Die Schwarze Botin ist in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts nicht zu mir gekommen. Es hätte auch nicht genützt: Ich war längst verheiratet – mit einem Mann. Die Schwarze Botin, neben Emma und Courage die dritte feministische Zeitschrift, ganz anders, aber weniger bekannt. Sie wollte keine Streicheleinheiten für sich unterdrückt fühlende Frauen liefern, sondern aufrufen zum Denken. Und zur Kritik an dem Selbstfindungsfeminismus, daran, was sich hinter dem Begriff »Neue Weiblichkeit« verbarg: die Ablehnung von Rationalität als männlich und die Fixierung auf das »weibliche Fühlen«.
Warum gerade jetzt die Rückbesinnung auf die sich der Satire verpflichtete Zeitschrift der Frauenbewegung? Wer trifft sich bei den Querdenker-Demos so alles: Esoterikerinnen, Verschwörungstheoretikerinnen, Irrationalistinnen, Antisemitinnen, Identitärinnen, Mutterschaftsanbeterinnen, Reichsbürgerinnen, neue (alte) Deutschinnen, Hexen. Was tun? Das, was die Schwarze Botin in den siebziger Jahren versuchte: die Feministinnen aufzurütteln, sich aus dem Gestrüpp der Innerlichkeit zu befreien, unabhängig zu werden (nicht nur von den Männern) – heute gilt es immer noch.
Der Wallstein Verlag entschloss sich zu einer Dokumentation dieser aufregend provozierenden Zeitschrift, herausgegeben von dem Historiker Vojin Saŝa Vukadinović, der auch die 43 Seiten lange Einleitung schrieb. Dazu ein literaturwissenschaftliches Nachwort von Christiane Kettler und Magnus Klaue sowie Bilderstrecken von Sarah Schumann und Elisabeth Kmölniger. Ein Plakat der Schwarzen Botin für die Frankfurter Buchmesse: ein Nashorn, daneben ein menschliches Skelett, das sich in der Geste der Melancholie auf das Tier stützt – Gabriele Goettle schuf die Collage. Werbung für eine feministische Zeitschrift? Aber sie weckt Neugier. Das Titelbild ist einem Fresken-Zyklus von Piero della Francesca entlehnt: drei streng blickende Damen.
Die Schwarze Botin – das war ein Freundinnenpaar, Gabriele Goettle und Brigitte Classen. Sie nannten ihr Periodikum, untertreibend oder elitär »Eine Zeitschrift für die Wenigsten«. Sie existierte von Oktober 1976 bis 1980. Die Informationen, polemisch-missverständlich, lauteten etwa: »Im Januar sollen 200.000 Frauen penetriert werden.« Damit war die geplante Auflagenhöhe der Emma gemeint, die sich gerade gründete und von dem Constanze-Verleger Hans Huffzky unterstützt wurde. Jene Emma, die von Alice Schwarzer geleitet wird, die mit der Zeit geht und im letzten Sommer gar ein Pflichtjahr auch für Frauen in der Bundeswehr vorschlug. Unter dem Vorsatz: »Emma bleibt mutig.« So weit wäre es mit der Schwarzen Botin nie gekommen. Emanzipation der Frau? So nicht. 1980 erschien das letzte Heft der Botin. Für das, was dann kam, war sie zu eigensinnig.
Ein anderes feministisches Blatt war die Courage, die etwa gleichzeitig erschien – die Botin sah darin »geistige Schonkost«, eine Zeitschrift, »die es den allermeisten recht machen will«, so Silvia Bovenschen in einem Leserinnenbrief an die Courage. All jene, die in diesem wohlig-kuscheligen Gefühl versanken, wie es Karin Struck mit ihrem Mutter-Roman auslöste. Kritik konnte sie absolut nicht vertragen. Ich erlebte es mit, wie sie darauf mit dem gezielten Wurf eines vollen Bierglases antwortete im Hamburger Literaturzentrum. Sie machte sich nass dabei. Struck wurde von der Botin so wenig geschont wie Verena Stefan mit ihrem Selbstfindungs-Roman »Häutungen«, das Vorbild für zahlreiche Bewunderinnen.
