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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Rückblick und Ausblick

Am Beginn eines neu­en Jahr­zehnts Rück­schau zu hal­ten, um das Heu­te am Gestern zu mes­sen, erleich­tert den Aus­blick auf mor­gen. An der Schwel­le der 1980er Jah­re schrieb ich in der Monats­zeit­schrift Neue Rund­schau, was kaum jemand für mög­lich gehal­ten hät­te, sei ein­ge­tre­ten, 35 Jah­re nach Deutsch­lands Nie­der­la­ge im Zwei­ten Welt­krieg erwar­te die Welt von der Bun­des­re­pu­blik ent­schei­den­de Bei­trä­ge zur Lösung nicht nur der Nord-Süd- und der Ost-West-Pro­ble­me, son­dern auch zur Steue­rung von Han­del und Wan­del auf dem Welt­markt. »Wenn uns das nur nicht zu Kopf steigt«, füg­te ich an.

Wie mir scheint, ist unser Land mit den Ver­su­chun­gen der Macht ganz gut fer­tig­ge­wor­den, zumal da Über­le­gen­heit, wie Hen­ry Kis­sin­ger sich 1967 auf die Rüstung bezo­gen aus­drück­te, sinn­los ist, »wenn die Ver­lu­ste auf bei­den Sei­ten die Zehn-Mil­lio­nen-Gren­ze über­schrei­ten«. Lei­der haben das nicht alle begrif­fen. Noch immer ant­wor­ten Waf­fen­her­stel­ler, wie Kurt Tuchol­sky einst sar­ka­stisch bemerk­te, auf den Vor­wurf einer Mit­schuld an der Vor­be­rei­tung eines mög­li­chen Völ­ker­mor­des, sie mach­ten schließ­lich nur Büro­stun­den. Als mein Arti­kel erschien, hat­ten die Grü­nen bei der vor­aus­ge­gan­ge­nen ersten Direkt­wahl zum Euro­päi­schen Par­la­ment einen Stim­men­an­teil von 3,2 Pro­zent erreicht. Kein son­der­lich hin­rei­ßen­des Ergeb­nis, aber ihr Aus­bre­chen aus dem poli­ti­schen Rou­ti­ne­be­trieb signa­li­sier­te eine Gegen­be­we­gung zum blin­den Fort­schritts­glau­ben. Inzwi­schen kon­kur­rie­ren die Grü­nen mit der CDU um Platz eins in der Wäh­ler­gunst und emp­feh­len sich mit der For­de­rung nach mehr Geld für die Rüstung als Part­ner in einer künf­ti­gen Bundesregierung.

Mit einem Füh­rungs­wech­sel in Peking begann sei­ner­zeit die Eta­blie­rung der Volks­re­pu­blik als Welt­macht. Heu­te ist das kom­mu­ni­stisch regier­te Land größ­ter Geld­ge­ber der USA und dabei, die Ver­ei­nig­ten Staa­ten wirt­schaft­lich und mili­tä­risch zu über­ho­len. Da emp­fiehlt es sich, einen Moment inne­zu­hal­ten. Wie soll es ange­sichts die­ses Tem­pos wei­ter­ge­hen mit der Welt, nach­dem sie den Alp­traum Trump hin­ter sich gelas­sen hat und dar­auf hof­fen kann, dass künf­tig in Washing­ton Poli­tik nicht mehr mit der Brech­stan­ge, son­dern mit dem Kopf gemacht wird? Für Deutsch­land und Euro­pa kann das »wil­li­ge Mar­schie­ren im Schlepp­tau der Ver­ei­nig­ten Staa­ten«, vor dem schon Franz Josef Strauß wort­ge­wal­tig gewarnt hat, jeden­falls nicht der Weis­heit letz­ter Schluss sein. Wenn es zum Bei­spiel um die Ord­nung des Ver­hält­nis­ses zu Chi­na und Russ­land geht oder um die Erhö­hung der Rüstungs­aus­ga­ben auf zwei Pro­zent des Brut­to­in­lands­pro­dukts, wer­den sich die Ver­ant­wort­li­chen schon etwas ande­res ein­fal­len las­sen müssen.

