»Entscheidend ist, was hinten rauskommt« – diese Binsenweisheit, mit der Kanzler Helmut Kohl 1984 der eigenen, »unaufgeregten« Politik ein launiges Lob ausstellte, verbreiten heute unisono alle namhaften Automobilhersteller und verkünden – so wie kürzlich gerade der Audi-Vorstand – das nahe Ende (2025) des Verbrennungsmotors. Sie unterschlagen dabei, dass sie jahrelang – etwa durch immer strengere Emissions-Grenzwerte – gewissermaßen zum Jagen getragen werden mussten und die Entwicklung der E-Mobilität lange Zeit tatsächlich blockiert, statt gefördert haben.
Noch 2017 etwa hatte der Europa-Chef von Mazda, Jeffrey Guyton, kategorisch erklärt, keine eigenen Elektroautos anbieten zu wollen, solange die Energie für die elektrischen Antriebe nicht ausschließlich aus erneuerbaren Quellen stamme. Diese an sich gar nicht unvernünftige Einsicht hat man schon kurz darauf pragmatisch revidiert und im Spätsommer 2019 völlig überraschend ein eigenes E-Modell vorgestellt. Aus Einsicht? Nein! Da die Mazda-Kunden zu einem erheblichen Anteil einen SUV wählen (CX-3 und CX-5), wären die ab Ende 2020 geltenden EU-Grenzwerte (95g/km) für Mazda unmöglich zu erreichen gewesen. Da brauchte es Kompensationsmasse, und dieser Bedarf war und ist der wahre Hauptantrieb, weshalb die meisten Automobilhersteller in die E-Mobilität eingestiegen sind. Alles andere ist Propaganda.
In anderen Worten: Die Luft und das Klima stehen zwar im Vordergrund, im Hintergrund wirken jedoch die Interessen der Industrie. Die als emissionsfrei geltenden Elektroantriebe sind dabei so etwas wie Nebelkerzen, die diesen Hintergrund verschleiern und den Vordergrund unzulässig verschönern. Denn dass ein Elektroauto emissionsfrei ist, gehört ins Reich der Legenden.
Dennoch bleibt festzuhalten, dass der Gesetzgeber richtige Impulse gesetzt und die Hersteller gezwungen hat, ihre Modellpolitik zu verändern und die Abgas-Emissionen insgesamt zu senken. In all der Freude über solche »Mobilitätswende« sollte man jedoch nicht den Überblick verlieren. So wenig, wie eine Schwalbe den Sommer ausmacht, so wenig werden elektrisch angetriebene Autos das Klima retten können. Der Autoverkehr ist für weit weniger als 20 Prozent des Kohlendioxidausstoßes verantwortlich; unser Heizen, die Massentierhaltung, die industrielle Landwirtschaft oder die großen Container- und Kreuzfahrtschiffe sind da deutlich belastender. Es wäre also angebracht, sich keine falschen Hoffnungen auf eine unmittelbar spürbare Entlastung zu machen, sollte der Individualverkehr – endlich! – auf »regenerative« Antriebsarten umschwenken.
Es wäre ein guter, erster Schritt in die richtige Richtung, kaum mehr. Dabei darf jedoch nicht verdrängt werden, dass die neue Technik, wie immer, auch mit neuen Risiken verbunden ist, die zwar hin und wieder benannt (siehe zum Beispiel den Beitrag von Teresa Sciacca »Lithium: Das neue Öl« in Ossietzky 08/2021), jedoch zumeist als bremsende Nörgelei abgetan werden.
Zu euphorischen »Heilserwartungen« besteht vorerst kein Anlass. Denn die schöne, neue, saubere Elektro-Welt ist zunächst einmal vor allem eins: bestenfalls Wunschdenken. Wesentliche Fakten werden hinter gleißenden Versprechungen zum Verschwinden gebracht oder als kollaterale, noch zu beseitigende Nebenwidersprüche im »Kleingedruckten« versteckt. »Wir arbeiten dran!«
Das wird aber nicht ganz leicht sein. Denn natürlich müssen die E-Scooter, E- Tretroller, Elektroautos und Wasserstoffbusse, die praktisch aus dem Nichts plötzlich das Stadtbild etwa von Berlin, Paris, London oder Barcelona prägen (im Falle der Roller nicht selten verschandeln), hergestellt und mit Energie versorgt werden. Von »Null-Emission« kann dabei keine Rede sein. In einem wörtlichen Sinne ist dieses Ziel tatsächlich nie zu erreichen, solange die Fahrzeuge dinglichen Charakter behalten und »Treibstoff« benötigen.