Gleich in der ersten Nummer schrieb Gabriele Goettle ein Vorwort. »Die Schwarze Botin versteht sich als Satirikerin, damit ist sie unversöhnlich mit dem jeweiligen Objekt ihrer Satire: Humor geht ihr vollkommen ab. Sie versieht die Satire als Technik zur Entlarvung des falschen und schädlichen Denkens.« Und was setzt sie voraus? »Dass die Leserinnen nicht in der Lage sind, Spaß zu verstehen, sondern Ernst zu machen.« Ein Manifest? »Die Schwarze Botin wird vielleicht anfänglich schwer zu verstehen sein, aber noch schwerer misszuverstehen.« Und darauf kam es an. Mit anderen Frauenzeitungen wollte sie nicht konkurrieren. Und diese anderen haben sie oft falsch – oder aber sehr gut verstanden. Nicht nur mit Feministinnen, auch mit weiblichen Linken gab es bald Zoff. Klaus Rainer Röhl, Ulrike Meinhofs einstiger Ehemann, nannte die Schwarze Botin das Organ des – wie er glaubte – in West-Berlin wütenden »Femi-Faschismus«. Über Ulrike hatte Goettle einen scharfen beklemmenden Text geschrieben, der atemlos macht, nicht nur wegen der Beschreibung ihrer Obduktion durch zwei Gerichtsmediziner, einer davon, Hans Joachim Mallach, war SS-Mitglied. Der Artikel in der ersten Nummer im Oktober 1976 endet mit einem langen Zitat von Susan Sonntag über Faschismus, der als »die normale Natur des modernen Staatswesens« verstanden wird. Zur Ausstrahlung und Rezeption der Holocaust-Serie im Fernsehen machte Goettle »Anmerkungen«, die wegen des populären Mediums aus den USA kritisch ausfallen. Die Deutschen hätten sich vorher schon ihre Aufklärung holen können – haben sie aber nicht.
Zu den Autorinnen, die sich nicht nur auf die feministische Perspektive beschränkten, gehörten Elfriede Jelinek (herrlich: die Untersuchungen zu Udo Jürgens Liedtexten und die verrückte Kurzgeschichte einer vom Russen vergewaltigte »Emma« – keine Feministin). Das Märchen von der Klugen Else, von Gerburg Treusch-Dieter völlig auseinandergenommen und anders zusammengesetzt. Gisela Elsner über deutsche Touristen in Afrikas Sonne, fleischliche »Schattenspender« bezahlend. Gisela von Wysocki schreibt über Unica Zürn so einfühlsam, als sei es ihr eigenes Leben. Rita Bischof kritisiert das, was als »weibliche Sprache« missverstanden wird. Ursula Krechel entdeckt, was die Günderode wollen soll.
Zur Lyrik in den Heften: Gleich zur Einleitung ein »Gedicht mit Perspektive« von Gabriele Goettle. Wegweisend die Zeilen: »Das Unvorstellbare ist nicht das Unmögliche, / aber das Vorstellbare ist das Unmögliche.« In Heidi Patakis »Praxis« putzt Immanuel Kant die Fenster und fragt sich: »stehn die klopse schon am feuer?« Im Schlussvers schlägt sich eine Emma »im stillen stübchen schreibend« mit dem a priori rum und wägt »gemächlich gut und böse in des menschen seele« ab.
Über vierzig Jahre sind seit der letzten Nummer der Schwarzen Botin vergangen, und es gibt nichts Vergleichbares mehr. Wer in der Anthologie blättert, wird immer wieder Entdeckungen machen.
Die Schwarze Botin. Ästhetik, Kritik, Polemik, Satire, 1976-1980. Hg. von Vojin Saŝa Vukadinović. Wallstein Verlag, 512 Seiten, 36 €.