Mit der Beru­fung des Ex-Gene­rals Lloyd Austin zum Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ster der USA hat Trumps Nach­fol­ger Joe Biden zu ver­ste­hen gege­ben, wohin die Rei­se mit dem neu­en Prä­si­den­ten gehen dürf­te. Austin saß zuletzt im Auf­sichts­rat des US-Rüstungs­kon­zerns Ray­the­on, der von der Armee Auf­trä­ge in Mil­li­ar­den­hö­he erhält. Medi­en­be­rich­ten zufol­ge lie­fert das Unter­neh­men unter ande­rem Bom­ben für die Ein­sät­ze der sau­di­schen Armee im Bür­ger­krieg in Jemen. Bei der Nach­richt von der Benen­nung Austins zum Chef des Pen­ta­gons haben in den Chef­eta­gen von Ray­the­on sicher die Sekt­kor­ken geknallt.

Die ein­dring­li­che War­nung Dwight D. Eisen­ho­wers vor den Fol­gen der Ver­flech­tung von Poli­tik und Rüstung ist offen­sicht­lich ver­pufft. Am Ende sei­ner Amts­zeit als US-Prä­si­dent erklär­te Eisen­hower ein­ge­denk eige­ner Erfah­run­gen als mili­tä­ri­scher Füh­rer: »In den Gre­mi­en der Regie­rung müs­sen wir der Aus­wei­tung des unbe­fug­ten Ein­flus­ses des mili­tä­risch-indu­stri­el­len Kom­ple­xes vor­beu­gen. Wir dür­fen nie­mals zulas­sen, dass die­se ein­fluss­rei­che Alli­anz unse­re Frei­hei­ten und den demo­kra­ti­schen Pro­zess gefähr­det.« Sei­nen Nach­fol­gern gab er den Rat: »Abrü­stung in gegen­sei­ti­gem Respekt und Ver­trau­en ist ein immer noch gül­ti­ges Gebot. Zusam­men müs­sen wir ler­nen, wie wir Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten bei­le­gen, nicht mit Waf­fen, son­dern mit Ver­stand und in ehr­li­cher Absicht.«

In Zei­ten wie die­sen, da ein Virus die Mensch­heit lehrt, Wich­ti­ges von Unwich­ti­gem zu unter­schei­den, ist es fri­vol, nach mehr Geld für die Rüstung zu rufen. Ein­und­zwan­zig Pro­zent der ame­ri­ka­ni­schen Kin­der wach­sen nach Anga­ben des US-Wis­sen­schaft­lers Joseph E. Stig­litz in Armut auf. Ist es das, was Chi­ne­sen und Rus­sen von der frei­en Welt ler­nen sollen?

Die Wei­chen müs­sen neu gestellt wer­den. Die stän­di­ge Ein­mi­schung in die Ange­le­gen­hei­ten ande­rer Län­der muss auf­hö­ren. Miss­trau­en und stän­di­ges Beschwö­ren angeb­li­cher Bedro­hun­gen von außen ver­gif­ten unser Kli­ma nicht weni­ger als Koh­len­di­oxid. Gute Nach­bar­schaft kann nicht gedei­hen, wenn man sich stän­dig gegen­sei­tig in die Töp­fe guckt.

Jeder Staat hat das Recht, sei­ne poli­ti­sche, gesell­schaft­li­che, wirt­schaft­li­che und kul­tu­rel­le Ord­nung frei zu wäh­len und zu ent­wickeln. Es gibt kein all­ge­mein gül­ti­ges poli­ti­sches System und kein all­ge­mein gül­ti­ges Wahl­mo­dell, das für alle Natio­nen und ihre Völ­ker glei­cher­ma­ßen geeig­net wäre. So steht es in Arti­kel 2 der Char­ta der Ver­ein­ten Natio­nen bezie­hungs­wei­se in der UNO-Reso­lu­ti­on 48/​124. Eine bes­se­re Grund­la­ge für das künf­ti­ge trans­at­lan­ti­sche Ver­hält­nis und die Gestal­tung der inter­na­tio­na­len Bezie­hun­gen kann es nicht geben.