Am 16. November triumphierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung, einer der bundesdeutschen Leitsterne der selbst ernannten »Qualitätsmedien« auf ihrer Titelseite mit der Überschrift »Mehrheit der G-20-Mitglieder verurteilt Krieg in der Ukraine«. In der Unterzeile wurde eine Demütigung angedeutet mit den vier Worten: »Lawrow verlässt Treffen vorzeitig«, und den Sack zu machte der Kommentar auf Seite 1 mit der Überschrift »Putin am Pranger«.
Gestützt war dieses Scherbengericht auf eine »vorab bekannt gewordene Gipfelerklärung«. Der zufolge wäre dort in Bali der Krieg in der Ukraine »aufs Schärfste verurteilt worden.«
Nun hätte jeder, der sich qualitativ hochwertig informiert wissen will, für den nächsten Tag diese »vorab bekannt gewordene Gipfelerklärung« möglichst im Wortlaut präsentiert und gründlich analysiert gewünscht. Sie taucht aber weder in der FAZ des Folgetages noch danach wieder auf. Sie bleibt verschwunden bzw. in Nebensätzen versteckt – etwa in der mauligen Formulierung am 17. November über die »willigen Komplizen«, die in »Bali« gewagt hätten, »andere Ansichten zu Protokoll« zu geben.
Wer dann ins Internet geht, muss sich, bevor er sich überhaupt bis zum gesuchten Dokument dieser Abschlusserklärung vorgearbeitet hat, durch einen Wust von Meinungsäußerungen quälen, die allesamt, gestützt auf »Qualitätsmedien« von der Isoliertheit Russlands als dem Hauptergebnis von Bali schreiben – um dann irritiert festzustellen, dass sie einstimmig verabschiedet wurde, also auch mit den Stimmen Russlands und zum Beispiels Chinas.
Das Rätsel löst sich bei Studium dieses Dokuments von 22 eng beschriebenen Druckseiten und 52 Unterpunkten, von denen einer(!) sich mit dem Krieg in der Ukraine befasst. Von einer Verurteilung ist dort nicht die Rede. Es wird vielmehr festgehalten: »Wir bekräftigen unsere nationalen Positionen, wie wir sie in anderen Foren zum Ausdruck gebracht haben.« Verwiesen wird dann auf die Resolutionen der Vereinten Nationen, in denen eine jeweilige »Mehrheit« die »Aggression auf das Schärfste missbilligt« hätte. Das ist aber nicht mehr und nicht weniger als erstens bekannt und zweitens nun einmal Tatsache. Festgestellt wird weiter, dass »die meisten Mitglieder« den Krieg »auf das Schärfste verurteilen« würden, und einen Satz weiter, dass es »andere Sichtweisen und unterschiedliche Bewertungen der Situation und von Sanktionen« gäbe. Schließlich heißt es lapidar, dass die G 20 »nicht das Forum für die Lösung sicherheitspolitischer Fragen ist«. Lohnend wäre es, auf einige der anderen 51 Unterpunkte der Erklärung einzugehen – zum Beispiel auf die, die heftige Kritik an den alten Industrieländern bei Fragen des Klimaschutzes beinhalten oder die, die sich mit der Ernährungskrise befasst, die unter anderem durch Handelshemmnisse bei Düngerprodukten katastrophal zu werden drohe.
Das alles findet in der herrschenden Medienlandschaft nicht statt – »Bali« war verschwunden nach den ersten verfrühten Trompetensignalen. Wer in dieser Situation nicht wirkliche Qualitätsmedien wie die junge Welt, Ossietzky, die Nachdenkseiten oder unsere zeit liest, ist hoffnungslos gefangen in einem Netz, das nicht mehr der Information, sondern dem Ziel dient, dieses Land kriegsbereit zu machen für einen neuen Feldzug gegen Russland.