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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Reden gegen den Schweigebefehl

Ohne die Mit­tei­lung auf dem Umschlag, dass jemand »süch­tig« gewor­den sei bei der Lek­tü­re, wenn ihn ein Buch in den Bann geschla­gen hat, geht es wohl nicht mehr ab. So auch nicht bei die­sem wun­der­vol­len und wun­der­sa­men Roman, der einen zu fes­seln ver­mag, den man immer wei­ter­le­sen will, der in einem wei­ter­wühlt: Es ist »Omer­tà« von Andrea Tom­pa, die mehr als 900 Sei­ten Reden gegen das nach Mafia klin­gen­de Schwei­ge­ge­bot darf man getrost lite­ra­ri­sches Ereig­nis nen­nen. »Ţi-ai sem­nat Omer­ta?« wird die Non­ne Ele­onóra gefragt, die im Zuge poli­ti­scher Säu­be­run­gen ins Gefäng­nis gewor­fen wur­de – »Hast du den Schwei­ge­be­fehl unter­schrie­ben?« Natür­lich wird er unter­schrie­ben, denn das ist die Vor­aus­set­zung für die Frei­las­sung. Frei wird man natür­lich nicht in die­ser Volks­re­pu­blik Rumä­ni­en Ghe­or­g­hiu-Dejs, aus der 1965 Nico­lae Ceauşes­cus Sozia­li­sti­sche Repu­blik Rumä­ni­en wur­de – nicht weni­ger repres­siv und eben­so grau­sam. Der »klei­ne Ceauşes­cu« schreit auch schon kräf­tig her­um in der Erzäh­lung des Rosen­züch­ters Vil­mos Décsi, denn der kommt der Buka­re­ster Par­tei-Eli­te ziem­lich nahe, nach­dem sei­ne Kreu­zung auf einer Pari­ser Aus­stel­lung prä­miert wur­de. Wer den Ruhm des Lan­des mehrt und dabei die Prä­mis­sen sowje­ti­scher Wis­sen­schaft (in den frü­hen Jah­ren der »Volks­de­mo­kra­tie Rumä­ni­en« war das noch gebo­ten) beach­tet, der wird geehrt, sogar vom Erfin­der schreck­li­cher Fol­ter­me­tho­den, Ghe­org­he Ghe­or­g­hiu-Dej. Da spielt es dann auch kei­ne Rol­le, dass der Lau­re­at Ungar ist und in Sie­ben­bür­gen, in der Nähe von Koloszvár (deutsch Klau­sen­burg, rumä­nisch Cluj, unter Ceauşes­cu Cluj-Napo­ca) wohnt. Wahr­lich mei­ster­haft erzählt Andrea Tom­pa über die­se pro­blem­be­la­de­ne Regi­on, die erst nach dem Ersten Welt­krieg zu Rumä­ni­en kam. Die kom­mu­ni­sti­sche Füh­rung arg­wöhn­te noch Jahr­zehn­te spä­ter, dass die Sie­ben­bür­ger lie­ber zu Ungarn »zurück­woll­ten«, die Poli­tik Buka­rests, aber auch Ungarns, trieb dabei bizar­re Blü­ten. Wie neben­bei besucht man wäh­rend der Lek­tü­re ein inten­si­ves Semi­nar über die Geschich­te Südosteuropas.

Das Wun­der­sa­me, Mei­ster­haf­te des Romans besteht im Schreib­stil der Autorin, der nie beleh­rend ist. Sie lässt vier Men­schen, drei Frau­en und einen Mann, gegen den Schwei­ge­be­fehl anre­den: Kali, Vil­mos, Annusch­ka, Ele­onóra – aller Schick­sa­le sind mit­ein­an­der ver­wo­ben, wobei auch Lieb­schaf­ten eine gewich­ti­ge Rol­le spie­len. Kali ist ihrem bru­ta­len Mann davon­ge­lau­fen, sie wird Dienst­mäd­chen beim Rosen­gärt­ner, auch Gelieb­te, Frau des Ver­trau­ens und Mut­ter eines Kin­des. Annusch­ka ist eine sech­zehn­jäh­ri­ge Halb­wai­se, sie ver­liebt sich in Vil­mos. Ihre Schwe­ster Ele­onóra wird Non­ne und gerät in Säu­be­rungs­ak­tio­nen der rumä­ni­schen Kom­mu­ni­sten, die nach Sta­lin­scher Manier ab und zu die Chri­sten ins Visier nah­men und die Secu­ri­ta­te ihr Schreckens­re­gime ent­fal­ten ließ.

