Es ist die siebzehnte Ausgabe, die jetzt erschien. Seit zehn Jahren verbreitet das Literaturjournal aus Sachsen-Anhalt Kostproben von Poeten und Schriftstellern aus der Region. Der Ost-Nordost Verlag Magdeburg und Herausgeberin Regine Sondermann feiern ihr Jubiläum mit Illustrationen von Neo Rauch auf feinem Papier. Der Künstler – vertreten durch zwei Agenturen, die in Leipzig/Berlin und in New York/London/Hongkong/Paris präsent sind – wuchs in Aschersleben bei den Großeltern auf, in einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt. Das würde ich als Begründung gelten lassen, denn mehr als Rauch und Schall sind die Aquarelle nicht.
Das eigentliche Kleinod ist das 48-seitige Journal selbst. Und der berechtigte Beifall gilt der Tatsache, dass es dieses bereits seit einem Dezennium gibt. Die Ausdauer der Beteiligten und das Durchhaltevermögen des Verlages sind wahrlich rühmenswert. Denn man sagt, dass die durchschnittliche Lebensdauer von deutschsprachigen Literaturzeitschriften bei etwa zwei Jahren liegt. Die Zahl der dahingegangenen beträgt einige Hundert. Die DDR brachte es in den vierzig Jahren ihrer Existenz auf ein knappes Dutzend, und die waren wie alle Lebensmittel im Lande subventioniert, weshalb sie in der Neuen Zeit eingingen wie etwa die Neue Deutsche Literatur (ndl) oder Temperamente, die Blätter für junge Literatur, die im Verlag Neues Leben erschienen. Dort konnten sich (damals) junge Schreiber wie unsereiner ausprobieren und Beifall oder Buh-Rufe abholen. Alles Geschichte.
Aber das Problem ist geblieben: Geschrieben wird immer, aber die Zahl der Bühnen ist endlich, auf denen sich Autoren öffentlich mitteilen können. Wir sind eben das Land der Dichter und Schreiber, nicht unbedingt das der Leser. Die aber werden auch als Käufer von Journalen wie diesem hier benötigt. Wenn das Vaterland allerdings nichts zugibt, hat die Muttersprache nichts zu bestellen. Im Kapitalismus ist selbst das gedruckte Wort nur eine Ware, deren Wert sich auf dem Markt erst realisiert.
Da leistet sich also ein Magdeburger Verlag ein anspruchsvolles Steckenpferd, was er sich leisten kann, weil er augenscheinlich Geld mit Kulturgeschichte, Bildbänden, Sachbüchern und Prosatexten aus der Region und über die Region verdient. Gut, Branchenkenner wissen, dass auch in diesem Segment die fetten Jahre lange vorüber sind. Umso mehr also ist die Beständigkeit des Verlagshauses zu würdigen.
In diesem siebzehnten Heft im A4-Format mit Rückstichheftung, weshalb es schwerlich im Bücherregal Aufstellung findet (ein Riesenproblem für den stationären Buchhandel), finden sich fünfzehn Autorinnen und Autoren mit zumeist einem Text. Die Wortkünstler stammen aus der Region oder leben dort, was sich nicht zwingend in den Gedichten oder Texten niederschlägt. Es finden sich auch selten Bezüge zur Zeit und deren Widersprüche, man/frau schaut lieber nach innen denn nach außen. Und findet Reibung an der Wirklichkeit statt, so geschieht dies bisweilen sehr artifiziell. Da passt dann irgendwie auch Neo Rauch.
Das Journal heißt »Schreibkräfte«. Das erinnert an den Satz von Arno Schmidt: »Die Verleger trinken Sekt aus den Hirnschalen ihrer Autoren«, womit er das von ihm empfundene Untertanen- und Abhängigkeitsverhältnis benannte. Natürlich ist das hier wohl kaum so zu verstehen, die Erfinder des Titels werden mehr die Kräfte im Sinn gehabt haben, die das Schreiben freisetzt. Tut es das wirklich? Mitunter scheint es, dass es sich mehr um Selbsttherapie handelt. Man lese Nele Heyses »Gedicht der Stadtschreiberin« oder Andreas Dörings »Reha«, wahlweise auch Regine Sondermanns Geschichte »Sie lachte«, die mit der Zeile beginnt: »Geschlossene Psychiatrie. Männerstation. Es kam viel Licht durch die Fenster, die sich nicht öffnen ließen.«
Ach, wir leben in deprimierenden Tagen – warum soll da den Schreibkräften anders zumute sein als den Lesekräften?