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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Puppen und Pappkameraden

Im vom Volks­mund ver­brei­te­ten »Rhei­ni­schen Grund­ge­setz« lau­tet der Para­graph 2: »Et es wie et es« – Sieh den Tat­sa­chen ins Auge. Am Rosen­mon­tag, für Kar­ne­va­li­sten nor­ma­ler­wei­se der höch­ste Fei­er­tag, sen­de­te das ZDF zum Auf­takt des Nach­mit­tags eine Kon­ser­ve aus dem Jahr 2018, die Koch­sen­dung »Stadt, Land, Lecker«, und nicht, wie sonst in all den Jah­ren, die Live-Über­tra­gung der Umzü­ge aus den Karnevalshochburgen.

Die Begrün­dung wur­de Online gelie­fert: »Hel­au und Alaaf im Shut­down – Stell Dir vor, es ist Rosen­mon­tag, und kei­ner geht hin. Wo sonst Aber­tau­sen­de Nar­ren und Jecken toben: die­ses Jahr nur leer­ge­feg­te Gassen.«

Die Kar­ne­va­li­sten in Ost und West und Süd und Nord, von Bay­ern (Veits­höch­heim) über Mainz und wei­ter rhein­ab­wärts bis Köln und Düs­sel­dorf hat­ten den Tat­sa­chen ins Auge gese­hen und Hal­tung gezeigt. Alle öffent­li­chen und nicht­öf­fent­li­chen Ver­an­stal­tun­gen und Zusam­men­künf­te waren abge­sagt. Tote-Hosen-Tag statt Rosenmontag.

Fast kann man von einer Peri­odi­zi­tät spre­chen, hat sich doch solch ein Vor­gang in der noch jun­gen bun­des­deut­schen Geschich­te schon zum drit­ten Mal ereig­net, jeweils im Abstand von 30 Jah­ren. 1962 stand nach dem Mau­er­bau im August des Vor­jah­res und der gro­ßen Sturm­flut im Febru­ar in Ham­burg der Stim­mungs­pe­gel bun­des­weit unter null. 30 Jah­re spä­ter, 1991, erstick­te der Zwei­te Golf­krieg hier­zu­lan­de Freu­de und Froh­sinn. Hin­zu kam die Furcht vor Anschlä­gen auf die Men­schen­an­samm­lun­gen am Stra­ßen­rand der gro­ßen Städ­te. Und jetzt, wie­der­um 30 Jah­re spä­ter, die Pan­de­mie, und erneut war das Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein der Spaß­vö­gel gefragt. Die Ent­schei­dung fiel ohne Wenn und Aber: Die­ses Mal war nicht »am Ascher­mitt­woch alles vor­bei«, son­dern es fing am 11.11. erst gar nicht an.

Kar­ne­val, das ist Gemein­schafts­ge­fühl. Das ist Sin­gen und Fei­ern und Tan­zen und Lachen und noch so vie­les mehr. Auf dem Markt, auf den Plät­zen, in den Sälen. Ich bin damit groß­ge­wor­den. Für uns Dorf­kin­der war die »fünf­te Jah­res­zeit« so etwas wie Weih­nach­ten und Ostern an einem Tag. Und als wir dann älter wur­den, sehn­ten wir den 16. Geburts­tag her­bei, an dem wir end­lich auf Kap­pen­sit­zun­gen gehen konn­ten. Der Jugend­schutz wur­de damals sehr ernst genom­men, der Orts­po­li­zist und das Jugend­amt hat­ten uns im Auge.