Für ein anderes, sich zunehmender Beliebtheit erfreuendes Alltagsprodukt ist so eine Gesamtbilanz bereits einmal vorgelegt worden. Wer als Leser die Umwelt entlasten will, nutzt mittlerweile gern ein E-Book-Reader. Denn für die Herstellung gedruckter Bücher müssen bekanntlich Bäume gefällt werden, zudem erfordert die Produktion von Papier Unmengen an Wasser und Chemikalien. Für ein 200-Seiten-Buch, so hat es das Öko-Institut in Freiburg vor einigen Jahren mal errechnet, fallen dadurch durchschnittlich 1,1 Kilogramm CO2 an, den Transport der Bücher – von der Druckerei ins Zwischenlager, vom Zwischenlager zum Buchhändler, vom Buchhändler zum Kunden – noch gar nicht mit eingerechnet.
Was aber heißt das? Ist das schlimm? Die gleiche Menge emittiert ein Kleinwagen schließlich schon für eine Strecke von weniger als zehn Kilometern. Ja, dagegen erscheint ein Buch harmlos. Doch mit Blick auf die einstmals grünen Bäume wird die abstrakte, scheinbar bescheidene Zahl sehr viel konkreter und geradezu alarmierend: Das Papier für eine Million Bücher stammt von gut 10.000 erwachsenen Bäumen – leider kommt Recycling-Papier bei den Verlagen noch kaum zum Einsatz. Das heißt, die Produktion von Büchern allein in Deutschland mit rund 80.000 Neuerscheinungen und knapp 30 Millionen verkauften Exemplaren verschlingt Jahr für Jahr einen Wald von 300.000 Bäumen.
Da möchte man sich das Lesen entweder gleich abgewöhnen oder tatsächlich sofort zu einem E-Book-Reader greifen. Doch langsam, der Impuls ist zwar richtig, trägt jedoch nicht unbedingt zu einer Umweltentlastung bei. Zwar lassen sich durch die Lektüre eines E-Books Papierverbrauch und Druck vermeiden, aber in der Herstellung und Nutzung verursacht ein E-Book-Reader nach Berechnungen des Öko-Instituts etwa achtmal so viel Treibhausgas wie die Herstellung eines gedruckten Buches. Das heißt, die Entscheidung für einen E-Book-Reader ist aus ökologischer Perspektive überhaupt erst dann sinnvoll, wenn ich mindestens zehn Bücher im Jahr damit lese. Für Vielleser ist das also eine vernünftige Anschaffung. Kaufe ich mir hingegen einen Reader, um im Jahresurlaub zwei oder drei Bücher zu lesen, ohne sie im Gepäck mitschleppen zu müssen, ist das natürlich auch in Ordnung, ganz sicher aber kein Beitrag zum Klimaschutz.
So ähnlich verhält es sich auch bei der E-Mobilität, wenngleich die Angelegenheit hier ungleich komplizierter ist. Am einfachsten zu beantworten ist auf den ersten Blick die beim Individualverkehr momentan im Zentrum stehende Abgasfrage: Was kommt hinten raus? Ja, E-Scooter und elektrisch betriebene Pkw stoßen gewissermaßen lokal keine Schadstoffe mehr aus. Das ist ganz wunderbar und könnte die Umwelt in absehbarer Zeit tatsächlich entlasten.
Leider ist hier jedoch noch der Konjunktiv erforderlich, denn solche Entlastung wird auf den zweiten Blick erst dann eintreten, wenn der Strom für die Elektromobilität ausschließlich aus erneuerbaren Energien stammt; das war die durchaus nachvollziehbare, inzwischen, wie oben beschrieben, zurückgenommene Bedingung, die für den Europachef von Mazda erst erfüllt sein müsse, bevor sein Unternehmen in die Produktion von E-Autos einsteigen würde. Diese Voraussetzung ist allerdings noch längst nicht gegeben. Zwar steigt der Anteil erneuerbarer Energien am sogenannten Strommix in Deutschland kontinuierlich; und das ist gut so. Aber nach Angaben des Bundesumweltamtes verursacht eine Kilowattstunde verbrauchten Stroms hierzulande nach wie vor (neueste Daten aus 2019) 408 Gramm CO2. Damit ist ein Elektroauto also zurzeit von vornherein »belastet«, auch wenn hinten nichts mehr rauskommt. Ein Mittelklasse-Pkw kann mit dieser Kilowattstunde etwa sechs Kilometer weit fahren und dadurch die entsprechende Emission eines Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor einsparen. Ein moderner Diesel beispielsweise würde auf derselben Strecke circa 750 Gramm Kohlendioxid emittieren, also deutlich mehr.
