Die Erkenntnis ist zweifellos nicht neu, dass unsere Gerichte gelegentlich durch Entscheidungen überraschen, die eher Unverständnis erwecken als Zustimmung. So entschied das Oberlandesgericht Brandenburg in einem Beschluss vom 25. März 2020 (Az.: (1) 53 Ss 126/19-(74/19)), dass der sogenannte »schlampige Hitler-Gruß« (angewinkelter rechter Arm mit ausgestreckter rechter Hand schräg nach hinten) nicht dem Hitler-Gruß, als »Grußformel« im Sinne von § 86a Abs. 2 Satz 2 StGB zum Verwechseln ähnlich ist und deshalb eine Strafbarkeit nicht begründen könne. Hinzu käme, dass ein von einem Schüler im schulischen Sportunterricht gezeigter Hitler-Gruß nicht öffentlich erfolge, wenn die Sporthalle von außen nicht einsehbar ist. Auch stelle der Sportunterricht keine »Versammlung« im Sinne der gesetzlichen Regelung dar.
Was war geschehen? Ein Schüler eines Oberstufenzentrums trat während des Sportunterrichts »vor seine Schulklasse und imitierte mit Zeige- und Mittelfinger der linken Hand den bekannten Schnurrbart von Adolf Hitler und hob gleichzeitig den rechten Arm, zeigte also höchstwahrscheinlich den sogenannten ›Hitler-Gruß‹«. Das OLG Brandenburg verneinte eine Strafbarkeit dieses Verhaltens, weil die Wahrnehmung der Tathandlung »durch unbestimmt viele Personen, mithin durch einen größeren nicht beschränkten Personenkreis« voraussetze. Die Wahrnahme sei vielmehr auf »bestimmte einzelne Personen bzw. auf einen engeren, untereinander verbundenen Personenkreis beschränkt« gewesen. Zudem stelle der Schulunterricht keine Versammlung dar. Eine solche sei nämlich nicht schon in jeder räumlich vereinigten Personenmehrheit zu sehen. Dies wurde unter anderem damit begründet, dass der Schulunterricht nicht, »die Singularität, die eine Versammlung kennzeichnet«, besitze. Jeder Schüler verfolge – mit dem Besuch der Schule – individuelle Zwecke. Deshalb fehle es bereits an einer »gemeinsamen Zweckverfolgung«.
Nun ist das Abklopfen von Formalvoraussetzungen nach dem Gesetz und ständiger Rechtsprechung zweifellos Kern jeder Urteilsfindung. Dennoch erweist sich das Ergebnis nicht immer als verständlich und nachvollziehbar oder gar moralisch vertretbar. Spätestens hier sollte eine Auseinandersetzung über die falschen Signale, die von wenig akzeptablen Urteilen ausgehen, einsetzen. Es mutet seltsam an, wenn Schüler im Sportunterricht den Hitler-Gruß zeigen, und wirft auch Fragen auf, was sie damit bezwecken wollen und welche Wirkungen es bei den Mitschülern auslöst. In jedem Fall ist eine damit verbundene Verharmlosung der faschistischen Diktatur verbunden, auch wenn dies – in Abhängigkeit vom Alter des Schülers – nicht immer von diesem in ihrer ganzen Tragweite erkannt wird. Die gesamtgesellschaftliche Verantwortung zur Unterbindung solcher Verhaltensweisen – gerade in der Schule, wo der Erziehungs- und Bildungsauftrag im Vordergrund stehen sollte – liegt geradezu auf der Hand. Wenn die Justiz solches Verhalten eines Schülers letztlich als nicht strafrechtlich relevant einstuft, kann dies weder förderlich für den handelnden Schüler noch für dessen Mitschüler, Lehrerinnen und Lehrer sein. So erscheint es mehr als notwendig, dass im Blickpunkt der Bewertung auch über die Folgen und Auswirkungen des Handelns nachgedacht werden muss und jede nur kasuistische Handhabung dem Zweck des Schutzes des Rechtsfriedens und des demokratischen Rechtsstaats zuwiderlaufen kann. In einer Zeit, da Rechtsradikalismus bedauerlicherweise einen gewissen Aufwind erlebt, erscheint dies mehr als geboten.