann gibt es noch besondere Kollegen, die für einen selbst zur Orientierung und Richtschnur wurden, nicht nur in beruflicher Hinsicht. Davon gibt es meist nur wenige, und sie ragen wie Leuchttürme aus der Masse anderer heraus. Zu diesen seltenen Geschöpfen zählt für mich Heinrich Hannover. Über viele Jahrzehnte hinweg war er vor allem als Strafverteidiger tätig und hat sich mutig für seine Mandanten, darunter viele prominente Namen, eingesetzt. Er tat mehr für sie als manch anderer, denn nur »Dienst nach Vorschrift« war nie seine Sache. Sein Anspruch an sich selbst war stets groß, und so wundert es nicht, dass er sich frühzeitig aus der Schar deutscher Strafverteidiger abhob, viele auf ihn aufmerksam wurden und es auch immer wieder Mitstreiter gab und gibt, die sich an ihm orientieren. Auch für mich wurde er bereits in jungen Jahren zu einem Vorbild, obgleich er zu dieser Zeit noch im anderen Teil Deutschlands praktizierte und für mich nicht erreichbar war. Dennoch wusste ich von ihm, seinem Einsatz in dem Prozess gegen Angehörige der westdeutschen Friedenskomitees 1959/60 in Düsseldorf oder bei der Verteidigung von Ulrike Meinhof. Gänzlich in den Mittelpunkt meiner Aufmerksamkeit geriet Heinrich Hannover, als er nach dem Tode von Friedrich Karl Kaul die weitere Vertretung der Tochter Ernst Thälmanns als Nebenklägerin in dem Prozess gegen Wolfgang Otto übernahm, der der Beteiligung an der Ermordung des früheren KPD-Vorsitzenden beschuldigt wurde. Er setzte erfolgreich ein Klageerzwingungsverfahren durch, was in der Praxis nur selten zu erreichen ist. Für sein Engagement in dem Verfahren verlieh ihm die Humboldt-Universität zu Berlin 1986 die Ehrendoktorwürde. Da ich damals dort Rechtswissenschaft studierte, konnte ich ihn beim Betreten des Saales, in dem der Festakt stattfand, sehen. Leider gehörte ich nicht zum geladenen Publikum. Es sollten dann noch reichlich zehn Jahre vergehen, bis wir uns persönlich kennenlernten und erstmals gegenüber saßen. Einige Zeit später führten wir – eine Gruppe von zeitgeschichtlich Interessierten – in Erfurt mit ihm zwei Lesungen zu seinen Büchern »Die Republik vor Gericht« durch, um deren Moderation ich gebeten wurde. So kam es, dass ich ihn nicht nur vom Bahnhof abholen, sondern ihm auch vor Beginn der Veranstaltungen einige Erfurter Sehenswürdigkeiten zeigen konnte. Die dabei geführten Gespräche und auch die Lesungen beeindruckten mich und haben sicherlich auch meine anwaltliche Tätigkeit beeinflusst.
Sympathisch macht ihn auch, dass ihm jegliche Eitelkeit fehlt, die doch in unserem Berufsstand oftmals ausgeprägt ist. Dabei hat er allen Grund, auf sich stolz zu sein. So überrascht es nicht, dass der Kontakt, wenn auch unregelmäßig, bis heute geblieben ist. Jede seiner Veröffentlichungen, unter anderem auch als Ossietzky-Autor, verfolge ich mit regem Interesse. Auch seine Schilderungen über die Kindheitsjahre in Anklam und die Erlebnisse als junger Mensch während des Zweiten Weltkrieges, die ihn zum Pazifisten und Kriegsgegner machten, konnten meinen Respekt vor ihm nur noch erhöhen.
Jetzt wird Heinrich Hannover 95 Jahre alt und verfolgt noch immer mit großer Aufmerksamkeit die Ereignisse in der Welt, kommentiert sie und lässt so jüngere Generationen an seinen reichhaltigen Erfahrungen teilhaben. Ich bin gewiss nicht der einzige, der ihm dafür an seinem Ehrentag dankbar ist.