Na bitte. Immerhin! Nur leider ist das lästige Zahlenspiel damit noch nicht beendet. Die Herstellung fehlt noch. Bei Karosserie und Fahrgestell dürfte es zwischen den Antriebsarten keine großen Unterschiede geben. Allerdings schlägt die Batterieproduktion bei den E-Fahrzeugen ganz massiv zu Buche: Auf die eben erwähnte Fahrstrecke von sechs Kilometern berechnet, fallen bei einer kleinen Batteriegröße von 40 kWh noch einmal etwa 215 Gramm CO2 an, bei einer größeren, zum Beispiel 100 kWh wie in einem Tesla, sind es gar 540 Gramm. Das heißt der Tesla schneidet danach in der CO2-Bilanz sogar schlechter ab als ein Mittelklasse-Diesel, gilt also durchaus zu Unrecht als ein Null-Emissions-Fahrzeug.
Das ist, zugegeben, verwirrend, und diese Verwirrung steigert sich beinahe täglich weiter, weil in der medialen Berichterstattung über die anbrechende E-Mobilität immer wieder verschiedene Untersuchungen zitiert werden, die hierbei zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Für die einen schneiden die E-Autos in der Umweltbilanz deutlich besser ab als Diesel-Pkw, und das dürfte im Moment die Mainstream-Ansicht sein, bei anderen ist es genau umgekehrt – und der Leser solcher Meldungen bleibt ratlos zurück. Was denn nun? Natürlich kann auch ich diese Ratlosigkeit hier nicht auflösen, indem ich mich auf die eine oder andere Seite schlage. Das wäre vermessen, zudem unseriös, weil die scheinbar einfache Frage tatsächlich beide Antworten zulässt.
Ohne hier am Erbsenzählen teilzunehmen – hier ein paar Gramm mehr, dort ein paar Gramm weniger –, lässt sich allgemein festhalten, dass die Batterie, neben dem Strommix, gewissermaßen die Achillesverse der E-Mobilität ist. Vor allem die stromintensive Batterieproduktion stattet die Elektroautos sozusagen mit einem CO2-Rucksack aus, dessen Füllstand von Faktoren abhängt, die sich nicht eindeutig und schon gar nicht einheitlich beziffern lassen, sondern beispielsweise von Land zu Land ganz unterschiedlich sein können. Nur mit diesen eben sehr variablen Faktoren lässt sich aber der tatsächliche CO2-Ausstoß eines E-Autos errechnen, seine »CO2-Schulden« sozusagen, die er im Betrieb »abbezahlen« muss. Vereinfacht gesagt, sorgen diese Schulden in der Tat dafür, dass man mehrere Jahre mit einem Verbrennungsmotor fahren könnte, um die gleiche Umweltbelastung zu verursachen, wie sie die Herstellung einer mittelgroßen Batterie erzeugt.
Noch ist die schöne, saubere Elektro-Welt also nicht mehr als ein Versprechen, das umso schwieriger einzulösen sein wird, je länger der branchenübliche Größer-schneller-stärker-Ehrgeiz auch bei den E-Auto-Anbietern weiter wirksam ist. Von Null auf Hundert in vier Sekunden und rauschhafte Höchstgeschwindigkeiten. Alles machbar. Aber was soll der Unsinn? Wer täglich 20 Kilometer zur Arbeit pendelt und den Wagen ansonsten vielleicht einmal im Monat für eine längere Strecke nutzt, für den oder die ist ein mit großer Batterie ausgestattetes Elektroauto mindesten so sinnlos und ökologisch verheerend wie ein SUV. Wenn die Kunden dieses Spiel mitspielen, wäre nichts gewonnen.
Solange dieser Schwachsinn nicht aufhört, wird auch die E-Mobilität keinen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz leisten können, weil die »lokal emissionsfreien« Fahrzeuge schon vor ihrem Einsatz auf der Straße so viel CO2 produziert haben, dass es beinahe egal ist, was am Ende hinten rauskommt.