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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Sympathisches Vorbild wird 95

Mit Berufs­kol­le­gen ist das so eine Sache, das weiß jeder. Man kann sie nicht pau­schal beur­tei­len, da die Art, wie man zu ihnen steht, ganz unter­schied­lich sein kann. Mit man­chen ver­bin­det einen eine gute Zusam­men­ar­beit, mit ande­ren gei­sti­ge und ideo­lo­gi­sche Über­ein­stim­mung. Wenn man Glück hat, tref­fen die­se Kom­po­nen­ten zusam­men. Dann gibt es noch beson­de­re Kol­le­gen, die für einen selbst zur Ori­en­tie­rung und Richt­schnur wur­den, nicht nur in beruf­li­cher Hin­sicht. Davon gibt es meist nur weni­ge, und sie ragen wie Leucht­tür­me aus der Mas­se ande­rer her­aus. Zu die­sen sel­te­nen Geschöp­fen zählt für mich Hein­rich Han­no­ver. Über vie­le Jahr­zehn­te hin­weg war er vor allem als Straf­ver­tei­di­ger tätig und hat sich mutig für sei­ne Man­dan­ten, dar­un­ter vie­le pro­mi­nen­te Namen, ein­ge­setzt. Er tat mehr für sie als manch ande­rer, denn nur »Dienst nach Vor­schrift« war nie sei­ne Sache. Sein Anspruch an sich selbst war stets groß, und so wun­dert es nicht, dass er sich früh­zei­tig aus der Schar deut­scher Straf­ver­tei­di­ger abhob, vie­le auf ihn auf­merk­sam wur­den und es auch immer wie­der Mit­strei­ter gab und gibt, die sich an ihm ori­en­tie­ren. Auch für mich wur­de er bereits in jun­gen Jah­ren zu einem Vor­bild, obgleich er zu die­ser Zeit noch im ande­ren Teil Deutsch­lands prak­ti­zier­te und für mich nicht erreich­bar war. Den­noch wuss­te ich von ihm, sei­nem Ein­satz in dem Pro­zess gegen Ange­hö­ri­ge der west­deut­schen Frie­dens­ko­mi­tees 1959/​60 in Düs­sel­dorf oder bei der Ver­tei­di­gung von Ulri­ke Mein­hof. Gänz­lich in den Mit­tel­punkt mei­ner Auf­merk­sam­keit geriet Hein­rich Han­no­ver, als er nach dem Tode von Fried­rich Karl Kaul die wei­te­re Ver­tre­tung der Toch­ter Ernst Thäl­manns als Neben­klä­ge­rin in dem Pro­zess gegen Wolf­gang Otto über­nahm, der der Betei­li­gung an der Ermor­dung des frü­he­ren KPD-Vor­sit­zen­den beschul­digt wur­de. Er setz­te erfolg­reich ein Kla­ge­er­zwin­gungs­ver­fah­ren durch, was in der Pra­xis nur sel­ten zu errei­chen ist. Für sein Enga­ge­ment in dem Ver­fah­ren ver­lieh ihm die Hum­boldt-Uni­ver­si­tät zu Ber­lin 1986 die Ehren­dok­tor­wür­de. Da ich damals dort Rechts­wis­sen­schaft stu­dier­te, konn­te ich ihn beim Betre­ten des Saa­les, in dem der Fest­akt statt­fand, sehen. Lei­der gehör­te ich nicht zum gela­de­nen Publi­kum. Es soll­ten dann noch reich­lich zehn Jah­re ver­ge­hen, bis wir uns per­sön­lich ken­nen­lern­ten und erst­mals gegen­über saßen. Eini­ge Zeit spä­ter führ­ten wir – eine Grup­pe von zeit­ge­schicht­lich Inter­es­sier­ten – in Erfurt mit ihm zwei Lesun­gen zu sei­nen Büchern »Die Repu­blik vor Gericht« durch, um deren Mode­ra­ti­on ich gebe­ten wur­de. So kam es, dass ich ihn nicht nur vom Bahn­hof abho­len, son­dern ihm auch vor Beginn der Ver­an­stal­tun­gen eini­ge Erfur­ter Sehens­wür­dig­kei­ten zei­gen konn­te. Die dabei geführ­ten Gesprä­che und auch die Lesun­gen beein­druck­ten mich und haben sicher­lich auch mei­ne anwalt­li­che Tätig­keit beeinflusst.

Sym­pa­thisch macht ihn auch, dass ihm jeg­li­che Eitel­keit fehlt, die doch in unse­rem Berufs­stand oft­mals aus­ge­prägt ist. Dabei hat er allen Grund, auf sich stolz zu sein. So über­rascht es nicht, dass der Kon­takt, wenn auch unre­gel­mä­ßig, bis heu­te geblie­ben ist. Jede sei­ner Ver­öf­fent­li­chun­gen, unter ande­rem auch als Ossietzky-Autor, ver­fol­ge ich mit regem Inter­es­se. Auch sei­ne Schil­de­run­gen über die Kind­heits­jah­re in Anklam und die Erleb­nis­se als jun­ger Mensch wäh­rend des Zwei­ten Welt­krie­ges, die ihn zum Pazi­fi­sten und Kriegs­geg­ner mach­ten, konn­ten mei­nen Respekt vor ihm nur noch erhöhen.

Jetzt wird Hein­rich Han­no­ver 95 Jah­re alt und ver­folgt noch immer mit gro­ßer Auf­merk­sam­keit die Ereig­nis­se in der Welt, kom­men­tiert sie und lässt so jün­ge­re Gene­ra­tio­nen an sei­nen reich­hal­ti­gen Erfah­run­gen teil­ha­ben. Ich bin gewiss nicht der ein­zi­ge, der ihm dafür an sei­nem Ehren­tag dank­bar ist.