Die fas­zi­nie­rend­ste Erzäh­lung ist wohl die Vil­mos Décsis. Der zurück­ge­zo­gen leben­de Gärt­ner, der Rosen züch­tet, weil er sie liebt, macht in der Zeit der Kol­lek­ti­vie­rung der Land­wirt­schaft halb wider Wil­len Kar­rie­re. Sein recht »natur­na­her« Gar­ten wird Ver­suchs­ge­län­de, wo nach den »Leh­ren« Mit­schurins und Lys­sen­kos gezüch­tet wird. Vil­mos wird von der Secu­ri­ta­te belau­ert, schon des­we­gen, weil er einst dem rumä­ni­schen König eine Rose ver­kau­fen muss­te. Doch die Bespit­ze­lung hin­dert ihn nicht dar­an, der als Über­set­ze­rin ver­klei­de­ten Agen­tin so nahe zu kom­men, dass er sich über deren Unter­wä­sche­qua­li­tä­ten aus­las­sen kann.

Das per­fi­de System, mit­hil­fe der Wün­sche, die jemand hegt – Vil­mos möch­te natür­lich gern ein aner­kann­ter Rosen­züch­ter sein – par­tei­po­li­ti­sche Zie­le zu ver­wirk­li­chen, das wird am Bei­spiel sei­ner Bio­gra­fie vor­ge­führt. Vil­mos’ Rei­se nach Paris, sei­ne Ehrung dort und die Wür­di­gung in Buka­rest durch die Par­tei, das erreicht, obwohl derb und urko­misch erzählt, die Dimen­si­on einer Tra­gi­ko­mö­die. Das Resü­mee der Schick­sa­le aller vier Erzäh­ler, kom­pri­miert auf andert­halb Sei­ten, ist bewe­gend zu lesen.

Der mei­ster­haf­te Roman wur­de mei­ster­lich über­setzt von der Schrift­stel­le­rin Teré­zia Mora. Die sprach­li­che Kraft, mit der sie die vier Mono­lo­ge daher­kom­men lässt, ver­dient Bewun­de­rung. Da Dia­lekt, aber auch Unga­risch und Rumä­nisch ein­flie­ßen muss­ten, ist etwas wie eine eige­ne Spra­che ent­stan­den, die so ein­dring­lich ist, dass nur weni­ge Erklä­run­gen und Fuß­no­ten erfor­der­lich sind.

Das gehört auch zur Vir­tuo­si­tät die­ses Buches: Obwohl es den schein­bar weit ent­fern­ten und schein­bar lan­ge zurück­lie­gen­den Irr­sinn einer Regi­on im Inter­es­sen­kon­flikt zwei­er Län­der, ver­meint­li­cher »Bru­der­län­der«, schil­dert, hat man immer das Gefühl, das alles sei ganz heu­tig und kön­ne jeder­zeit von vorn begin­nen. Oder hat das alles, im Lich­te gegen­wär­ti­ger Erfah­run­gen, noch gar nicht aufgehört?

Wer etwas über den Zustand Euro­pas, der sich in die­sem Buch in einer aber­wit­zi­gen Ver­gan­gen­heit spie­gelt, erfah­ren will, der lese die­ses Buch. Und was ganz sel­ten ist: Obwohl es etwas zu ler­nen gilt – es ist ein Lesegenuss.

Andrea Tom­pa, Omer­tà. Roman, aus dem Unga­ri­schen von Teré­zia Mora, Suhr­kamp Ver­lag 2022, 954 S., 34 €.