»Mainz (bleibt Mainz,) wie es singt und lacht«, wur­de am 17. Febru­ar 1955 erst­mals im Fern­se­hen über­tra­gen, kar­ne­va­li­stisch ange­passt um 20.11 Uhr begin­nend. Solch ein neu­mo­di­sches und teu­res Gerät gab es bei uns zuhau­se damals noch nicht. Aber Ende der 1950er Jah­re stand ein Fern­se­her im Wohn­zim­mer von Freun­den, und seit­dem habe ich so gut wie kei­ne Sen­dung ver­passt. Ich erin­ne­re mich noch an die »histo­ri­sche« Aus­strah­lung im Febru­ar 1964, als der »sin­gen­de Dach­decker­mei­ster« Ernst Neger zum ersten Mal »Hum­ba Täte­rä« sang und das Publi­kum im Gro­ßen Saal des Kur­fürst­li­chen Schlos­ses zu Mainz sich nicht beru­hig­te und es, Zuga­be um Zuga­be, zu einer ein­stün­di­gen Über­zie­hung der Fern­seh­über­tra­gung kam. Bei einem Markt­an­teil von 89 Pro­zent hat­te jeder­mann dafür Verständnis.

Tra­di­tio­nell wird die Sit­zung am Frei­tag vor den drei tol­len Tagen abwech­selnd von der ARD oder dem ZDF über­tra­gen. Am 12. Febru­ar die­ses Jah­res war der Saal des Schlos­ses nicht wie­der­zu­er­ken­nen. Hygie­ne­re­geln führ­ten Regie. Es gab kei­ne schun­keln­de Mas­se. Eini­ge Dut­zend Mit­wir­ken­de ver­lo­ren sich im geschmück­ten Rund, von­ein­an­der getrennt im Hygie­ne-Abstand durch När­rin­nen und Nar­ren aus Pap­pe. Der Narr­hall­amarsch kam vom Band. Eben­so der Applaus. Auch die frän­ki­schen Fast­nach­ter boten dem Virus Paro­li. Sie prä­sen­tier­ten, aus Veits­höch­heim am Main, bun­des­weit aus­ge­strahlt vom BR, unter dem Mot­to »Jetzt erst recht« ihr Hygie­ne-gemaß­re­gel­tes Pro­gramm, eben­falls mit Saal-fül­len­den Papp­ka­me­ra­den. Der Diri­gent der Musik­ka­pel­le stand allein vor sei­nem Orche­ster – aus lau­ter Teddybären.

Not macht erfin­de­risch, und so rea­li­sier­ten die Köl­ner Narr­hal­lesen die wohl anrüh­rend­ste Idee der dies­jäh­ri­gen Kam­pa­gne. Pünkt­lich um 14 Uhr hieß es am Rosen­mon­tag im WDR: »D’r Zooch kütt«, und er kam: »Der aus­ge­fal­len­ste Zoch!« unter dem Mot­to: »Nur zesmme sin mer Fastel­ovend«. Die Jecken des Fest­ko­mi­tees Köl­ner Kar­ne­val hat­ten sich mit dem legen­dä­ren, seit 1802 spie­len­den Hän­neschen-Thea­ter zusam­men­ge­tan und einen Pup­pen­spiel­zug kre­iert, zwar im Minia­tur­for­mat, aber trotz­dem pro­vo­kant und poli­tisch wie eh und je. »Alles sieht aus wie in echt, von den Fun­ken­ma­rie­chen über Musik­ka­pel­len und Pfer­de bis zum gro­ßen Fina­le mit dem Drei­ge­stirn. Die Per­si­fla­ge-Wagen sind genau nach den ursprüng­li­chen Plä­nen gebaut«, ver­kün­de­te der Zere­mo­nien­mei­ster. Statt durch die Stra­ßen zog der Zug durch die Wagen­bau­hal­le des Fest­ko­mi­tees, unter Mit­wir­kung sämt­li­cher Pup­pen­spie­ler des Thea­ters. Eine ein­zig­ar­ti­ge und wahr­schein­lich ein­ma­li­ge Pro­duk­ti­on – in die­ser Pan­de­mie-beding­ten Februar-Tristesse.

Trost kann allein nur Ernst Neger spen­den, wie schon seit 70 Jah­ren: »Hei­le, hei­le Gäns­je /​ Es is bald wid­der gut, /​ Es Kätz­je hat e Schwänz­je /​ Es is bald wid­der gut, /​ Hei­le hei­le Mau­se­speck /​ In hun­nerd Jahr is alles weg.«