Gerade rückt Russland ganz schön weit weg von uns. Wir, das sind die Europäer, diejenigen zumindest, die in der Union sind. Wir sind auch in der Nato. Beides passt nicht besonders gut zusammen: Als EU wollen wir mit den USA wirtschaftlich konkurrieren, in der Nato unterstellen wir uns der mächtigen US Army.
EU und Nato haben in den letzten Jahren immer mehr nach Osteuropa geschaut und sind nach Osten gewachsen, und seitdem erleben wir eine schwierige Nachbarschaft mit Russland. Zwischen den Mächten reibt es. Belarus, Ukraine, Georgien, Transnistrien: Wer glaubte, in einem friedlichen Europa zu leben, träumte.
Nun ist der Krieg für alle wahrnehmbar. Wir sind entsetzt über Russland und entsetzt über uns, weil wir träumten. Puschkin landet im Müll, der Laden mit den russischen Spezialitäten wird beschmiert, der Baschkirische Spielplatz ist verwaist.
Zugleich sind Russischlehrer hoch im Kurs, weil es von ihnen mehr gibt als solche, die mit den Flüchtlingen Ukrainisch sprechen könnten. Nur eine von vielen Sonderbarkeiten im Hinterland von Putins Krieg.
In Halle gibt es immer noch eine St. Petersburger Straße. Sie liegt zwischen der Genfer, der Amsterdamer und der Warschauer Straße. Die Haltestelle der Tram heißt Moskauer Straße. Hier liegt Russland mitten in Europa. Kann ein Mann allein das ändern?
Das Restaurant »Zum Samowar« öffnet nach langer Corona-Pause wieder seine russische Küche. Per Mail kommt das Schreiben: »Schämen Sie sich, mit russischer Kultur zu werben.«
Wintereinbruch im Frühling.
Wir werfen dem Kreml vor, ein falsches Bild von uns unter den Russen zu verbreiten. Wir selbst brauchen nicht einmal eine Regierung, um ein Feindbild aufzubauen. Das kann man erklären: Angst, Frust, Hilflosigkeit, blinder Eifer … Aber gutheißen muss man das nicht.