Anfang November bekam Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht Post aus dem schweizerischen Bern, die wohl für Überraschung im Bendlerblock gesorgt haben dürfte. Bundesrat Guy Parmelin, der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung, verweigerte ihr darin seine Zustimmung zu einer Weitergabe von Schweizer Kriegsmaterial an die Ukraine und berief sich dabei auf das Neutralitätsrecht. Die Bundesverteidigungsministerin hatte zuvor um 12.400 Patronen 35mm-Munition schweizerischen Ursprungs für den Flugabwehrpanzer GEPARD gebeten, um diese an die Ukraine weitergeben zu können.
Zur Begründung für seine ablehnende Haltung ließ Parmelin in einer Pressemitteilung wenige Tage danach folgendes verlauten: »Die Schweiz wendet im Verhältnis Russland-Ukraine das Neutralitätsrecht an, welches Teil des Völkergewohnheitsrechts ist. Aufgrund des neutralitätsrechtlichen Gleichbehandlungsgebots kann die Schweiz einer Anfrage um Weitergabe von Kriegsmaterial mit Schweizer Ursprung an die Ukraine nicht zustimmen, solange diese in einen internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist. Zudem schließen auch die Bewilligungskriterien des Schweizer Kriegsmaterialgesetzes die Lieferung von Kriegsmaterial an Länder aus, die in einen internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sind.« Da die rechtliche Situation unverändert sei, »ist eine Zustimmung zu einer Weitergabe von Schweizer Kriegsmaterial durch Deutschland an die Ukraine weiterhin nicht möglich«, so Parmelin.
Die Schweiz ist ansonsten ja bekanntermaßen wenig abgeneigt, wenn es um lukrative Geschäfte jedweder Couleur geht, hier aber findet militärisches Geschäftsgebaren seine Grenzen durch die völkerrechtliche Schranke des Neutralitätsrechts, das die Rechte und Pflichten eines neutralen Staates festlegt. Zu den wichtigsten Pflichten gehören demnach, sich der Teilnahme an Kriegen zu enthalten, alle Kriegsparteien im Hinblick auf den Export von Rüstungsgütern gleich zu behandeln und den Kriegsparteien sein Staatsgebiet nicht zur Verfügung zu stellen.
Bekanntermaßen hat die Bundesregierung eine ganz andere Haltung zum Krieg in der Ukraine, den sie mit Waffenexporten, finanziellen und geheimdienstlichen Mitteln sowie der Ausbildung von ukrainischen Soldaten unterstützt. Von der Sorge vor einer etwaigen Verletzung von Neutralitätspflichten kann hier nicht die Rede sein, eher von dem Überschreiten des sprichwörtlichen Flusses Rubikon hin zu einer Kriegsbeteiligung im völkerrechtlichen Sinne, deren Brisanz keinesfalls unterschätzt werden sollte. Im Gegenteil, denn der Homepage des Bundesverteidigungsministeriums ist unter der Überschrift »Krieg in der Ukraine – Militärische Unterstützungsleistungen für die Ukraine« folgendes zu entnehmen: »Deutschland unterstützt die Ukraine mit Ausrüstungs- und Waffenlieferungen – aus Beständen der Bundeswehr und durch Lieferungen der Industrie, die aus Mitteln der Ertüchtigungshilfe der Bundesregierung finanziert werden.« – »Der Gesamtwert der im Zeitraum vom 1. Januar 2022 bis zum 7. November 2022 von der Bundesregierung erteilten Einzelgenehmigungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern beträgt 1.539.564.615 Euro.«
Ach, Frau Lambrecht, hätten Sie dafür nicht besser bei Ihrem eidgenössischen Kollegen Parmelin 12.400 Tafeln Schweizer Schokolade (Schoggi) anstatt 12.400 Patronen 35mm-Munition ordern können? Eine Ausfuhrbeschränkung hätte es dafür nicht gegeben. Und den Rest des Geldes hätten Sie dann außer in den zivilen Wiederaufbau der Ukraine auch in die dringend notwendigen Bemühungen für eine neue europäische Friedensordnung investieren können. Schließlich wird der Weltfrieden auch dann noch bedroht sein, nachdem die Waffen in der Ukraine zum Schweigen gekommen sind.
Die aktuellen Gefahren für den Weltfrieden sind vor allem die Folge aus militärpolitischen Handlungen dreier revisionistisch handelnder Weltmächte: USA, Russland und China, von denen jeder mit unterschiedlichen Mitteln, ideologischen Hintergründen, Interessenlagen und Zielen nach einer Veränderung in seinem Sinne strebt. Und auch wir sind gewollt und ungewollt Teil dieses komplexen Geschehens, von dem wir profitieren und unter dem wir zu leiden haben. Ein konstruktiv-nichtmilitärischer Umgang mit dieser unheilvollen Gemengelage ist deshalb sicher höchst anspruchsvoll, bestimmt auch mühevoll und manchmal gar hoffnungslos, in jedem Fall aber alternativlos. Was bliebe denn auch sonst zu tun, um den zunehmend dystopischer werdenden Blicken in unsere Zukunft entgegenzuwirken, anstatt sie einfach nur zu ignorieren? »Schokolade« wäre Teil einer Lösung.