Als einzige Tageszeitung wird die junge Welt seit Jahren im Verfassungsschutzbericht des Bundes im Kapitel Linksextremismus genannt. Auch der Verlag 8. Mai GmbH und die Genossenschaft als Eigentümerin werden im Registeranhang des Geheimdienstreports als »Gruppierungen« genannt, die »verfassungsfeindliche Ziele« verfolgen. In einem Offenen Brief an die Bundestagsfraktionen haben Redaktion, Verlag und Genossenschaft deshalb »erhebliche Nachteile im Wettbewerb« beklagt. So verweigern die Deutsche Bahn und verschiedene Kommunen und Radiosender unter Verweis auf die Verfassungsschutznennung das Anmieten von Werbeplätzen, Bibliotheken sperren den Online-Zugang zur Zeitung, und eine Druckerei weigerte sich sogar, eine Publikation zu drucken, die eine Anzeige der jungen Welt enthielt.
Die Linksfraktion wollte daraufhin von der Bundesregierung wissen, wie sie die mit der Nennung im Verfassungsschutzbericht verbundenen Eingriffe in die Presse- und Meinungs-, aber auch die Gewerbefreiheit rechtfertigt. In der Anfang Mai vorgelegten Antwort behauptete die Bundesregierung, junge Welt, Verlag 8. Mai und Genossenschaft LPG »verfolgen Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung«, da es sich bei der jungen Welt um eine »eindeutig kommunistisch ausgerichtete Tageszeitung« handelt, deren »marxistische Grundüberzeugung« als »wesentliches Ziel« die Ersetzung der freiheitlichen Demokratie durch eine »sozialistisch/kommunistische Gesellschaftsordnung« sei. Und nun kommt der Hammer: »Beispielsweise widerspricht die Aufteilung einer Gesellschaft nach dem Merkmal der produktionsorientierten Klassenzugehörigkeit der Garantie der Menschenwürde. Menschen dürfen nicht zum ›bloßen Objekt‹ degradiert oder einem Kollektiv untergeordnet werden, sondern der Einzelne ist stets als grundsätzlich frei zu behandeln«, meint die Bundesregierung. Das Aussprechen der nicht nur von Marxisten geteilten soziologischen Erkenntnis, dass wir in einer Klassengesellschaft leben, soll also bereits ein Beleg für die Verfassungsfeindlichkeit der jungen Welt sein. Beklagt wird weiterhin die positive Bezugnahme der Zeitung auf Klassiker des Marxismus wie Marx, Engels, Lenin, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. »Fundamentale Kapitalismuskritik« sei ein »Schwerpunktthema« der jungen Welt, stellt die Bundesregierung richtig fest. »Demgegenüber werden sozialistische Staatsordnungen, beispielsweise von Kuba, verherrlichend dargestellt und als politisch und moralisch überlegen« angesehen – ein weiterer »Beweis« für den Extremismus dieser Zeitung.
Weiter heißt es, das Blatt veröffentliche regelmäßig Beiträge, in denen »das Thema Gewalt als Mittel im politischen Kampf thematisiert wird«, etwa Interviews mit kolumbianischen Guerillakommandanten. »Insofern erweckt die jW nachhaltig den Eindruck, eine mögliche Gewaltanwendung durch solche Personen oder Gruppierungen zu tolerieren. Diesem so vermittelten Eindruck tritt sie weder durch eine deutliche Distanzierung noch durch ein Bekenntnis zur Gewaltfreiheit entgegen«, schreibt die Regierung, Damit legt sie an die linke Zeitung offensichtlich andere Maßstäbe an als an andere Medien, was die Distanzierung von Auffassungen ihrer Autoren und Interviewpartner angeht.
