Ein Gespenst geht um in Deutschland: das Gespenst Sahnesoße. Alle Köchinnen und Köche des Landes haben sich zu einer Hetzjagd gegen Gästin und Gast verbündet und drohen mit Liebesentzug. Die Sahnesoße wird bereits von allen europäischen Ernährungsberaterinnen und Beratern anerkannt, sie ist seit der Erfindung des Wortes »Sättigungsbeilage« die größte Errungenschaft im vom Virus schwer heimgesuchten Gastgewerbe.
Für mit dem höheren Kulinarikwissen nicht Gesegneten:
SAHNE à nord- und mitteldeutsch für Rahm (das aus Milch durch Abtrennen der Magermilch erhaltene fettreiche Erzeugnis).
SOSSE, SAUCE, TUNKE à eine Zuspeise, verschieden zusammengesetzte gebundene Flüssigkeit, die ihre Bindung durch Einbrenne, Eigelb oder Stärkemehl erhält und als Beigabe die eigentliche Speise schmackhaft machen soll.
Diese Auskunft gab mir der Küchenchef Franz Zodl vom »Leporello« bei dem ich, als ich noch in Wien lebte, als »Salzburger Nockerlesser auf Provisionsbasis« beschäftigt war, wobei er mich ermahnte, besonderen Wert auf den Hinweis »Speise schmackhaft machen« legen solle.
In Deutschland scheint dies anders zu sein. Zwar haben viele Lokale wunderschöne Namen, bei denen sollte man sich aber, trotz großer schriftstellerischer Höchstleistungen im Bereich der Speisenbeschreibung in der Speisekarte, nicht auf die Qualität der Ausführung durch das Küchenpersonal verlassen.
Wer die gastlichen Oasen in Deutschland bewerten will, hat es nicht leicht. Sterne irgendwelcher Reiseführer für Gastlichkeit und gutes Essen sind selten oder gar nicht anzutreffen. Lang, lang ist’s her, da schrieb Herr Siebeck in der ZEIT, es sei außer der Ausstellung »L’Art Gourmand« in Darmstadt (Stillleben für Auge, Kochkunst und Gourmets von Aertsen bis Van Gogh; 18. November 1996 bis 23. Februar 1997, Darmstadt) nichts Kulinarisches zu entdecken.
Hier, in diesem nichtunseren Öland ist jede Form von Kunst verpönt, sonst würden ja nicht ständig die Pächter der Museumscafés wechseln. Früher, als ich noch als »Vor- oder Nachkoster« einen Teil meiner körperlichen und seelischen Existenz finanzieren konnte, da hatte ich noch Hoffnung, heute nicht mehr. Warum?
Es gibt in Deutschland Sahnesoße! Zunächst dachte ich, es sei ein Zufall, als ich mit einer lieben Freundin in einem Lokal eine Seezunge bestellte. Die Seezunge war leider zunächst nicht zu sehen, eine riesige schimmernde, elastische, weiße Masse bedeckte sie. Meine Bekannte, die mich vor dem Lokal gewarnt hatte –, aber wer hört schon, wenn er hungert, auf Ratschläge –, hatte sich ein Chateaubriand bestellt. Die Filetscheiben schwammen in der gleichen weißglänzenden Tunke, die schon meine Seezunge um den Geschmack brachte. An diesem Abend half mir nur ein großes Glas Rotwein – aus dem eigenen Weinkeller.
Da ich schon lange in diesem Land nicht mehr an Zufälle glaube, ging ich der Sache nach. Grillplatte, Lammkoteletts, Moussaka, Reibekuchen, panierte Champignons, Cevapcici, grüne Bohnen, Salate aller Art, gefüllte Kalbsbrust, gespicktes Hirschschnitzel, Kalbszunge, Krautwickel, Schweinsbraten, Spargel, gebackener Karpfen, Zwiebelfleisch – überall Sahnesoße drauf. Sahnesoße die, egal wie gewürzt, penetrant nach Sahne schmeckt. Also fragte ich einen Ober, ob es in der heimischen Gastronomie die Bezeichnung »Deutsche Sahnesoße« gäbe. Er betrachtete die Reste meines in Sahnesoße schwimmenden Gerichtes und verneinte sehr energisch, meinte aber: »die Gäste mögen das«, worauf ich ihm dankbar ein größeres Trinkgeld gab und mir als Nachspeise einen süßen Pfannkuchen bestellte.
Richtig! Der Pfannkuchen wurde serviert, eine weiße, elastische, glänzende Masse bedeckte auch ihn. Sahnesoße – diesmal, welch ein Wunder, süß.
So habe ich, falls ich die Nachstellungen der germanischen gastronomischen Provinziale überlebe, nur einen Wunsch: Liebe Köchin, lieber Koch, lass die Finger von der Sahnesoße und halte Dich an die Empfehlung von Franz Zodl: wenn Soße, dann als Beigabe, die die eigentliche Speise schmackhafter machen soll.