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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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»Spiegel-Leser wissen mehr«

Jedem, der in den impo­san­ten Spie­gel-Bau an der Ham­bur­ger Eri­cus­spit­ze ein­tritt, schlägt in monu­men­ta­len Buch­sta­ben das Wort des Grün­ders Rudolf Aug­stein ent­ge­gen: »Sagen, was ist«. Schon vor sech­zig Jah­ren ver­kün­de­te er: »Über den Reichs­tags­brand wird nach die­ser Spie­gel-Serie nicht mehr gestrit­ten wer­den. Es bleibt nicht der Schat­ten eines Bele­ges, um den Glau­ben an die Mit­tä­ter­schaft der Nazi-Füh­rer leben­dig zu erhalten.«

In den letz­ten hei­ßen Tagen des Juli trat der Schat­ten ans Licht und senk­te Nacht über das deut­sche Nach­rich­ten­ma­ga­zin. Die Han­no­ver­sche All­ge­mei­ne Zei­tung – aus dem­sel­ben Anzei­ger-Hoch­haus, in dem 1947 auch der Spie­gel vor sei­nem Umzug nach Ham­burg unter­ge­bracht war – prä­sen­tier­te ein Doku­ment, das die gan­ze lan­ge Spie­gel-Serie über die Unschuld der Nazis wider­legt: die 1955 nota­ri­ell beur­kun­de­te Erklä­rung des ehe­ma­li­gen SA-Manns Hans-Mar­tin Len­nings: »Im Febru­ar 1933 war ich in Ber­lin ein­ge­setzt mit einem Trupp zur beson­de­ren Ver­wen­dung.« Sein Vor­ge­setz­ter war der Bri­ga­de­füh­rer der SA in Ber­lin, Karl Ernst. Am 27. Febru­ar erhielt er zusam­men mit zwei ande­re »Kame­ra­den« den Befehl, in der Lüt­zow­stra­ße einen Mann abzu­ho­len: »Brin­gen Sie die­sen Herrn van der Lub­be in den Reichs­tag.« Len­nings fiel auf: Der Mann befand sich in einem »benom­me­nen Zustand«. Und: »Gespro­chen wur­de auf dem Trans­port kein Wort.« Es war »völ­lig dun­kel« als sie »zwi­schen 20 und 21 Uhr« anka­men, Len­nings wei­ter: »Wir drei von der SA brach­ten van der Lub­be in das Reichs­tags­ge­bäu­de hin­ein.« Durch einen Neben­ein­gang. Van der Lub­be muss­te gestützt wer­den und wur­de von einem Mann in Zivil in Emp­fang genom­men und weg­ge­bracht. Aber zuvor schon, so Len­nings, »fiel uns auf, dass ein eigen­ar­ti­ger Brand­ge­ruch herrsch­te und dass auch schwa­che Rauch­schwa­den durch die Zim­mer hindurchzogen«.

Nach­dem van der Lub­be als Brand­stif­ter ver­haf­tet wor­den war, so die Len­nings-Erklä­rung wei­ter, »haben ver­schie­de­ne Füh­rer der SA münd­lich über den Bri­ga­de­füh­rer Ernst bei Goeb­bels gegen die Ver­haf­tung pro­te­stiert, weil nach unse­rer Über­zeu­gung van der Lub­be unmög­lich der Brand­stif­ter sein konn­te«. Sie wur­den fest­ge­nom­men und erst nach einer Woche wie­der ent­las­sen, nach­dem sie unter­schrie­ben hat­ten, von nichts etwas zu wis­sen. Alle Betei­lig­ten wur­den 1934 beim »Röhm-Putsch« erschos­sen, nur Len­nings gelang es, recht­zei­tig gewarnt, ins Aus­land zu fliehen.

Der ehe­ma­li­ge SA-Mann gab die­se Erklä­rung am 4. Novem­ber 1955 bei dem Notar Paul Sie­gel in Han­no­ver ab. Nach dem Tod des Notars lan­de­ten des­sen Akten unge­le­sen in den Gewöl­ben des Amts­ge­richts in Hannover.

Reichs­tags­brand-For­scher Hersch Fisch­ler und HAZ-Redak­teur Con­rad von Meding aber ent­deck­ten jetzt eine Kopie der Len­nings-Erklä­rung von 1955 im Nach­lass des ehe­ma­li­gen Ver­fas­sungs­schüt­zers Fritz Tobi­as, der in Zusam­men­ar­beit mit zuver­läs­si­gen Ex-Nazis 1959 die Spie­gel-Serie über die Unschuld der Nazis am Reichs­tags­brand ver­öf­fent­licht hat­te, in der Len­nings und sein Pro­to­koll nicht vor­kom­men. Tobi­as ver­ar­bei­te­te sei­ne Serie zu einem Buch, das 1962 in einem damals unbe­schol­te­nen Ver­lag erschien. Erst 2010, unmit­tel­bar vor sei­nem Tod, gelang dem 98-jäh­ri­gen Tobi­as eine Neu­auf­la­ge sei­nes lan­ge ver­grif­fe­nen Wer­kes – im Tübin­ger Gra­bert-Ver­lag, der ger­ne Holo­caust-Leug­ner und ande­re Geschichts­re­vi­sio­ni­sten druckt.

In die­ser Neu­auf­la­ge ist weder Len­nings noch sein Pro­to­koll von 1955 erwähnt. Wohl aber des­sen SA-Grup­pen­füh­rer Karl Ernst, der 1934 umge­bracht wur­de. Zusam­men mit dem spä­ter eben­falls an Spie­gel-Seri­en betei­lig­ten Gesta­po-Chef Rudolf Diels besuch­te der SA-Füh­rer im Janu­ar 1934 den gera­de vom Vor­wurf der Betei­li­gung am Reichs­tags­brand frei­ge­spro­che­nen KPD-Abge­ord­ne­ten Ernst Torg­ler. Len­nings SA-Chef zu Torg­ler: »Wir waren glück­lich, als wir hör­ten, dass Sie frei­ge­spro­chen sind.«

War­um, woll­te Torg­ler wis­sen. Ernst: »Wir hat­ten schon unse­re Grün­de.« Und sag­te nichts. Tobi­as, der zumin­dest bei die­ser Zweit­auf­la­ge sei­nes Buches das Len­nings-Pro­to­koll besaß, auf Sei­te 307: »Die Gemein­sam­keit ihres poli­ti­schen Stre­bens« sei »der Schlüs­sel für das gan­ze Gespräch gewe­sen«. Von jeg­li­cher Betei­li­gung am Reichs­tags­brand aber, spricht Spie­gel-Autor Tobi­as, der es längst bes­ser wuss­te, den SA-Füh­rer Ernst auch noch kurz vor sei­nem eig­nen Tod frei. Es war nur das »Bedürf­nis nach einem Frie­dens­schluß«, das SA-Füh­rer Ernst »als Ver­tre­ter sozia­li­sti­scher Vor­stel­lun­gen inner­halb der SA zu Torg­ler trieb«.

Sagen, was ist? Da sagen wir nix. In den mehr als zwei Wochen, seit die HAZ die eides­statt­li­chen Erklä­rung des ein­sti­gen SA-Manns Len­nings ver­brei­te­te – auch dpa und vie­le Blät­ter im In- und Aus­land berich­te­ten – bis zum Redak­ti­ons­schluss die­ser Ossietzky-Aus­ga­be, hielt der Spie­gel den Mund. »Spie­gel-Leser wis­sen mehr.« Ja, wenn sie ande­re Blät­ter lesen.