So zielten Beiträge in der jW darauf ab, »Terrororganisationen als Befreiungsbewegungen zu verharmlosen«. Die Art und Weise dieser Berichterstattung sei einer von mehreren relevanten Aspekten für die Einstufung der Zeitung als »extremistisch«. Maßstab dafür, welche Guerilla als Terrororganisation zu gelten habe und auch von Journalisten in Deutschland als solche gesehen werden muss, ist für die Bundesregierung dabei die in geheimer Abstimmung von den Regierungen erstellte EU-Terrorliste. Eine nicht daran orientierte Berichterstattung, die dort aufgeführte Organisationen als Befreiungsbewegungen darstelle, sei »mithin nicht objektiv, sondern tendenziös«. Und welch Wunder: Auch »Themenauswahl und Intensivität der Berichterstattung zielen auf Darstellung ›linker‹ und linksextremistischer Politikvorstellungen und orientieren sich am Selbstverständnis der jW als marxistische Tageszeitung. (…) Die Zeitung verbreitet ihre eigene subjektive Wahrheit und will insofern ›Gegenöffentlichkeit‹ schaffen.«
Durchaus richtig hat die Bundesregierung erkannt: »Marxisten beabsichtigen nicht nur zu informieren, sondern eine ›Denkweise‹ herauszubilden, um bei den Bevölkerungsgruppen, die sie als Unterdrückte oder Ausgebeutete identifizieren, Verständnis und die Bereitschaft zum Widerstand hervorzurufen.« Entsprechend würde die jW nicht nur über linke Aktivitäten informieren, sondern auch dafür mobilisieren, »indem sie gemeinsam mit anderen Linksextremisten Veranstaltungen durchführt, sich an Aktivitäten beteiligt oder dafür wirbt«. Hier wird vor allem auf die alljährlich im Januar veranstaltete Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz verwiesen, »an der sich überwiegend Linksextremisten aus dem In- und Ausland beteiligen«. Wer diese »Linksextremisten« sein sollen, will die Bundesregierung unter Verweis auf das »Staatswohl« nicht näher ausführen, denn sonst würde die Arbeitsweise des Geheimdienstes kenntlich.
Auf die Frage, wer denn genau der vom Inlandsgeheimdienst ausgemachten verfassungsfeindlichen Gruppierung angehören soll, bleibt die Bundesregierung unbestimmt. Für einen Personenzusammenhang handelt laut Verfassungsschutzgesetz, »wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Eine Zurechnung erfolgt daher nicht abstrakt anhand der Eigenschaft als Redakteur, Mitarbeiter, Genossenschaftsmitglied, Abonnent oder freier Autor, sondern anhand der jeweiligen Unterstützungshandlung.«
Schließlich gesteht die Bundesregierung freimütig ein, dass die von der jungen Welt beklagten, wettbewerbsrechtlichen Behinderungen Absicht und Ziel der Nennung im Verfassungsschutzbericht seien. Auftrag des Verfassungsschutzes sei es, die Öffentlichkeit über »extremistische Bestrebungen« zu informieren. »Mögliche Folgen für die hiervon betroffenen extremistischen Personenzusammenschlüsse oder Einzelpersonen hatte der Gesetzgeber dabei im Blick. Es ist gerade das Ziel dieser Norm, die Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen zu informieren, um diesen damit den weiteren Nährboden entziehen zu können. Insoweit ist Verfassungsschutz auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.«
Tatsächlich bewegt sich die Bundesregierung hier juristisch auf dünnem Eis. Denn es gibt einen Präzedenzfall. Im Jahr 2005 urteilte das Bundesverfassungsgericht im Falle der Rechtsaußenpostille Junge Freiheit, die vom NRW-Verfassungsschutz als »Verdachtsfall« aufgeführt wurde, dass eine solche Nennung einer Zeitung eine unzulässige Einschränkung des Grundrechts der Pressefreiheit sei. Denn, so das Gericht, dieses Grundrecht sichere die Freiheit der Herstellung und Verbreitung von Druckerzeugnissen und damit das Kommunikationsmedium Presse. Durch eine Nennung im Verfassungsschutzbericht werde die Zeitung in ihren Wirkungsmöglichkeiten nachteilig beeinflusst, was einem Eingriff in das Kommunikationsgrundrecht gleichkomme. Im Falle der Jungen Freiheit hatte das Gericht erklärt, die Zeitung bilde einen »Markt der Meinungen« ab, daher könne der Redaktion nicht jede einzelne in dem Blatt veröffentlichte Äußerung zugerechnet werden. Einen solchen »Markt der Meinungen« will die Bundesregierung der jungen Welt nicht zubilligen, die Vielschichtigkeit linker und linksradikaler Strömungen, die sich in der jungen Welt wiederfinden, wird völlig ignoriert und unter »Marxismus« subsumiert. Diese Sichtweise der Bundesregierung erinnert an die Adenauer-CDU im Kalten Krieg mit ihrer gegen Kommunisten wie Sozialdemokraten gerichteten Losung »alle Wege des Marxismus führen nach Moskau«.
Die Bundesregierung versucht, ihre Sichtweise auf die Gesellschaft in der Bundesrepublik sowie auf internationale Konflikte als die einzig objektive darzustellen und davon stark abweichende Auffassungen als »extremistisch« zu brandmarken. Da die Beobachtung durch den Verfassungsschutz mit entsprechenden negativen Konsequenzen verbunden ist, wird so faktisch versucht, eine der Bundesregierung genehme Berichterstattung zu erzwingen. Dies muss als deutlicher Eingriff in die Pressefreiheit gewertet werden, deren Verteidigung sich deutsche Regierungspolitiker doch immer vollmundig auf die Fahne schreiben – wenn es um Russland, China, Venezuela oder Kuba geht.