Folgt man der Geschichte, die den Lesern der Süddeutschen Zeitung kürzlich unter der Überschrift »Der Mann, der Adolf Eichmann enttarnte« aufgetischt wurde, dann muss die Ergreifung des Organisators der Ermordung von sechs Millionen Juden nicht neu geschrieben werden. Ein wichtiges Wort fehlt allerdings. Richtiger Weise muss es heißen »Der Mann, der Adolf Eichmann endgültig enttarnte«. Alles andere ist der sprichwörtliche Sturm im Wasserglas.
Lange bevor der israelische Geheimdienst den Gesuchten 1960 in Argentinien festnahm und zur Aburteilung nach Israel brachte, hatte der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer von einem jüdischen Flüchtling dessen Aufenthaltsort erfahren. Es war eine brisante, aber etwas wacklige Information; der Informant war blind. Niemand durfte erfahren, was Fritz Bauer nun wusste, ohne die Gefahr heraufzubeschwören, dass Eichmann gewarnt wurde. Rechtlich war alles im Lot. Der Bundesgerichtshof hatte dem Landgericht Frankfurt am Main im Oktober 1956 die Zuständigkeit für den Fall übertragen. Noch im selben Jahr leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen Eichmann ein.
Der Bundesnachrichtendienst und die Bundesregierung wussten bereits seit 1952, wo sich der Massenmörder aufhielt, taten aber nichts zu dessen Ergreifung. Ausgeplaudert hat Eichmanns Aufenthaltsort nach Angaben der Süddeutschen Zeitung vom 21./22. August 2021 ein deutscher Akademiker namens Gerhard Klammer, der nie in die Lage gekommen sei, »an der Judenvernichtung mitzuwirken«. Gleichwohl verließ dieser Unbeteiligte 1949 fluchtartig Deutschland, und seine Familie und setzte sich als blinder Passagier über die sogenannte Rattenlinie von Genua aus nach Buenos Aires ab, wo er am 4. Januar 1950 eintraf.
Am 14. Juli 1950 ging dort auch Adolf Eichmann unter dem Namen Ricardo Klement an Land. Die beiden lernten sich in der argentinischen Provinz bei einem deutsch-argentinischen Unternehmen kennen, dessen Firmennamen sie zusammen mit anderen ehemaligen Nazigrößen als Deckadresse benutzten. 1957 kehrte Klammer nach Deutschland zurück und baute sich in Duisburg ein Haus. Dorthin lud er einen ehemaligen Studienfreund namens Giselher Pohl für den 18. Oktober 1959 zu einem Familientreffen ein, bei dem er sein Wissen über Eichmann ausbreitete, nicht ohne zu erwähnen, dass er sich in dieser Sache bereits Anfang der 1950er Jahre an die Behörden in Deutschland gewandt, dort ab kein Interesse für seine Informationen über den Judenverfolger gefunden habe.
Wie die Süddeutsche Zeitung schreibt, war Klammers Freund Pohl 1956 einer der ersten Militärpfarrer in der Bundeswehr. Drei Wochen nach dem Familientreffen suchte Pohl seinen Vorgesetzten, den Militärbischof Hermann Kunst, in Bonn auf und vertraute ihm sein Wissen über Eichmann an. Statt mit der brisanten Nachricht zu Staatsekretär Hans Globke im Kanzleramt oder zum Chef des BND, Reinhard Gehlen, zu gehen, entschied sich der Militärbischof »in aller Heimlichkeit für den Rechtsweg«, so die SZ. Der führte ihn zum hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Dabei habe Kunst nicht wissen können, wie viel Fritz Bauer auf der Suche nach Eichmann bereits unternommen hatte und dass er sich damit auch selbst auf ein internationales Spielfeld begab.
Am 25. November 1959 notierte Pohls Ehefrau, derselben Quelle zufolge, in ihrem Tagebuch: »Besuch von Generalstaatsanwalt Bauer. Nett.« Was im Pfarrhaus in Unna besprochen wurde, ist nicht überliefert. »Ende 1959 flog Fritz Bauer wieder nach Israel, mit neuen Hinweisen auf Eichmanns Aufenthaltsort«, vermerkt Irmtrud Wojak in ihrer fulminanten Biografie auf Seite 298. Die Begegnung habe zu »konkreten Schritten« geführt. Am Abend des 11. Mai 1960 wurde der ehemalige SS-Obersturmbannführer von einem Kommando des Mossad gekidnappt und nach Israel gebracht, wo Eichmann zum Tode durch den Strang verurteilt und in der Nacht vom 31. Mai auf den 1. Juni 1962 hingerichtet wurde.
Ein halbes Jahr später erlitt Fritz Bauer einen schweren Verkehrsunfall, bei dem sein Dienstwagen völlig zertrümmert und sein Fahrer getötet wurde. Eine Untersuchung auf mögliche Manipulationen an dem Fahrzeug fand nicht statt. Nach Auskunft des Hessischen Staatsarchivs wurden sämtliche Akten entsprechend den Aufbewahrungsbestimmungen vernichtet. Der hessische Generalstaatsanwalt selbst vermutete einen Anschlag, bei dem der Falsche getötet wurde.