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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Palmwein wird ausgeschenkt

Émi­le Zola sträub­te sich, sei­nen Roman »L’Assommoir« (»Der Tot­schlä­ger«) zu inter­pre­tie­ren. Aber wenn er gezwun­gen wäre, »einen Schluß zu zie­hen, so wür­de ich sagen, daß ‚Der Tot­schlä­ger‹ in einem Satz zusam­men­ge­faßt wer­den kann: Schließt die Knei­pen, öff­net die Schu­len … die Trunk­sucht ver­wü­stet das Volk …« Und er setz­te den Auf­ruf hin­zu: »Macht die Vor­städ­te gesün­der, erhöht die Arbeits­löh­ne, die Woh­nungs­fra­ge ist ent­schei­dend … die erdrücken­de Arbeit, die den Men­schen zum Tier her­ab­wür­digt, der unge­nü­gen­de Lohn, der ihn ent­mu­tigt und das Ver­ges­sen suchen läßt, füllt die Knei­pen, das Volk ist so, weil die Gesell­schaft es so will.« (Zitiert nach dem Nach­wort von Rita Scho­ber in Émi­le Zola: »Der Tot­schlä­ger«, über­setzt von Ger­hard Krü­ger, Wink­ler Ver­lag Mün­chen) »Assom­moir« (Tot­schlä­ger) ist in der fran­zö­si­schen Umgangs­spra­che eine Bezeich­nung für Knei­pe. Der Roman erschien 1877. Vie­les gilt auch heute.

Auf Kamp­na­gel in Ham­burg nahm die Grup­pe »La Fleur« die­sen sie­ben­ten Teil eines 20-teil­i­gen Zola-Zyklus als Vor­la­ge für ihr Stück »Kör­per als Unter­neh­men«. Regie und Kon­zept: Moni­ka Gin­ters­dor­fer. Sie war schon öfter Gast auf Kamp­na­gel. Ich sah ihre Arbeit über den Inter­na­tio­na­len Gerichts­hof in Den Haag, über den Kon­go und die inter­na­tio­na­len Kon­zer­ne, die dort die Boden­schät­ze aus­beu­ten. Kein ein­zi­ges Kriegs­ver­bre­chen der Mili­tärs damals ange­klagt von der sich als »Welt-Gerichts­hof« ver­ste­hen­den Justiz­be­hör­de. Die­ses sper­ri­ge The­ma ver­ständ­lich, auch künst­le­risch über­zeu­gend auf die Büh­ne zu brin­gen: bewun­derns­wert (Ossietzky 24/​2012). Dem Roman­zy­klus von Zola hat­te sich das Tha­lia-Thea­ter an drei Aben­den gewid­met (Ossietzky 21/​2016 und 19/​2017) unter der Regie von Luk Per­ce­val, der lei­der Ham­burg verließ.

Die Grup­pe »La Fleur« besteht aus drei Frau­en und sechs Män­nern, mehr­heit­lich von der Elfen­bein­kü­ste Afri­kas. Cho­reo­graf ist Franck E. Yao, der auch mit­tanzt, fast gewalt­sam die Musik in Bewe­gung über­setzt – das kraft­prot­zen­de Geha­be der Män­ner in Arti­stik ver­wan­delt. Und der mit dem Aus­ruf: »Der Alko­hol ist ein Mon­ster«, Zolas Roman auf die­sen einen Aspekt redu­ziert. Die Zuschau­er wer­den zum Schluss auf­ge­for­dert, sich ein Getränk zu holen. Palm­wein wird aus­ge­schenkt – um sich ins Stück ein­zu­füh­len? Der Tanz ist oft Pan­to­mi­me, die Arbeit dar­stel­len soll, nicht die der Wäsche­rin Ger­vai­se allein, alles wird ver­viel­facht. Die Schwe­re die­ser Tätig­keit löst sich so in der Leich­tig­keit des Tan­zes auf. Vie­les wirkt belie­big, wie im Augen­blick erfun­den, spie­le­risch. Die ein­ge­streu­ten Wor­te in Fran­zö­sisch, Eng­lisch, auch mal Deutsch, oft mit gesun­ge­nem Text, ver­harm­lo­sen die­ses mensch­li­che Dra­ma. Vie­les bleibt unver­ständ­lich. Eine Sei­te aus Zolas Roman sagt mehr als der weit über die geplan­ten neun­zig Minu­ten lan­ge Abend.

Die Bezü­ge zur Gegen­wart kön­nen die Vide­os am Anfang nur unzu­rei­chend her­stel­len. Auf­nah­men vom Pari­ser Stadt­teil Cha­teau Rouge und dem Ham­bur­ger St. Georg: Her­um­lun­gern von Jugend­li­chen, da und dort Ein­kau­fen im Super­markt oder Wüh­len in Müll­ton­nen. Gleich­zei­ti­ges Agie­ren auf der Büh­ne, die nicht exi­stiert, die mit­ten im Publi­kum statt­fin­det, das über­all her­um­steht. Als Kulis­sen wer­den gro­ße gemal­te Bil­der her­ein­ge­tra­gen, an die Wand gestellt. Ein schwar­zer Schau­spie­ler ver­sucht, ein Flug­blatt der AfD zu ver­le­sen, kaum ver­ständ­lich. Es geht gegen den Han­sa­platz in St. Georg, wo Pro­sti­tu­ti­on und Dro­gen­han­del sicht­bar wür­den. Das aber gab es dort schon lan­ge. Nicht die Flücht­lin­ge sind schuld, son­dern das Milieu, dem sie dort aus­ge­lie­fert sind. In der Vor­ankün­di­gung des Stückes ist von »stän­di­gen poli­zei­li­chen Kon­trol­len und Racial Pro­fil­ing« die Rede. Im Stück gab es das alles nicht. Rea­li­tät ging unter in Tanz und Per­for­mance – wenn auch oft gut gemacht.

Das furcht­ba­re Ende von Zolas Roman, es teil­te sich dem Publi­kum nicht mit. Der Ver­such, kurz zusam­men­fas­send dar­über zu berich­ten, konn­te nur schei­tern. Zola: »Aber die Wahr­heit war, daß Ger­vai­se am Elend, am Unrat und an den Stra­pa­zen ihres ver­pfusch­ten Lebens ver­schied. Sie ver­reck­te … am Schlapp­wer­den. Als es eines Mor­gens schlecht auf dem Kor­ri­dor roch, ent­sann man sich, daß man sie seit zwei Tagen nicht gese­hen hat­te; und man ent­deck­te sie schon ganz grün in ihrer Nische.« (Zola, Krü­ger (Ü.), ebenda)