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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Politik und Kunst: documenta

Soge­nann­te moder­ne, sagen wir bes­ser: zum Zeit­punkt ihres Ent­ste­hens avant­gar­di­sti­sche Kunst hat­te nicht erst nach 1945 sowohl im bür­ger­li­chen Westen als auch im real sozia­li­sti­schen Osten einen schwe­ren Weg bis zur Akzep­tanz. Heu­te ist sie aller­orts zu fin­den. Sie ist unspek­ta­ku­lär gewor­den. Also war­um noch alle fünf Jah­re nach Kas­sel zur docu­men­ta fah­ren, die sie sich von Anfang an auf die Fah­nen geschrie­ben hat und lan­ge als ihre pro­mi­nen­te­ste inter­na­tio­na­le Aus­stel­lungs­platt­form in Deutsch­land galt?

Im Deut­schen Histo­ri­schen Muse­um läuft nun eine Schau, die nur die docu­men­ta 1 bis 10 umfasst. 2022 wird es die 15. docu­men­ta geben. Platz­grün­de waren nicht an die­ser Beschrän­kung schuld, obwohl die Expo­na­te so eng gedrängt prä­sen­tiert wer­den, dass man leicht den Über­blick ver­lie­ren kann. Man hät­te getrost die Aus­stel­lung »Die Liste der ›Gott­be­gna­de­ten‹. Künst­ler des Natio­nal­so­zia­lis­mus in der Bun­des­re­pu­blik«, die im Neben­ein­an­der durch­aus Sinn macht und bis zum 5. Dezem­ber zu sehen ist, auch anschlie­ßend zei­gen können.

Grund für die Redu­zie­rung auf die ersten zehn Aus­ga­ben ist das The­ma der Aus­stel­lung: »docu­men­ta. Poli­tik und Kunst«. Rapha­el Gross, Prä­si­dent der Stif­tung Deut­sches Histo­ri­sches Muse­um, fasst die von der ersten docu­men­ta an bestehen­de Auf­ga­ben­stel­lung zusam­men: »Kampf gegen die anti­mo­der­ni­sti­schen NS-Kunst­vor­stel­lun­gen, gegen die DDR und den Ost­block sowie Hin­wen­dung zum ‹Westen›, ver­stan­den als der poli­tisch-mora­lisch-ästhe­ti­sche Kon­tra­punkt zum ‹Osten›«. Bezeich­nend ist, dass zu den Geld­ge­bern ab der docu­men­ta 2 das Bun­des­mi­ni­ste­ri­um für gesamt­deut­sche Fra­gen und zeit­wei­se der ame­ri­ka­ni­sche Geheim­dienst CIA gehörten.

Das sechs­köp­fi­ge Kura­to­ren-Team hat vie­le, bis­her noch unbe­ach­te­te Doku­men­te an die Öffent­lich­keit gebracht, auf docu­men­tas gezeig­te Kunst­wer­ke sowie Fotos, Film- und Video­ma­te­ri­al ein­be­zo­gen. Zu den ver­dienst­voll­sten Lei­stun­gen zählt die Auf­deckung der akti­ven Nazi­ver­gan­gen­heit des ersten docu­men­ta-Machers, Wer­ner Haft­mann, anhand von neu gefun­de­nen Doku­men­ten und sei­nes sich noch auf die erste docu­men­ta aus­wir­ken­den Anti­se­mi­tis­mus. Dem setzt die jet­zi­ge Aus­stel­lung eine gan­ze Rei­he von Bil­dern des Malers Rudolf Levy (1875-1944) ent­ge­gen, eines jüdi­schen Opfers des NS-Ter­rors. Er war in der docu­men­ta 1 (d1) aus der Aus­stel­lungs­li­ste gestri­chen wor­den. Zum ande­ren wird die erste und zugleich ein­ma­li­ge offi­zi­el­le Betei­li­gung von Künst­lern der DDR auf der docu­men­ta 6 im Jah­re 1977 gewür­digt, mit der auf der docu­men­ta erst­mals auch die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Ter­ror des Natio­nal­so­zia­lis­mus the­ma­ti­siert wur­de, etwa durch Wer­ner Tüb­kes »Lebens­er­in­ne­run­gen des Dr. jur. Schul­ze« von 1965.

Tat­säch­lich bestand in der Zeit von der d1 1955 an ihre wich­tig­ste Auf­ga­be dar­in, mit ihrem Stand­ort an der inner­deut­schen Gren­ze als »Lei­stungs­schau des Kal­ten Kriegs«, wie es in der Ein­lei­tung des umfang­rei­chen Kata­logs heißt, die Über­le­gen­heit des Westens über den Osten zu demon­strie­ren. Das spielt auch nach 1989 noch eine Rol­le bei der d10 1997, da auch im ver­ein­ten Deutsch­land wei­ter­hin an der Auf­fas­sung fest­ge­hal­ten wur­de, dass die bil­den­de Kunst jen­seits der Gren­ze »Nicht­kunst« sei. Wer­ner Haft­mann per­sön­lich war es, der ver­fügt hat­te, dass für die »poli­tisch regle­men­tier­te Kunst­übung des ›sozia­li­sti­schen Rea­lis­mus‹ (…) kein Platz in Kas­sel« sei, was übri­gens auch den Sozia­li­sti­schen Rea­lis­mus Ita­li­ens und Frank­reichs betraf. Das war im ver­ein­ten Deutsch­land noch nicht aus den west­deut­schen Köp­fen raus, son­dern hing so gut wie allen Künst­lern an, wel­che nicht die DDR ver­las­sen hat­ten. Der Pro­zess des Umden­kens ist auch heu­te noch nicht gewon­nen, obwohl schon längst eine neue Gene­ra­ti­on von Künst­lern am Werk ist.

Der DDR-Betei­li­gung unter dem docu­men­ta-Lei­ter Man­fred Schnecken­bur­ger, die nach den deutsch-deut­schen Ver­trä­gen durch das Kul­tur­mi­ni­ste­ri­um der DDR abge­seg­net und durch die Staats­si­cher­heit der DDR über­wacht wor­den war, ist in der Aus­stel­lung ihrer Bedeu­tung gemäß zen­tral der größ­te Platz ein­ge­räumt wor­den. Gezeigt wer­den 24 Wer­ke, dar­un­ter von den soge­nann­ten »Staats­künst­lern« Wil­li Sit­te, Bern­hard Hei­sig, Wolf­gang Mattheu­er, aber auch von Ger­hard Alten­bourg, der inof­fi­zi­ell erst­mals 1959 über die West-Ber­li­ner Gale­rie Sprin­ger an der d2 betei­ligt war. Die Künst­ler waren nicht von der DDR aus­ge­wählt, son­dern von der docu­men­ta ein­ge­la­den wor­den, »weil sie es ver­dien­ten«, so Schnecken­bur­ger. Kura­tor war auf Wunsch Wil­li Sit­tes, des Prä­si­den­ten des Ver­bands Bil­den­der Künst­ler (VBK) der DDR, der Kunst­wis­sen­schaft­ler und stän­di­ge freie Mit­ar­bei­ter der Weltbühne, Lothar Lang. Die­ser wähl­te die mei­sten Wer­ke aus und bestimm­te maß­geb­lich deren Hän­gung. Dabei kam es zu offen aus­ge­tra­ge­nen Kon­flik­ten mit ost­deut­schen Künst­lern, die in die BRD über­ge­sie­delt waren, so mit Pen­ck, Base­litz und Lüpertz. Die Aus­stel­lung berich­tet mit Doku­men­ten über das, was durch Lothar Lang der Staats­si­cher­heit dar­über bekannt wur­de. Die­ser wie­der­um such­te aus eige­nem Inter­es­se auf der docu­men­ta Kon­tak­te zu sol­chen Künst­lern der BRD, wie Joseph Beu­ys und Wolf Vostell, die mit ihren inno­va­ti­ven Arbei­ten gesell­schafts­po­li­ti­sche Anlie­gen ver­tra­ten. Ein für Lothar Lang von Beu­ys signier­tes docu­men­ta-Pla­kat »Direk­te Demo­kra­tie« ist eben­so aus­ge­stellt wie ein Mal­buch von Wal­ter Pran­kel, in dem der DDR-Kura­tor mit Beu­ys auf einem Blatt zu sehen ist. Es sind in der Aus­stel­lung Vide­os mit Fern­seh­be­richt­erstat­tun­gen sowie mit Inter­views eini­ger DDR-Künst­ler durch Karl Oskar Bla­se abruf­bar, dar­un­ter eins mit Lothar Lang, dem im Kata­log eine Sei­te mit Foto und bio­gra­fi­schen Anga­ben gewid­met ist. Wie aus den aus­ge­stell­ten Sta­si-Unter­la­gen her­vor­geht, bezog sich die Bericht­erstat­tung von Lothar Lang auf kul­tur­po­li­ti­sche Aspek­te und wer­te­te den docu­men­ta-Auf­tritt der DDR als vol­len Erfolg. Die­ses deutsch-deut­sche kunst­ge­schicht­li­che Ereig­nis ist bis­her noch nie so kom­pakt, poli­tisch unab­hän­gig und sach­lich anschau­lich dar­ge­stellt worden.

Docu­men­ta. Poli­tik und Kunst: bis 9. Janu­ar 2022 im Deut­schen Histo­ri­schen Muse­um. Mit Katalog.